Sie war U20-Welt- und -Europameisterin. Doch der Durchbruch bei den Frauen ließ bei Carolin Schäfer auf sich warten. Erst 2014 vollbrachte die Frankfurterin einen Leistungssprung. Im Interview mit Leichtathletik spricht die Siebenkämpferin über ihre EM-Ziele und das harte Training auf dem Weg nach Zürich.
Carolin Schäfer, wie lange ziehen sich eigentlich zweieinhalb Minuten bei minus 113 Grad?
Carolin Schäfer:
Erschreckend lange! Das fühlt sich an wie eine Gefriertruhe, in der man die ganze Zeit Qualm vor Augen hat. Meine Trainingspartnerin Claudia Rath hat mich zwar beruhigt, dass es in der Kältekammer nicht so schlimm wird. Gereicht hat mir es dann aber schon. Für eine schnelle Regeneration habe ich das aber gern gemacht.
Sie sprechen es an: Sie haben diese spezielle Regenerationsmöglichkeit im Trainingslager in Kienbaum genutzt. Hat Sie Ihr Trainer Jürgen Sammert so geschunden, dass die Kältekammer nötig war?
Carolin Schäfer:
Wir haben vor der EM noch einmal einen Aufbaublock eingeschoben. Das ist notwendig, da man die Form von Mai bis August nicht halten kann. Und dieses Aufbautraining ist halt hart. Wichtig ist aber: Das Trainingslager hat super angeschlagen. Jürgen Sammert ist zufrieden, ich bin zufrieden. Die EM kann kommen!
In welchen Bereichen haben Sie zuletzt im Hinblick auf Zürich noch einmal besonders intensiv gearbeitet?
Carolin Schäfer:
Wir haben die Umfänge hochgeschraubt und auf der anderen Seite sehr viele detaillierte biomechanische Analysen gemacht, um die Technik noch einmal zu verfeinern. So sollen die letzten Zentimeter und Hundertstel herausgeholt werden.
In wenigen Tagen starten Sie im Leichtathletik-Mekka Letzigrund. Sind Sie schon nervöser als sonst?
Carolin Schäfer:
Nein, gar nicht. Die Vorfreude, das Kribbeln im Bauch steigt von Tag zu Tag. Zürich ist meine Belohnung für ein Jahr harter Arbeit. Schließlich ist es bei der Konkurrenz in Deutschland sehr schwer, überhaupt beim Saisonhöhepunkt dabei zu sein. Man darf nicht vergessen: Ich bin noch immer eine junge Athletin, die Erfahrungen sammelt.
Es ist Ihre zweite Europameisterschaft nach Helsinki 2012. Was hat sich in den zwei Jahren verändert?
Carolin Schäfer:
Eine ganze Menge. 2013 ging es zunächst mit den Leistungen bergab, ein Wehwehchen folgte dem nächsten. Das war nicht mein Jahr. Nichtsdestotrotz hatte vor der Saison die Form gepasst. Mit dem Wissen, was möglich sein kann, bin ich in die Vorbereitung auf den Sommer 2014 gestartet. Ich habe nicht diskutiert, sondern habe alle Einheiten voll durchgezogen. Manchmal bin ich über meine Grenzen gegangen, musste mich übergeben. Ich wollte immer oben mitmischen und bin nun froh, dort angekommen zu sein, wo ich bin.
Früher zählten Sie nicht zu den schnellsten Siebenkämpferinnen. Mittlerweile haben Sie sich stark verbessert, was Ihnen im Hürdensprint und über 200 Meter zugutekommt. Auch der Weitsprung profitiert. Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis für die Steigerung auf 6.386 Punkte?
Carolin Schäfer:
Das kann man so sagen. Wir haben unheimlich viel an der Schnelligkeit gearbeitet. Die ist einfach Basis für den Siebenkampf. Dafür habe ich auch einiges abgenommen, knapp fünf Kilo in rund zehn Wochen. Das schlägt sich natürlich in den Zeiten nieder und ist ein Grund für die Steigerung.
Welche Punktzahl, welche Platzierung haben Sie für die EM im Kopf?
Carolin Schäfer:
Vor zwei Jahren war ich Zehnte in Helsinki, diesmal peile ich einen Top-Acht-Platz an. Außerdem würde ich gern wieder mindestens 6.300 Punkte machen und mein Götzis-Ergebnis bestätigen.
In Zürich werden die besten beiden Siebenkämpferinnen Europas fehlen. Die Britin Katarina Johnson-Thompson ist verletzt. Die Niederländerin Dafne Schippers konzentriert sich auf die Sprints. Kann da nicht sogar ein Platz weiter vorn möglich sein?
Carolin Schäfer:
Natürlich ist es möglich. In einem Siebenkampf schaut man aber nicht ständig auf die Konkurrenz. Vielmehr konzentriert man sich in jeder Disziplin auf seine Leistung, um am Ende die optimale Punktzahl rauszuholen.
Wer sind Ihre persönlichen Favoritinnen auf eine EM-Medaille?
Carolin Schäfer:
Als Erstes Nadine Broersen. Als Hallenweltmeisterin im Fünfkampf hat sie ihr Können schon gezeigt. Zwei Siebenkämpfe in diesem Sommer mit mehr als 6.500 Punkten zeigen, wie konstant sie ist. Gespannt bin ich auch auf die junge Belgierin Nafisatou Thiam. Sie ist zwar erst 19, hat sich aber zuletzt toll entwickelt. Dahinter ist das Feld dicht beieinander. Dazu gehören auch meine Team-Kolleginnen Claudia Rath und Lilli Schwarzkopf. Ihre Erfahrung ist ein großer Pluspunkt bei einem so langgestreckten Siebenkampf.
In Zürich bilden Sie mit Ihrer Frankfurter Vereinskollegin Claudia Rath ein „Siebenkampf-Doppelzimmer“. Sind Sie im Stadion eigentlich Freundinnen oder Konkurrentinnen?
Carolin Schäfer:
Das ist trotz der Konkurrenz immer noch eine Freundschaft. Es ist wichtig, sich gemeinsam über gute Leistungen zu freuen oder sich bei schlechteren Leistungen Mut zuzusprechen.
Was können Sie von Ihrer sechs Jahre älteren Trainingspartnerin lernen?
Carolin Schäfer:
Zunächst kann ich mir einiges abschauen. Auf den 800 Metern oder im Weitsprung, ihren stärksten Disziplinen. Außerdem bewundere ich ihre Ruhe, selbst bin ich im Wettkampf sehr impulsiv. Sie holt mich dann immer wieder zurück auf den Boden. In einem Siebenkampf ist eine tolle Leistung in einer Disziplin nicht viel wert. Abgerechnet wird erst nach zwei langen Tagen. Diese Geduld im Wettkampf und in vielen Trainingsstunden hat mich weitergebracht.
Und was kann Sie von Ihnen lernen?
Carolin Schäfer:
Ich bin für sie eine gute Trainingspartnerin bei Tempoläufen, weil ich einen kleinen Tick schneller bin. Auch im Speerwurf kann sie sich ein bisschen was abschauen.
Sie mussten den Siebenkampf Ende Juni in Ratingen nach dem ersten Tag abbrechen. Wie geht es dem verletzten Kreuzbein mittlerweile?
Carolin Schäfer:
Das ist auskuriert, ich bin voll belastbar. Das hat das Trainingslager in Kienbaum gezeigt, es gab keine Probleme.
Bei der DM Ende Juli in Ulm gab’s die EM-Generalprobe. Sind Sie zufrieden mit Ihren Ergebnissen?
Carolin Schäfer:
Ganz klar (lacht). Ich wollte über 100 Meter Hürden noch einmal unter 13,50 Sekunden bleiben. Das ist mir in Ulm trotz müder Beine gleich zweimal gelungen. Der sechste Platz mit 13,33 Sekunden war dann das i-Tüpfelchen. Vielleicht geht es in Zürich sogar noch ein wenig schneller. Im Weitsprung hatten wir durch die Gewitterpause Pech. Dafür gehen die 6,04 Meter in Ordnung.
Schauen wir ein bisschen weiter: Wo steht die Siebenkämpferin Carolin Schäfer in zwei Jahren?
Carolin Schäfer:
Hoffentlich noch ein bisschen weiter vorn in den Punktetabellen. Nach dieser Saison muss mein Ziel die Olympischen Spiele 2016 in Rio sein. Bis dahin sollte es Richtung 6.500 Punkte gehen. Dieses Jahr hat mir viel Kraft auf dem Weg dorthin gegeben.
<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift