Im Alter von 17 Jahren weckte Fabienne Kohlmann (LG Karlstadt/Gambach/Lohr) 2007 als U20-Europameisterin über 400 Meter Hürden Hoffnung auf eine rosige Zukunft. Immer wieder wurde sie seitdem von Verletzungen ausgebremst. Bis jetzt. Über 800 Meter ist die 25-Jährige in die Weltspitze geprescht. In Nürnberg war sie am Sonntag die erste Athletin seit 1992, die Gold mit einer Zeit unter zwei Minuten (1:59,28 min) holte. Im Interview spricht die 25-Jährige über ihre aktuelle Super-Form, aber auch den steinigen Weg dorthin, auf dem ihre Münchener Trainingsgruppe und ihr Psychologie-Studium eine Hilfe waren.
Fabienne Kohlmann, herzlichen Glückwunsch zum DM-Titel. Nach schweren Jahren konnten Sie mit einer Zeit unter zwei Minuten im Grundig-Stadion groß auftrumpfen. Ist das eine Genugtuung?
Fabienne Kohlmann:
Genugtuung ist genau das richtige Wort. Es ist so schön, dass ich mich selbst wiedererkenne in meinem Lauf, in der Art und Weise, wie ich meine Wettkämpfe gestalte. Das hat nichts mit Verstecken zu tun. So war es in den letzten Jahren oft - wegen Verletzungen. Antesten gibt es nicht mehr. Jetzt bin ich stark und weiß, was ich kann. Mit dieser Einstellung gehe ich rein und das finde ich klasse.
Haben Sie erwartet, dass es in diesem Sommer so gut läuft?
Fabienne Kohlmann:
Nein, habe ich nicht. Im März, April habe ich mir gedacht: Fabienne, jetzt warst du wieder so lange verletzt. Du hast nicht trainiert. Wenn du eine 2:03 läufst, bist du total zufrieden mit dir. Jetzt ging es fünf Sekunden schneller.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Fabienne Kohlmann:
Den ersten Hinweis darauf, dass ich gar nicht so schlecht dastehe, gab es Ende März. Da hatte ich eine Leistungsdiagnostik. Wir waren erstaunt, dass der Ausdauerwert verhältnismäßig gut war und haben das darauf zurückgeführt, dass ich mir in den letzten Jahren eine Grundlage erarbeitet habe. Die geht nicht so schnell verloren. Richtig gemerkt, dass etwas geht, habe ich in Dessau. Das war ein Rennen, in dem ich mir gedacht habe: Lauf einfach mit. Du kannst nur gewinnen. Ich habe nicht damit gerechnet, auch das Rennen zu gewinnen.
Bei der Universiade ist es Ihnen dann gelungen, die Zwei-Minuten-Barriere zu knacken. Ein Ziel, auf das Sie jahrelang hingearbeitet haben. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Fabienne Kohlmann:
Ich hatte im Laufe der Saison festgestellt, dass ich etwas kann. Die Universiade war eine riesen Chance, das in einem guten internationalen Feld zu zeigen. Das war auch mein Anspruch. Es ist gelungen und ich war total froh.
Dann kam noch die Steigerung in Bellinzona auf 1:58,37 Minuten. Damit sind Sie endgültig in eine neue Liga aufgestiegen. Schauen Sie eigentlich auf die Weltbestenliste?
Fabienne Kohlmann:
Ja. Mein Stand der Dinge ist, dass ich Nummer fünf in der Welt bin. Das habe ich noch nie erlebt. Wenn das so bleibt, liebäugele ich natürlich mit dem WM-Finale. Aber: Das sind alles noch ungelegte Eier. Dennoch bin ich optimistisch. Ich habe genau wie alle anderen Athletinnen die Berechtigung, dort zu sein. So werde ich auch an die Sache rangehen. Ich bin auch eine Gute und nicht nur die anderen in der Welt.
Mit Christina Hering fährt eine Trainingskollegin mit Ihnen zur WM. Werden Sie Peking gemeinsam rocken?
Fabienne Kohlmann:
Das wäre klasse, wenn wir das machen. Es ist einfach toll, dass gerade Christina mitfährt. Wir haben im Winter die meiste Zeit zusammen trainiert. Es ist toll zu erleben, dass es nicht nur bei mir läuft, sondern auch bei ihr. Wir haben uns gemeinsam dafür gequält.
Sie trainieren in München bei Andreas Knauer und Daniel Stoll, neben Christina Hering auch gemeinsam mit Christine Gess und Karoline Pilawa. Ist diese starke Trainingsgruppe auch eine Zutat im Erfolgsrezept?
Fabienne Kohlmann:
Ich bin begeistert von meiner Trainingsgruppe. Das Gefühl ist toll. Es macht mir Spaß. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wieder allein zu trainieren. Da würde mir etwas fehlen.
Im vergangenen Jahr waren Sie mal wieder auf dem aufsteigenden Ast, dann kam wieder eine Verletzung dazwischen. Wie sind Sie mit diesem erneuten Rückschlag umgegangen?
Fabienne Kohlmann:
Die Verletzung hatte sich ein wenig angedeutet, mich dann aber doch kalt erwischt. Dass die Saison für mich völlig gelaufen war, hat mich sehr runtergezogen. Ich konnte mich allerdings gut fangen. Das lag auch daran, dass ich mir eine Art Notfallplan gemacht habe. Ich wusste, es wird eine schwierige Zeit für mich anfangen. Um nicht in ein Loch zu fallen, habe ich ein Verletzungstagebuch geschrieben. So hatte ich meine Fortschritte vor Augen. Ich habe zugesehen, dass ich beim Training nicht allein war. Ich habe die Programme so gestaltet, dass sie mir besonders Spaß gemacht haben. Ich habe mich ein bisschen mehr in die Uni gestürzt. Viele Maßnahmen also, um mich davor zu bewahren, in Lethargie zu verfallen.
Sie haben also Ihr Wissen aus ihrem Psychologie-Studium auf sich selbst angewendet?
Fabienne Kohlmann:
Ja genau, ich habe vor mir selbst die Psychologin raushängen lassen.
Haben Sie aus der Verletzungs-Zeit etwas mitgenommen?
Fabienne Kohlmann:
Dankbarkeit und Demut, endlich wieder laufen zu dürfen. Zu wissen: Jetzt geht es und das ist nicht selbstverständlich. Ich habe eine große Wertschätzung gewonnen. Selbst jetzt, wo ich eine Form habe wie noch nie, von der ich immer geträumt habe, bin ich mir bewusst, dass es schnell wieder vorbei sein kann. Deshalb genieße ich jeden Moment.
Also hat Ihr steiniger Weg an die Spitze auch etwas Gutes?
Fabienne Kohlmann:
Man sagt so schön: Man weiß nie, wozu es gut ist. Wer weiß. Vielleicht waren meine letzten Male auf die Nase fallen dazu gut, dass ich zum einen eine veränderte Einstellung zu meinem Sport und meiner jetzigen Form habe und auch dazu, dass ich eine sportliche Grundlage geschaffen habe.
Video:
<link video:12708>Fabienne Kohlmann und Christina Hering unter 2 Minuten