Der Fernseh-Journalist Hajo Seppelt hat mit seinem ARD-Beitrag zur systematischen Verschleierung von Doping in Russland in den vergangenen Wochen für Furore gesorgt. Im Interview spricht er von der Zusammenarbeit mit seinen wichtigsten Zeugen, der Notwendigkeit einer Kronzeugen-Regelung im Sport und den russischen Reaktionen auf seine Recherche.
Hajo Seppelt, Sie kommen gerade von Terminen beim WDR in Köln. Haben Sie auch in der dortigen Rechtsabteilung vorbeigeschaut?
Hajo Seppelt:
Das war nicht mehr notwendig. Alle Details waren zuvor sorgfältig recherchiert, mit der juristischen Abteilung besprochen und nach allen Seiten gedreht und gewendet.
Trotzdem wollen russische Sportfunktionäre ein Verfahren gegen Sie anstrengen. Nehmen Sie diesen Einschüchterungsversuch ernst?
Hajo Seppelt:
Ich habe die Reaktion fast erwartet. Allerdings weiß ich nicht, auf welcher Basis ein Verfahren angestrengt werden sollte. Wir haben klare Beweise in Form von Gesprächsmitschnitten und Videos vorgelegt.
Ein staatsnaher russischer TV-Sender hat berichtet, dass Ihre Recherche nur ein Racheakt auf das schlechte deutsche Abschneiden bei den Olympischen Winterspielen in Sochi gewesen sei. Russlands Leichtathletik-Chef Valentin Balakhnichev behauptet zudem, dass alle Aussagen im Film nicht der Wahrheit entsprächen, obwohl sie Beweise en masse in den Händen halten. Was denken Sie über solche Reaktionen?
Hajo Seppelt:
Der Beitrag im russischen Fernsehen war ja schon fast eine Komödie. Gleichzeitig stimmt es mich bedenklich, wenn staatsnahe Medien offenkundig ohne Recherche solche abenteuerlichen Erklärungen in die Welt setzen. Dazu kommt ein weiterer Punkt, der in russischen Medien angedeutet wurde: Wir sollen im Auftrag der Bundesregierung gehandelt haben. Da fragt man sich, auf welchem Stern sie leben.
Und was halten Sie von den Äußerungen Balakhnichevs. Er lässt ja seine IAAF-Ämter ruhen, bis alle Anschuldigungen geklärt sind …
Hajo Seppelt:
… wir reden hier von Dokumenten mit eindeutigen Bezügen zu seiner Person. Ich gehe davon aus, dass der Druck höchster IAAF-Kreise so groß geworden ist, dass dieser Schritt unumgänglich war. Das ist für ihn die elegantere Lösung als ein erzwungener Rücktritt. Interessant ist der Zeitpunkt: Der Rückzug kam nämlich nicht während der IOC-Session und der zeitgleichen Sitzung des IAAF-Executive Board in Monaco, sondern erst später, als alle Journalisten wieder abgereist waren.
Um den Aufwand klarzumachen: Wie lange hat Ihre Recherche gedauert, wie viele Kollegen waren beteiligt?
Hajo Seppelt:
Begonnen hat es im März nach den Olympischen Spielen in Sochi, allerdings als ergebnisoffene Recherche und nicht als einstündiges Filmprojekt. Aufgrund früherer Beiträge zu Doping-Themen wie „Full Size MGF“ oder „Xenon“ wurden in Russland Informationen an mich herangetragen. So zog das Thema immer weitere Kreise. Zunächst war ich mit einem Kamerateam und einem Übersetzer in Russland unterwegs, dazu hatte ich Unterstützung in der WDR-Doping-Redaktion durch Jochen Leufgens. Zum Schluss waren drei, vier Leute ständig am Thema dran. Da geht es parallel zum Film auch um juristische Fragen und exakte Übersetzungen. Am Ende war es tatsächlich ein sehr, sehr aufwändiger Film.
Wie kam es zum Kontakt mit den Zeugen um Yuliya Stepanova und Liliya Shobukhova?
Hajo Seppelt:
Bei Shobukhova habe ich einen Hinweis aus Leichtathletikkreisen bekommen und sie daraufhin kontaktiert. Das Ehepaar Stepanov ist auf mich aufmerksam geworden und hat sich selbst an mich gewandt.
Das Ehepaar Stepanov hat mit ihrem Sohn aus Angst Russland verlassen. Haben Sie oder die ARD dabei geholfen, im Ausland ein neues Leben aufzubauen?
Hajo Seppelt:
Das war eine Entscheidung der Familie, wir hatten damit nichts zu tun. Sie wollten sauberen Sport, das war in Russland nicht möglich. Sie haben die Hoffnung, dass es woanders möglich ist. Wir haben die Stepanovs auch weder aufgefordert noch dafür bezahlt, dass sie uns Video- oder Audiobeweise zur Verfügung stellen. Die haben sie uns vorgelegt, weil sie wussten, dass sie ihre Anschuldigungen beweisen müssen. Die ersten Beweise haben sie übrigens schon 2013 gesammelt, also lange vor dem ersten Kontakt zu mir. Unterstützung gab es für die Familie von Dritten. Zum Glück gibt es Menschen in Europa, die Leuten wie den Stepanovs helfen wollen. Für mich sind sie die wichtigsten Whistleblower der Sportgeschichte.
Lebt die Familie denn mittlerweile in Wien oder wurden dort nur die Aufnahmen für einen Folgebeitrag der Dokumentation gemacht?
Hajo Seppelt:
Zum Aufenthaltsort der Stepanovs geben wir keine Stellungnahme ab.
In Deutschland wird bald ein Anti-Doping-Gesetz beschlossen. Eine Kronzeugenregelung fehlt allerdings im Gesetzentwurf. Verbaut man sich damit die Chance, an stichhaltige Beweise von geständigen Dopern oder Whistleblowern gegen Doping-Drahtzieher zu gelangen?
Hajo Seppelt:
Das ist eine kluge Frage. Der Fall Russland sollte uns nachdenklich machen, ob wir ein Defizit in der Gesetzgebung haben werden und nicht so schnell wie möglich die Kronzeugenregelung implementieren sollten. Denn: Negative Dopingkontrollen sind kein Beleg für einen sauberen Sport. Das hat das Beispiel Russland mit aller Deutlichkeit gezeigt.
In einem Folgebeitrag bei „Sport Inside“ im WDR wurde Ihnen eine Liste mit Leichtathleten präsentiert, die auffällige Blutwerte aufwiesen. Darunter befand sich auch eine deutsche Leichtathletin. Kennen Sie den Klarnamen der Sportlerin?
Hajo Seppelt:
Wie kommen Sie darauf, dass es sich um eine Sportlerin handelt?
Wenn man sich die Filmsequenz ganz langsam anschaut, steht in der Spalte für Geschlecht ein „F“ für female.
Hajo Seppelt:
Wenn Sie daraus folgern, dass es sich um eine Frau handelt, werde ich das so unkommentiert lassen. Ja, ich kenne den Namen. Allerdings handelt es sich nicht um bewiesene Dopingfälle, sondern lediglich um Verdachtsfälle, die allerdings keinen anderen Rückschluss als Doping zulassen. So sieht es jedenfalls der von uns befragte Experte. Juristisch sieht es natürlich anders aus, da die Werte aus der Zeit vor dem Blutpass stammen und es damals noch keine sportrechtlichen Grundlagen gab. Uns ging es in dem Bericht auch nicht darum, Athleten an den Pranger zu stellen, sondern um aufzuzeigen, welches massive Dopingproblem die Leichtathletik schon seit langem hat und wie die IAAF damit umgeht.
IAAF-Sprecher Nick Davies hat den Beitrag als „Schande für den Sport“ bezeichnet, da Ihr Informant geheime Daten gestohlen hat und es sich um individuelle Werte handelt …
Hajo Seppelt:
… das ist völliger Unsinn. Es sind eine Reihe von Blutwerten enthalten, Hämatokritwerte, Hämoglobinlevel, Retikulozytenwerte und auch noch der kombinierte Off-Score. Also vier Parameter, die in vielen Fällen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Was soll daher das Ablenken von den Fakten? Mit dieser Reaktion – so glaube ich – soll nur von diesen Fakten abgelenkt werden. Das Spiel der Sportorganisationen ist immer dasselbe und wenig überraschend.
Nach neun Monaten Recherche: Haben Sie vorher geglaubt, dass es ein solches Doping-Dickicht in Russland gibt?
Hajo Seppelt:
Nein, erst als ich die Aussagen der Stepanovs gehört habe. Danach haben wir die Beweise des Ehepaars und der anderen Zeugen genau geprüft. Dann war klar: Es ist keine Fantasie, sondern die Realität im Hochleistungssport, in Russland, aber bestimmt nicht nur dort, wenngleich sicher in unterschiedlicher Graduierung.
Schafft die Leichtathletik sich selbst ab, wenn höchste Trainer- und Funktionärskreise mit involviert sind?
Hajo Seppelt:
Die Leichtathletik hat ein ähnlich großes Dopingproblem wieder Radsport. Der Radsport-Weltverband UCI hat gezeigt, dass man irgendwann auf der Rasierklinge reitet. Wenn die IAAF nicht für fundamentale Änderungen bereit ist, wird es ähnlich ausgehen wie beim Radsport. Wenn das IOC und die IAAF mutig und konsequent handeln würden, müssten sie aufgrund der erdrückenden Beweise Russland für einen gewissen Zeitraum von Wettkämpfen ausschließen.
Letzte Frage mit Bitte um eine kurze Antwort: Kann man noch sauber um Olympiamedaillen in der Leichtathletik mitlaufen?
Hajo Seppelt:
Mitlaufen kann man, gewinnen wird man aber wohl eher keine..
<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift