| Interview

Dieter Adler: „Leichtathletik noch nicht telegen genug“

Dieter Adler wurde kürzlich für sein Lebenswerk geehrt. Im Interview mit leichtathletik.de blickt der frühere ARD-Kommentator zurück und schildert seine aktuelle Sicht der Dinge.
Michael Wiener

Dieter Adler war 32 Jahre die Stimme der Leichtathletik. Von 1971 bis 2002 moderierte er für die ARD die Leichtathletik-Wettbewerbe, darüber hinaus war er bei vielen Veranstaltungen als Moderator und Sprecher im Einsatz.

Kürzlich hat er vom Verband Deutscher Sportjournalisten den Preis für sein Lebenswerk erhalten - als erst vierter Sportjournalist überhaupt. Bereits 2006 ist er mit dem Medienpreis des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ausgezeichnet worden. Der 79-Jährige lebt heute mit seiner Frau Heike in Hannover.

Im Gespräch mit leichtathletik.de erzählt Dieter Adler von bewegenden Ereignissen in seiner journalistischen Laufbahn wie dem Anschlag bei den Olympischen Spielen 1972 in München, wie der Herzinfarkt während der Leichtathletik-WM 1999 sein Leben verändert hat, warum für ihn das Ausmaß des Doping-Skandals nicht überraschend kommt und wie er die aktuelle Situation in der Leichtathletik sieht.

Dieter Adler, Sie haben kürzlich den Deutschen Sportjournalistenpreis für Ihr Lebenswerk erhalten. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

Dieter Adler:

Das ist eine schöne und ehrenvolle Auszeichnung. Ich empfinde Freude und Genugtuung. So viele Auszeichnungen bekommt man nicht. Es freut mich, dass anerkannt worden ist, was man versucht hat, im beruflichen Leben gut zu machen. Es war eine sehr schöne Veranstaltung in Hamburg. Mein ehemaliger Kollege Gerd Rubenbauer hat die Laudatio gehalten, sehr menschlich und warm. Schön war es, mit ehemaligen Spitzenathleten zu plaudern, beispielsweise mit Heike Henkel und ihrem Mann Paul Meier und auch Lars Riedel. Das waren Athleten, die ich eine lange und interessante Zeit meines Berufsweges begleiten durfte.

Sie haben Ihre berufliche Laufbahn mittlerweile beendet und leben mit Ihrer Frau in Hannover. Wie gestalten Sie Ihre Zeit?

Dieter Adler:

Ich lebe so, wie es mir und meiner Frau in den Sinn kommt. Wir sind guter Gesundheit und haben keine beruflichen oder zeitlichen Zwänge. Wir essen, trinken, lesen, schlafen, gehen ins Kino, fahren gelegentlich weg und so weiter (lacht). Wir genießen unser Leben.

Ganz am Anfang ihrer journalistischen Laufbahn stand das Volontariat beim Hessischen Rundfunk, das Sie 1960 begonnen haben. Wie kam es für Sie dazu?

Dieter Adler:

Mein Interesse am Fernsehen und am Sport war schon immer sehr groß. Ich habe Fußball, Tischtennis und lange Basketball gespielt, bin geschwommen und habe auch Leichtathletik betrieben, am ehesten Sprint und Weitsprung. Aber ich war nie gut und immer zu faul zu trainieren. Der Wettkampf, der Zweikampf und der Einsatz der Sportler, etwas besser zu machen als zuvor, hat mich aber fasziniert. Durch einen privaten Kontakt kam ich zum HR. Ich habe dann mein Hobby zum Beruf gemacht.

Sie waren nicht nur im Sport im Einsatz, sondern haben auch Aktuelles gemacht. Insgesamt betrachtet: An welche Ereignisse denken Sie heute insbesondere zurück?

Dieter Adler:

Da gibt es natürlich Vieles. Die Castor-Transporte nach Gorleben habe ich für den NDR begleitet. Während des Unglücks von Tschernobyl hatte ich Dienst im Hörfunk. Am Abend der Maueröffnung in Berlin war ich Moderator in einer Hörfunksendung im NDR in Hannover, diese Stunden vergisst man nicht. Und dann natürlich die Olympischen Spiele in München. Es waren tolle, fantastische Spiele. Ich war am Abend nach dem Sieg von Ulrike Meyfarth in einem Klub mit einigen Athleten zusammen gewesen  - und dann das Attentat am nächsten Tag. Es war furchtbar.

Sie waren bei sechs Olympischen Spielen im Einsatz. Welche waren für Sie die schönsten?

Dieter Adler:

Das war 2000 in Sydney. Die Menschen in diesem Viel-Nationen-Staat waren unglaublich freundlich und herzlich. Und dann natürlich die Wettkämpfe. Besonders bewegend war der Lauf von Cathy Freeman, die für ihr Volk, die Aborigines in Australien, den Olympiasieg wollte und erreichte.

Natürlich haben Sie auch mit vielen großartigen Sportlern zu tun gehabt.

Dieter Adler:

Es war schön, viele Persönlichkeiten erlebt, kennengelernt und gesprochen zu haben. Ich habe Carl Lewis in Los Angeles getroffen, Pele in Sao Paolo. Heide Ecker-Rosendahl, Heike Henkel, Ulrike Meyfarth - alles wunderbare Leichtathleten. Ich habe immer noch ein herzliches Verhältnis zu Dieter Baumann. Bei den Namen Henkel und Baumann fallen mir natürlich die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona ein, als Heike und Dieter binnen einer Viertelstunde Olympiasieger geworden sind. Meine Frau heißt ja auch Heike, das war natürlich weniger bekannt. Gerd Rubenbauer hat dann bei der Abmoderation gesagt: Die Namen des Tages heißen Dieter und Heike. Ich musste laut lachen.

32 Jahre lang haben Sie Leichtathletik moderiert und waren bis auf zwei Ausnahmen bei allen internationalen Meisterschaften in dieser Zeit im Einsatz. Was begeistert Sie an der Leichtathletik?

Dieter Adler:

Laufen, werfen, springen - das ist die Grundlage von 99 Prozent der Sportarten. Das hat mich schon von kleinauf fasziniert. Die Disziplinen sind so unterschiedlich - und doch so verwandt. Meine Favoriten waren immer der Hoch- und der Stabhochsprung.

Sie haben in dieser Zeit sicherlich viele positive Erfahrungen gesammelt. Einen Schock gab es jedoch während der WM 1999 in Sevilla, als Sie einen Herzinfarkt erlitten haben. Wie kam es dazu?

Dieter Adler:

Das war sicherlich ein Warnschuss. Es war die Folge von viel Stress, viel Rauchen und einem zu ungesunden Lebensstil. Ich hatte eine hervorragende ärztliche Betreuung, die Anteilnahme von Kollegen und der Leichtathletik-Mannschaft war groß. Schon in der folgenden Hallensaison war ich wieder dabei. Heute rauche ich nicht mehr, ernähre mich wesentlich bewusster und lebe gesünder.

Auch nach Ihrer Zeit bei der ARD sind Sie der Leichtathletik bei einigen Spezialmeetings als Sprecher treu geblieben.

Dieter Adler:

Es war schön, Menschen auch auf diese Weise zu bewegen. Bei Stabhochsprung-Meetings in Hof, Berlin oder Norderney habe ich moderiert, auch bei großen Meetings wie beispielsweise dem Istaf in Berlin. Zuletzt war ich nur noch in Arnstadt im Einsatz, wo ich seit 1990 als Hallensprecher beim dortigen Hochsprung-Meeting mit Musik tätig war. Leider gab es im vergangenen Jahr wohl die letzte Auflage.

Sie hatten dadurch die Möglichkeit, nach Ihrer Pensionierung noch zu arbeiten. Was hat Sie auch im hohen Alter dazu angetrieben?

Dieter Adler:

Erstens natürlich die Faszination der Leichtathletik. Und dann hat es mir die Chance ermöglicht, beruflich nicht von 100 auf null gehen zu müssen. Ich habe neben den Veranstaltungsansagen auch zwei Jahre für Premiere die Golden League-Meetings moderiert. Diesen gleitenden Übergang ins Rentendasein habe ich sehr genossen. Heute bin ich aber sehr froh, dass es vorbei ist. Jetzt ist ein anderer Lebensabschnitt, und ich genieße die Zeit ohne berufliche Verpflichtungen.

Werden Sie auf der Straße noch erkannt? Sie waren ja schließlich vor vielen Jahren einer der ersten  Moderatoren der ARD-Sportschau.

Dieter Adler:

Durch die langjährige Leichtathletik-Übertragung war eher meine Stimme bekannt. Manchmal drehen sich die Leute heute noch um, wenn Sie meine Stimme hören.

Welchen Bezug haben Sie heute noch zur Leichtathletik?

Dieter Adler:

Ich bin ganz selten bei Veranstaltungen. Im Fernsehen verfolge ich es jedoch regelmäßig. Es gibt aus deutscher Sicht eine ganze Reihe junger, guter Athleten, die mir Spaß machen. Aber das Ganze wird natürlich überlagert von dem handfesten Doping-Skandal.

Ist dieser Doping-Skandal für Sie in der Größenordnung überraschend?

Dieter Adler:

Nein. Ich habe sehr viel gehört und gesehen und manches erzählt bekommen. Wenn ich jedoch gefragt habe: Bestätigst du das? Dann hieß es immer: Nein, um Gottes Willen. Ich konnte also als Reporter nichts sagen. Wir haben nur ins Mikrofon sprechen können: Hoffentlich ist dieses Ergebnis sauber erzielt. Oder wir konnten auf Dopingsperren hinweisen. Die Befürchtung und das Wissen waren aber immer da. Ich habe mal einen Athleten der damaligen UdSSR am Flughafen vor einem Wettkampf getroffen, der einen Tag später als die Mannschaft anreiste. Er war leicht alkoholisiert. Wir kannten uns. Also fragte ich ihn, warum er nicht mit dem Team geflogen war. Er sagte, dass er einen Tag vorher getestet worden war. Jetzt sei er sauber, also könne er starten. Das ist ein kleiner Beweis, was da alles im Gange war. Jedem muss klar sein: Der Sport ist keine heile Welt, er spiegelt nur die Situation in der Gesellschaft wider. Wenn die natürlichen Grenzen nicht reichen, wird mit körperfremden Mitteln nachgeholfen. Das wird immer so sein. Allerdings ist vielen führenden Köpfen in den internationalen Sportorganisationen Rekord-, Gewinnstreben und Gigantismus vorzuwerfen, womit sie den Griff zu unerlaubten Mitteln geduldet, oft sogar gefördert haben.

Lassen wir nochmal das Thema Doping außen vor. Ihr früherer Kollege Wolf-Dieter Poschmann hat in einem Interview kürzlich gesagt, dass die Leichtathletik darunter leide, dass es zu wenige Gesichter und Geschichten gibt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Dieter Adler:

Das sehe ich nicht so. Es gibt genügend Geschichten und Gesichter. Man muss sie nur aufsuchen und finden. Man darf sich nicht von einer Maske leiten lassen. Es gibt viele deutsche Gesichter und Figuren. Doch eines muss ich sagen: Die Zahl der illustren Persönlichkeiten, zu denen ich beispielweise Carl Lewis zähle, ist zurückgegangen.

Was kann die Leichtathletik tun, um im Fernsehen wieder mehr Aufmerksamkeit zu erhalten?

Dieter Adler:

Es hat schon einige Reformen gegeben, aber selbst in der aktuellen Form ist die Leichtathletik noch nicht telegen genug. Die Verbände sind hier gefordert. Sie müssen sich überlegen, wie sie ihre Spitzensportler besser ins Rampenlicht rücken. Vereinen und Trainern muss klar sein, dass es nicht reicht, wenn die Athleten ein-, zweimal im Jahr Höchstleistungen bringen und sich ansonsten in Trainingslagern verstecken. Manfred Germar [Anm. d. Red.: ehemaliger Sprinter] hat mal einen bemerkenswerten Satz gesagt: Wettkampf ist auch Training. Die Athleten werden zum Teil zu viel geschont und zu wenig präsentiert. Zudem kann es nicht sein, dass der deutsche Meistertitel das höchste Ziel ist. Ein deutscher Spitzenathlet braucht höhere Ziele. Die Probleme fangen aber schon ganz woanders an. Zum Beispiel könnte im Schulsport Vieles besser sein. Entscheidend ist aber die Glaubwürdigkeit des Sports. Da muss die IAAF sich von innen heraus erneuern, damit die Distanz der Öffentlichkeit auch zur deutschen Leichtathletik nicht noch größer wird.

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