Die ehemalige Jenaer Sprinterin Bärbel Wöckel gewann 1976 und 1980 viermal Olympia-Gold. Der Boykott der Spiele 1984 verhinderte weitere Medaillen. Seit 25 Jahren kümmert sie sich beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) in Darmstadt nun um den Nachwuchs. Am Samstag wird sie 60 Jahre.
Ein Fehltritt auf der Treppe hätte fataler kaum enden können. Doch rechtzeitig zu ihrem 60. Geburtstag kann die viermalige Sprint-Olympiasiegerin Bärbel Wöckel ihre Gehhilfen auch mal zur Seite legen, nachdem sie auf einer Treppe ins Leere getreten und mit dem rechten Knöchel umgeknickt war. Eine neue Erfahrung für sie.
"Meine ganze sportliche Laufbahn bin ich nie an Krücken gegangen. Eigentlich bin ich fit", sagt die erfolgreichste deutsche Leichtathletin bei Olympischen Spielen. Die gebürtige Leipzigerin, die den Tag ganz in Familie begeht, fühlt sich "nicht wie 60. Das klingt nach Rentner und Oma. Beides bin ich noch nicht."
Erfolgreichste deutsche Leichtathletin bei Olympia
Kontakte zu ihren ehemaligen Trainings-Kolleginnen sind eher Zufall. Aktiv Sport treibt Bärbel Wöckel schon lange nicht mehr. Spaziergänge mit dem Golden Retriever sorgen für Bewegung. Der abwechslungsreiche Job im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) macht trotz der täglichen fast zwei Stunden Autofahrt noch immer Spaß. "Den möchte ich gern noch ein paar Jährchen machen. Mal sehen, wie's gesundheitlich geht", blickt sie gelassen und zufrieden in die Zukunft.
Ihr Stern ging 1973 mit drei Siegen bei der Junioren-EM auf. Im Jahr darauf holte sie in Rom (Italien) mit der DDR-Sprintstaffel EM-Gold. Nach einer Saison mit Verletzungsausfällen wechselte sie nach Jena in die Sprint-Gruppe um Erfolgstrainer Horst-Dieter Hille. Bei Olympia in Montreal überraschte Bärbel - damals noch unter ihrem Mädchennamen Eckert - sogar ihren Trainer. Nach Kanada war sie vor allem geflogen, um an der Seite von Renate Stecher Erfahrungen zu sammeln. Zurück kam sie mit Gold über 200 Meter und mit der Staffel.
"Montreal war mein schönster Erfolg", sagt sie. "Ich war überraschend dabei, völlig unbeschwert. Das Gold über 200 Meter war ein Gefühl wie Himmel auf Erden. Und dann rutschte ich auch noch in die Staffel, durfte sogar auf Position vier laufen, genial", erzählt sie. Vier Jahre später in Moskau (Russland) wiederholte die elegante Sprinterin mit den raumgreifenden Schritten als Mitfavoritin die beiden Siege. 1982 war die Frau mit Gold über 200 Meter und mit der Staffel sowie Silber über 100 Meter erfolgreichste EM-Teilnehmerin in Athen (Griechenland).
Keine Startmöglichkeit in Los Angeles
Olympia 1984 in Los Angeles (USA) sollte ihr Karriere-Abschluss werden. Der zwischenzeitliche Ausflug auf die Stadionrunde mit immerhin 49,56 Sekunden war abgehakt, mit 21,85 Sekunden sprintete sie über 200 Meter in der Olympia-Saison sogar schneller als jemals zuvor. Der Boykott des Ostblocks bis auf Rumänien beendete alle Hoffnungen. "Das war sehr enttäuschend. Wir hatten schon die Olympia-Einkleidung, saßen auf gepackten Koffern", erinnert sie sich.
Danach beendete Wöckel ihre Laufbahn und die Lehrer-Ausbildung, arbeitete an der Jenaer Kinder- und Jugend-Sportschule (KJS) als Unterstufen-Lehrerin. 1986 und 1988 kamen ihre beiden Töchter zur Welt. Im Wende-Herbst 1989 war nach dem Babyjahr an der KJS kein Lehrerinnen-Job mehr für sie frei. Da kam ein überraschendes Angebot für sie beim DLV. Zudem die Offerte eines Wirtschaft-Unternehmens für ihren Mann, der in Jena bei Carl Zeiss gearbeitet hatte.
Nach dem Knatsch auf Bärbels Arbeitsstelle packten die Wöckels die Koffer, verkauften Hab und Gut in Jena und wagten mit ihren Töchtern und Bärbels Mutter den Schritt in den Westen. Seit März 1990 arbeitete die viermalige Olympiasiegerin als Sachbearbeiterin im Jugendreferat des DLV, das sie inzwischen leitet.