Muhammad Ali, Boris Becker, Horst Dassler – Werner Konrad Graf von Moltke hat sie alle kennengelernt. Nach seiner Zehnkampf-Karriere wurde der Europameister von 1966 Spitzenfunktionär beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und Deutschen Volleyball-Verband (DVV). Am Dienstag feiert der erste deutsche 8.000-Punkte-Zehnkämpfer seinen 80. Geburtstag.
Der Weg in die Sport-Geschichtsbücher am 14. September 1962 war für Werner von Moltke, der am Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, verbunden mit einer schmerzhaften Niederlage: Nach neun Disziplinen des EM-Zehnkampfes 1962 in Belgrad (heutiges Serbien) lag der 26-Jährige mit 7.665 Punkten der damaligen Wertung in Führung vor Vasiliy Kuznetsov (7.621 Punkte), dem sowjetischen Europameister von 1954 und 1958. Die Entscheidung um Gold fiel im abschließenden 1.500-Meter-Rennen, in dem die Medaillenkandidaten allerdings nicht in einem Lauf, sondern in drei verschiedenen antreten mussten.
Der spätere Dritte Manfred Bock im ersten, von Moltke im zweiten und der ehemalige Weltrekordmann Kuznetsov im dritten Lauf. „Der Russe hatte den Vorteil, Moltkes Zeit vor seinem eigenen Lauf zu kennen. Darüber hinaus versuchte Kuznetsovs Landsmann Yuriy Dyachkov den Deutschen zu stören und zu bremsen“, erinnerte sich Reporter-Legende Gustav Schwenk einmal an die knappe Entscheidung um den EM-Titel 1962.
Krönung in Budapest
Diese Aktion genügte, um von Moltke (4:46,9 min) entscheidend zu bremsen, da der Europarekordmann im folgenden Lauf 4:41,0 Minuten rannte und so mit der Winzigkeit von vier Punkten Vorsprung siegte. Werner von Moltke blieb der Trost, dass er mit 8.022 Punkten (10,7; 7,03; 14,93; 1,80; 49,7; 14,8; 49,41; 4,25; 56,17; 4:46,9) als erster Deutscher nach damaliger Wertung mehr als 8.000 Zähler schaffte (heutige Wertung: 7.637 Punkte). Außerdem änderte die IAAF nach der EM die Regeln. Seither gilt, dass im Zehnkampf die Besten vor der letzten Disziplin im selben 1.500-Meter-Lauf antreten müssen.
Vier Jahre später folgte die Krönung für von Moltke. Denn nach der EM in Budapest hieß es: „Der Graf wurde endlich König.“ Es war ein ganz besonderer Zehnkampf für den DLV. Denn in Ungarns Hauptstadt wurden gleich drei bundesdeutsche Fahnen gehisst. Von Moltke (7.740 Punkte: 11,0; 7,18; 15,55; 1,85; 50,1; 15,1; 45,74; 4,20; 62,96; 4:53,5) siegte vor Jörg Mattheis (7.614 Punkte), die beide für den USC Mainz starteten, und Horst Beyer (7.562 pt) vom VfL Wolfsburg. Und darüber hinaus wurde der 19-jährige Sachse Max Klauß (7.446 Punkte) fünf Jahre vor seinem EM-Weitsprungsieg noch Vierter.
Kurz vor Rom ausgebootet
Noch länger als seine Karriere als Zehnkämpfer (1957 bis 1972) sollte sein Wirken als Sportfunktionär andauern. Dabei wollte Werner von Moltke eigentlich nie Funktionär werden. „Ich war immer ein bisschen gegen sie“, erzählte er kurz vor seinem 80. Geburtstag von merkwürdigen Ungereimtheiten bei der Olympia-Qualifikation 1960. In einem nächtlichen Telefonat hatte ihm damals NOK-Präsident Karl Ritter von Halt mitgeteilt, dass nicht er, sondern Klaus Grogorenz der dritte Zehnkämpfer des gemeinsamen deutschen Teams in Rom sein werde.
