Speerwerfer Johannes Vetter (LG Offenburg) hat am Donnerstag beim Diamond League-Meeting in Oslo gleich im ersten Versuch einen Wurf auf 85,27 Meter abgefeuert. Der 26-Jährige setzte sich damit an die Spitze des Feldes, musste den Wettkampf nach einem ungültigen Wurf dann aber mit Schmerzen abbrechen – Erster wurde er dennoch. Wir haben mit dem Weltmeister über seine allgemeine Verfassung, die Situation der nationalen und internationalen Leichtathletik sowie die DM 2019 in Berlin gesprochen.
Gratulation zum bestandenen Comeback und Sieg in Oslo nach Ihrer Verletzungspause! Zufrieden?
Johannes Vetter:
Schon, nur mit der Weite nicht so, denn beim Einwerfen hatte ich mehr. Es war auch bitter, dass ich gleich nach dem ersten Wurf das Problem mit dem Adduktor bekam. Das Glück habe ich dieses Jahr noch nicht gefunden.
Sie haben den Wettkampf aufgrund von Schmerzen im rechten Adduktor abgebrochen, richtig? Wie ging es Ihrem linken Fuß, der Sie vorab mit einer Sehenenentzündung plagte?
Johannes Vetter:
Dem ging es bestens.
Wissen Sie schon mehr über den Hintergrund Ihrer Adduktoren-Schmerzen?
Johannes Vetter:
Der Arzt meinte, es ist eine Muskelzerrung. Auf dem Ultraschallbild war keine Einblutung und kein struktureller Schaden zu sehen, also nichts Größeres. Es hätte auch anders ausgehen können. Es wird mich ein bis zwei Wochen Training kosten, aber wir geben danach wieder Vollgas.
Fiel es Ihnen leicht, mit den Wettkämpfen bis Oslo zu warten?
Johannes Vetter:
Ich habe gelernt, dass ich gewisse Sachen einfach nicht beeinflussen kann und hinnehmen muss, wie sie eben sind. In Oslo ging es um die Punkte für das Diamond League-Finale und um meine Qualifizierung. Die Wettkämpfe in Jena und Turku kurz davor mitzunehmen wäre zu riskant gewesen. Wären beim ersten Werfen vor zwei Wochen Schmerzen aufgetreten, hätte ich vermutlich auch nochmal vier bis sechs Wochen warten müssen. Zum Glück war das aber nicht der Fall.
Mit wem stimmen Sie sich in der Regel ab?
Johannes Vetter:
Mit Boris, meinem Trainer, sowie mit meinen Physiotherapeuten und meinen Sportärzten.
Für Ihren Trainer Boris Obergföll sind Sie 2014 von Dresden nach Offenburg gezogen, was Ihnen einige übelgenommen haben.
Johannes Vetter:
Es ist schade, dass solche Reaktionen kamen. Mit 21 habe ich aber in Dresden leider keine sportliche Zukunft mehr gesehen, bin dann von der Polizei zur Bundeswehr gewechselt und nach Offenburg zu Boris. Ohne diesen Wechsel wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Von daher bereue ich keine Sekunde meine Entscheidung.
Damals gab es nicht wenige kritische Kommentare…
Johannes Vetter:
Das auch. Der damalige Laufbahnberater vom OSP hat zum Beispiel meine Entlassung bei der Polizei bekanntgegeben und subtil gefragt, warum sich jeder den Arsch für mich aufgerissen hat, wenn ich dann gehe. Fakt ist: Ich wurde nicht gut behandelt, andere fühlten sich aber von mir auch nicht richtig behandelt. Klar geht denen das nahe. Auch zu sehen, dass ihnen ein Talent abhanden gekommen ist, war sicher keine einfache Situation.
Seit 2014 werfen Sie den Speer 15 Meter weiter, hätten auch sprichwörtlich abheben können…
Johannes Vetter:
Ob das passiert hängt davon ab, wo du herkommst, wie du erzogen wurdest und wie dankbar du bist. Ich bin es, aber neuer Wettkampf heißt auch immer, alles von vorn.
Aktuell sind Sie amtierender Weltmeister im Speerwerfen. Wann ist hier in der Regel Schluss mit dem Profisport?
Johannes Vetter:
Mit 35 ist so langsam das Alter erreicht, wo das Ende absehbar ist. Ich weiß noch nicht, wo es danach hingehen wird. Das nervt mich selbst ein bisschen. Aber ich schaue jetzt mal, wie meine Arbeit im Offenburger Stadtrat anläuft.
Welcher Partei fühlen Sie sich als Freier Wähler nahe?
Johannes Vetter:
Ich bin bunt und sehe mich in der Mitte. Das ist wie im Sport. Er lebt von der Vielfalt, er verbindet. Rassismus ist da komplett fehl am Platz. International sind wir Werfer alle wie in einer Clique und auch immer höflich zueinander. Klar, ich verstehe mich auch nicht mit allen, aber ich höre mir an, was andere zu sagen haben.
Was wollen Sie in Offenburg konkret ändern?
Johannes Vetter:
Ich sehe mich als eine Art Sportbotschafter, denn hier gibt es keinen aktiven Leistungssportler, der politisch aktiv ist. Ich weiß, wie es in Dresden mit dem Sport läuft, wie hier in Offenburg und wie international. Insofern kenne ich mich etwas aus. Was den Volleyball angeht: In Offenburg spielt er in der zweiten Liga und jetzt gehts in die dritte, weil das Geld für den Aufstieg fehlt. Da sollte was passieren, zum Beispiel indem die Stadt mehr mit den Unternehmen in Kontakt tritt, die unterstützen könnten.
Gleiches gilt für die Leichtathletik…
Johannes Vetter:
Ja, das stimmt. Auch als Sportler muss man sich ein Stück weit verkaufen können. Fußballer bekommen zumindest eine Werbeplattform, wir Leichtathleten nicht. Dabei würde ich gern öfter für irgendwas Werbung machen. Ich habe bereits tolle Sponsoren, aber außer bei Powerstarfood liegt der Fokus meist nicht auf Werbekampagnen. Wichtiger ist natürlich aber ohnehin, was ich im Sport mache.
Trotzdem wollen Ihre Follower in den Sozialen Medien Sie gern privat sehen.
Johannes Vetter:
Ja, klar. Das sehe ich auch an den Likes. Allgemein finde ich es wichtig, natürlich und authentisch rüberzukommen. Sachen aus dem privaten Bereich gehören ein Stück weit dazu. Natürlich sehen die Menschen auch gerne provokante Bilder, erst recht, wenn ich oberkörperfrei aus dem Pool steige oder den Speer werfe.
Sportlich lief es seit der WM 2017 nicht mehr so rund.
Johannes Vetter:
Letztes Jahr hätte ich wieder anknüpfen können, kämpfte da aber noch mit einer anderen Verletzung. Das war ein blödes Timing, klar, aber so etwas lässt sich nun mal nicht vorhersehen. Seit der EM 2018 habe ich keine Wettkämpfe mehr bestritten, aber mein Gott, so ist es halt.
Kommen Sie mental gut damit klar?
Johannes Vetter:
In den letzten Jahren hat mich das mehr gewurmt, aber jetzt bin ich drüber weg. Ich kämpfe jeden Tag dafür, dass es besser wird. Ich habe auch einen Sportpsychologen, mit dem ich daran arbeite und fühle mich damit super wohl.
Wo sehen Sie Ihre Stärken?
Johannes Vetter:
Mein Steckenpferd ist Kraft, insbesondere die Schnellkraft. An der Technik feilen wir jedes Jahr. Dieses Jahr hatten wir bereits einen guten Ansatz, der sich dann doch nicht als ideal entpuppte.
Und Ihre Schwächen?
Johannes Vetter:
Um ehrlich zu sein, sehe ich da keine allzu großen mehr. Manche Würfe mache ich technisch super, manche nur gut. Mehr Würfe auf dem oberen Niveau wären ideal, denn ich bin Perfektionist, will alles auf den Punkt perfekt haben.
Wie schätzen Sie Andreas Hofmann und Thomas Röhler, Ihre unmittelbaren Konkurrenten, ein?
Johannes Vetter:
Wir Drei, also Andi, Thomas und ich, sind alle verschieden und werfen auch alle verschieden. Ich konzentriere mich lieber auf mich und vergleiche nicht.
Kein Neid auf Thomas Röhler, der 2016 in Rio de Janeiro und 2018 bei der EM Gold gewonnen hat?
Johannes Vetter:
Wir verstehen uns gut und ich komme super mit ihm klar. Als Thomas gepostet hat, er sei verlobt, hab ich ihm natürlich gratuliert. Bei mir ist das mit der Verlobung aber noch eine Weile hin. (lacht)
Was steht zumindest sportlich demnächst alles an?
Johannes Vetter:
Im August die Deutsche Meisterschaft in Berlin und die Diamond League in Zürich. Das ISTAF am 1. September will ich natürlich auch in Angriff nehmen, bevor es dann Ende September zur WM nach Doha geht. Das Wüstengold ist das Ziel. Und ich will nicht bei 94 Metern stehen bleiben, sondern mehr werfen. Die 100 Meter spreche ich aber nicht an. Weltrekord ist natürlich das Ziel, erst recht wenn man weiß, dass es bei mir schon mal 94,44 Meter waren. Aber die Tagesform spielt auch immer eine Rolle. Und die Konkurrenz.
Die hat aufgeholt, Bernhard Seifert zum Beispiel. Macht Ihnen das Sorgen?
Johannes Vetter:
Meine 15 Meter Zuwachs sind einmalig. Gut, Bernhard hat 2011 noch 78,5 Meter geworfen und ist jetzt bei 89 Metern. Sich in drei Jahren, von 2014 bis 2017, von 79 auf 94 Meter zu steigern, das habe nur ich geschafft. Im März hatte ich sogar 92,70 Meter geworfen, und ohne Verletzung hätte ich vielleicht sogar noch was draufpacken können. Aber es sollte nicht sein.
1996 wurde mit 98,48 Metern der aktuelle Weltrekord geworfen. Was glauben Sie, warum den bisher noch keiner knacken konnte?
Johannes Vetter:
Der Rekordhalter hatte super Rückenwind, als er die 98 Meter schaffte! Solche Bedingungen bekommt man vielleicht einmal während der gesamten Laufbahn.
Der Este und EM-Dritte Magnus Kirt hat gerade wieder das Meeting in Turku im Süden Finnlands gewonnen und 88,32 Meter geworfen.
Johannes Vetter:
Ja, ich bekomme das auch mit. Aber ich versteh mich gut mit ihm. Nur schlagen will ich ihn und alle anderen trotzdem!
Wie sieht die Stimmung im deutschen Team aus?
Johannes Vetter:
Wir sind Konkurrenten und Individualisten, haben aber ein gutes freundschaftliches Verhältnis. Außer beim Training sieht man sich auch bei den Lehrgängen am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig und tauscht sich aus. Auch über Privates. Andi frage ich da schon mal nach seinen Eltern und seiner Freundin, er wohnt ja nur 120 Kilometer entfernt. Mit mir und meiner Familie war er 2017 essen. Er hat mich andersrum schon mal auf eine Feier von sich eingeladen. Beim Reisen ist es schon schön, Teamkollegen wie sie zu haben, denn wir reisen ja in der Regel ohne Trainer an.
Mit welchen Sportlern außer Andreas Hofmann und Thomas Röhler sind Sie noch befreundet?
Johannes Vetter:
Ich verstehe mich auch mit vielen aus dem deutschen Ruder-Achter super. Es gibt immer Menschen, die einem den Erfolg gönnen. Andere werden sich aber auch gefreut haben über ein Jahr wie das letzte, wo ich nichts gerissen habe.
Bekommen Sie das auf Social Media mit?
Johannes Vetter:
Nicht bewusst und wenn, dann ist mir das aber auch egal. Mir ist das Feedback meiner Familie, meiner Freunde und Unterstützer am wichtigsten. Ich bin sehr impulsiv und vergreife mich vielleicht auch mal im Ton, aber das wird bei uns immer geklärt.
Läuft es mit Ihrem Trainer genauso?
Johannes Vetter:
Ich bin mit Boris befreundet, das ist anders als in Dresden. Familiärer. Da kommt auch mal ein Spruch, aber wir wissen immer genau, wann es jemand übertrieben hat. Ich kannte ihn ja schon länger, da war ich noch in der Jugend.
Haben Sie Vorbilder?
Johannes Vetter:
Matthias Steiner, Robert Harting und Michael Schumacher.
Welche sportpolitischen Themen beschäftigen Sie aktuell?
Johannes Vetter:
Das Thema Doping zum Beispiel. Die Problematik mit den Russen hat die Leichtathletik einfach zu weit nach hinten geworfen. Ich stelle niemanden unter Generalverdacht, und solange nichts bewiesen ist, ist auch keiner schuldig. Fragezeichen gibt es aber auch in anderen Ländern, die kein funktionierendes bzw. laienhaftes Anti-Doping-System haben.
Sind Sie mit dem deutschen zufrieden?
Johannes Vetter:
2017 hatte ich um die 25 Dopingkontrollen, andere internationale Profis auf meinem Niveau, mit denen ich gesprochen habe, wurden sieben bis acht Mal kontrolliert. Das ist schon heftig. Beim Speerwerfen bringt Doping meiner Meinung nach nicht viel. Die Regenerationszeit und Kraft sind wichtig, aber limitiert.
Wie steht es aus Ihrer Sicht heute um die Leichtathletik und den Sport?
Johannes Vetter:
Mich hat kürzlich das Interview von Stefan Kretschmar beeindruckt, in dem er sagte, Sportler könnten vielmehr ein Sprachrohr sein. Ich bin relativ frei in meiner Entscheidungsgewalt. Was uns in der Leichtathletik fehlt, sind Werbeplattformen. Für die EM wurde viel aufgefahren, das kam gut an. Dass die Fußballer bei der WM früh ausgeschieden sind, war sicher auch nicht unwesentlich. Dass die Finals von ARD und ZDF mit übertragen werden, ist gut. Aber jetzt muss der Sport schon gebündelt werden wie zu den Finals 2019, damit er wahrgenommen wird. Und Werbung machen darf ich auch nicht uneingeschränkt. Mein Heimtrikot vom ETSV Offenburg trage ich bei der DM und bei Heim-Meetings, woanders darf ich damit nicht werben. International dürfen wir nur ein blankes Trikot tragen. Das ist schon nervig. Wir müssten mehr Möglichkeiten der Eigenvermarktung bekommen.
Was ist mit dem Nachwuchs in der Leichtathletik?
Johannes Vetter:
Deine Kindheit entscheidet, das ist die wichtige Phase. Ich habe die ersten Olympischen Spiele in Atlanta mit Drei in der Badewanne gesehen. Und wollte auch siegen! Im Fernsehen siehst du, dass du was erreichen kannst. Das ist wie beim Fußball. Der Sport-Nachwuchs will bekannt werden, also muss man da ansetzen. Der hat keinen Bock, wenn der Sport nicht medial getragen wird. Bei unserem Meeting Ende Mai in Offenburg, an dem ich verletzungsbedingt nur zuschauen konnte, waren knapp 1.500 Leute hautnah dabei. Ich habe dann in den sozialen Medien Videos gepostet und wir hatten einen Livestream, 7.500 haben zugeschaut. So gehts auch!
Die Leichtathletik-DM und das ISTAF finden im Berliner Olympiastadion statt. Was bedeutet es Ihnen?
Johannes Vetter:
Viel. Das ISTAF hab ich zweimal gewonnen, das war schon toll. Der 5. Platz bei der EM 2018 war dann nicht so toll, aber so läuft es halt manchmal. Die Stimmung im Stadion ist immer gut, selbst wenn es nicht ganz voll ist. Die Deutsche Meisterschaft wird sicher ein schönes Event.
<link btn>Mehr: DM 2019 Berlin