| Podiumsdiskussion

Experten diskutierten über Zukunft der Leichtathletik

Wo steht die deutsche Leichtathletik im Jahr 2014? Wie sieht ihre Zukunft aus? Diese Frage diskutierten am Montagabend im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum Experten auf Einladung der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG).
Martin Neumann

ZDF-Moderator und Ex-Langstreckenläufer Wolf-Dieter Poschmann, der durch den Abend führte, grenzte das weite Feld ein wenig ein. Die Kernfrage kristallisierte sich schnell heraus. Sie lautete: Wie kann man der Leichtathletik in Deutschland einen Attraktivitätsschub verpassen?

Format Diamond-League funktioniert nicht

Ein Hauptproblem benannte Frank Hensel schonungslos. Für den Generaldirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) „ist die Diamond League eine mittlere Katastrophe“. Das Premium-Produkt des Welt-Leichtathletik-Verbandes IAAF sei kein Format, das funktioniert. Hauptproblem: Die fehlende Identifikation mit den Athleten.

„Mit der Diamond League lockt man niemanden hinter dem Ofen hervor“, so Hensel. Er verwies auf den Wintersport. Dort sei es im Gegensatz zur Leichtathletik gelungen, dass auch die „Plätze sechs, neun oder elf gewürdigt werden“. Zudem sei es nur schwer nachvollziehbar, „warum die bekanntesten Leichtathleten wie die Sprinter Usain Bolt und Yohan Blake vor einem Großereignis nicht gegeneinander laufen. So etwas leiste sich keine andere Sportart“.

Vergleich zum Wintersport misslingt

Christian Ermert, Chefredakteur der Fachzeitschrift „Leichtathletik“ begründete, warum es in Deutschland nie Verhältnisse wie im Wintersport geben wird: „In der Leichtathletik prallen die Interessen von mehr als 200 Ländern aufeinander. Im Wintersport sind nur Europa und Nordamerika beteiligt. Da ist es viel einfacher, einheitliche und für die Zuschauer nachvollziehbare Wertungen wie den Weltcup aufzubauen.“

Der ehemalige Mittelstreckler schlug als Vision vor, die 47 Disziplinen in Gruppen zu unterteilen, die auf mehreren Stationen in einer Art Weltcup ihre Besten ermitteln. Der Vorteil: Die Zuschauer im Stadion und am TV-Gerät wissen genau, dass immer dieselben Top-Athleten starten. Die Identifikation steigt. Allerdings, so warnte Hensel, würde das an den Grundfesten des Leichtathletik-Systems rütteln.

Bekanntheitgrad ausbaufähig

Wie es um den Bekanntheitsgrad von Top-Leichtathleten in der Gesellschaft bestellt ist, beschrieb Jennifer Oeser. Die Siebenkämpferin vom TSV Bayer 04 Leverkusen musste zuletzt im durchaus sportaffinen Freundeskreis feststellen, dass Personen wie Diskus-Olympiasieger Robert Harting oder Kugelstoß-Doppelweltmeister David Storl unbekannt sind.

Auf die Nachfrage vom gut informierten und schlagfertigen Wolf-Dieter Poschmann, ob sie sich deswegen Sorgen um die Sportart mache, antwortete sie. „Ich habe noch keine schlaflosen Nächte, doch die Leichtathletik muss wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen rücken.“

Wellmann: Respekt vor jedem, der Leichtathletik betreibt

Mindestens bis nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio kann Oeser auf die Unterstützung des Bayer-Konzerns durch ihren Verein bauen. So macht sich TSV-Leichtathletik-Chef Paul Heinz Wellmann auch (noch) keine Sorgen um die Sportart. Doch der Olympia-Dritte von 1976 über 1.500 Meter gestand ein, dass „sich die Zeiten geändert haben“. „Wir haben früher Sport und Ausbildung vorangetrieben, ohne große Zukunftsängste zu haben. Mittlerweile ist das anders, ich habe großen Respekt vor jedem, der Leistungssport betreibt“, sagte Wellmann offen.

Die gesellschaftlichen Veränderungen machen auch vor dem Leverkusener Großverein nicht Halt. Kehrten viele Jugendliche noch früher mit 19 Jahren der Leichtathletik den Rücken, so liegt das klassische „Drop-out-Alter“ momentan bei 18 Jahren. Der wichtigste Grund: das Turboabitur. Mit diesem Phänomen ist die Leichtathletik nicht allein. Mittlerweile stellt mehr als die Hälfte der deutschen Fußballvereine keine A-Jugend-Mannschaft mehr.

Andreas Gentz, Cheftrainer beim LT DSHS Köln, fügte hinzu, dass sich auch die Verweildauer im Verein drastisch verringert hat: „Waren es früher vier bis fünf Jahre, sind es heute manchmal nur noch sechs Monate.“ Dabei ist der Weg bis an die internationale Spitze ein langer und nicht im Sprint zu erreichen. „Wenn man nicht das Über-Talent ist, muss man dafür schon 10.000 bis 15.000 Trainingsstunden veranschlagen“, so Gentz.

Weg zu großen Geldtöpfen wird steiniger

Für ihn besteht die Schwierigkeit, Spitzenathleten angemessen zu unterstützen. Selbst Athleten mit Einsätzen in Nationalmannschaft sind betroffen. Da die Sponsorenlage in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden ist, geht der Kölner Verein einen ausgefallenen Weg: Die über Laufveranstaltungen erzielten Gewinne fließen in den Spitzensport.

Schon ab 2015 könnte sie die Finanzlage für Vereine wie Sportler etwas entspannen. Durch die von Robert Harting mitinitiierte „Deutsche Sportlotterie“ soll nicht nur die Sporthilfe-Förderung der Athleten in Zukunft verdoppelt werden, auch Vereine profitieren. Acht Prozent von jedem Los, das Vereinsmitglieder erwerben, soll zurück an den Verein fließen. Ein Anfang, um Talenten eine Zukunft im Spitzensport zu sichern. Denn der Weg zu den ganz großen Geldtöpfen der Leichtathletik – sollte sie in der Diamond League oder anderswo verteilt werden – wird steiniger denn je.

Thesen der Podiumsrunde „Quo vadis deutsche Leichtathletik?“

Jennifer Oeser (Siebenkämpferin beim TSV Bayer 04 Leverkusen; WM-Zweite 2009, WM-Dritte 2011)

„Wir haben genug Siegertypen in der deutschen Leichtathletik. Ich hatte Tränen in den Augen, als Antje Möldner-Schmidt als Europameisterin durchs Ziel gelaufen ist.“

Frank Hensel (Generaldirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes)

„Wir wollen auch in Zukunft mit Großereignissen in Deutschland für sechs bis neun Tage dauerpräsent mit der Leichtathletik sein.“

Christian Ermert (Chefredakteur der Fachzeitschrift „Leichtathletik“)

„Die Zeit des Gießkannenprinzips im Sponsoring sind längst vorbei. Es gibt kein funktionierendes Format einer Meetingserie, das für große Sponsoren attraktiv ist. Die Firmen bewerten knallhart, was sie für ihr Geld bekommen.“

Paul Heinz Wellmann (Geschäftsführer Leichtathletik-Abteilung des TSV Bayer 04 Leverkusen)

„Wir müssen schauen, in welchen Disziplinen internationale Medaillen machbar sind. Innovationen und technisches Know-how sind unsere Stärken, auf die wir setzen müssen.“

Andreas Gentz (Cheftrainer beim LT DSHS Köln)

„Wir müssen verhindern, dass Spitzenathleten abends noch kellnern gehen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“

Wolf-Dieter Poschmann (ZDF-Journalist, Ex-Langstreckenläufer und Moderator des Podiums)

„Die Sehgewohnheiten des Fernsehpublikums hat sich stark verändert. Darauf muss sich auch die Leichtathletik einstellen. Sie ist genauso betroffen wie Schwimmen, Rudern oder Hockey.“

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