Darauf hatten sich die beiden deutschen Leichtathletik-Verbände nach langen Verhandlungen geeinigt. Dabei war der Ostberliner bei der Olympia-Qualifikation in Schweinfurt disqualifiziert worden. „Es tut schon sehr weh, wenn man schon für die Spiele einkleidet ist und dann nicht teilnehmen kann“, erinnerte sich von Moltke einmal an die Vorkommnisse von 1960. Auch vier Jahre später in Rom war er nach einer Verletzung nicht dabei. Sein Olympia-Debüt sollte von Moltke erst mit 32 Jahren feiern: Doch 1968 in Mexiko musste er schon nach zwei Disziplinen verletzt aufgeben.
Memoiren sind in Arbeit
Nach seiner aktiven Laufbahn wurde Werner von Moltke Sportchef bei Adidas und baute ein imposantes Netzwerk auf. Adidas-Patron Horst Dassler, Box-Ikone Muhammad Ali, Tennis-Legende Boris Becker – von Moltke sprüht nur so vor Bekanntschaften und Anekdoten. „Ich bin gerade dabei, meine Erinnerungen zu sortieren und ein bisschen niederzuschreiben“, kündigte er an.
Werner von Moltke hat eine Menge erlebt – auch als Funktionär. 1989 wurde er als Sprecher der Spitzenvereine Vize-Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Nach seinem Ausscheiden 1997 führte er den Deutschen Volleyball-Verband (DVV) bis 2012. Olympia-Gold der Beachvolleyballer Jonas Reckermann und Julius Brink in London waren seine Krönung.
Otto Schily: „Ein Positiv-Verrückter“
„Das war ein super Abschluss“, erinnerte er sich. „Für mich war er kein Präsident, sondern ein väterlicher Freund“, sagte Brink nach seinem Triumph. Und der frühere Bundesinnenminister Otto Schily meinte über von Moltke einmal: „So einen positiv verrückten und durchsetzungsstarken Präsidenten wünsche ich mir auch für andere Sportverbände.“
„Ich habe sehr viel erlebt, sehr viele Menschen kennengelernt. Ich bin sehr zufrieden“, sagte der Jubilar rückblickend, der schon seit mehr als 40 Jahren in Nieder-Olm bei Mainz lebt. Am Dienstag wird im familiären Kreis gefeiert, am Samstag mit rund 100 Gästen. „Alles Freunde“, betonte von Moltke. Es dürfte ein Stelldichein deutscher Sportprominenz werden. Denn von Moltke war ein Tausendsassa, Kontakte wie er haben wohl nur wenige.
„Der letzte Mohikaner“
Seine Familie darf zwischen allen Terminen und Verpflichtungen aber nie zu kurz kommen. „Ich bin der letzte meines Stammes, der letzte Mohikaner“, erzählte er schmunzelnd. Der Zehnkampf-Europameister geht aus dem dänischen Zweig des Adelsgeschlechts Moltke hervor. Mit den bekanntesten Vertretern der Familie – Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (Generalfeldmarschall im deutsch-französischen Krieg 1870/71) und Helmuth James Graf von Moltke (dem Begründer des „Kreisauer Kreises“ und Widerstandskämpfer gegen Hitler) – ist er allerdings nicht blutsverwandt.
Der Stammbaum soll weiter gedeihen. „Ich habe ihnen den Auftrag gegeben, sich zu vermehren“, sagte er lachend mit Blick auf seine drei Kinder. Sie sind der Forderung nachgekommen. Acht Enkel hat von Moltke mittlerweile. Eine Hausboottour von Rostock nach Berlin mit der ganzen Familie ist in Planung. „Das muss gut koordiniert werden“, erzählte von Moltke – und ist auch mit 80 Jahren als Organisator und Strippenzieher ganz in seinem Element.
Mit Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa)