Abgeklärt und besonnen trug sich Klaus Wolfermann 1972 in München in die Geschichtsbücher ein. Mit seinem Überraschungs-Olympiasieg avancierte der damals 26-Jährige zur Speerwurf-Legende. Acht Monate danach verbesserte er den Weltrekord, später erkämpfte der Franke auch im Viererbob Meriten. Am Donnerstag vollendet der überaus fitte Klaus Wolfermann sein 70. Lebensjahr – und hofft auf einen Olympia-Nachfolger. Einem traut er in Rio den großen Wurf zu.
3. September 1972. Selten hat es bei Olympischen Spielen im Speerwurf eine derart dramatische Entscheidung gegeben. Medaillenkandidat Klaus Wolfermann (TSV Gendorf) jagt Mexiko-Sieger Janis Lusis. Zwei Monate zuvor hat der Lette den Weltrekord auf 93,80 Meter verbessert. In den ersten vier Durchgängen dominiert der Favorit nun das Olympia-Finale standesgemäß, liegt mit 89,54 Metern über einen Meter vor dem Quasi-Lokalmatadoren aus Altdorf bei Nürnberg.
Der verlängert den Anlauf, erhöht damit das Tempo und legt mit vollem Risiko alles in den fünften Versuch. Ein entscheidender Schritt, denn der Speer bohrt sich nach 90,48 Metern in den Rasen. Das ist die Führung. Der Wettkampf gerät unerwartet zu einem Duell der Nerven. Janis Lusis versucht zu kontern. Fast gelingt es ihm doch noch Gold zu retten, aber am Ende fehlen ihm winzige zwei Zentimeter.
Goldener DLV-Sonntag
Als auf der Anzeigetafel die Weite von 90,46 Metern erscheint, wird das weite Rund unter dem markanten transparenten Dach des Münchener Olympiastadions zum Hexenkessel. 70.000 Zuschauer geraten regelrecht in Ekstase. Zumal es weitere deutsche Siege zu bejubeln gibt. Der Fürther Bernd Kannenberg holt Gold im 50 Kilometer Gehen und Hildegard Falck aus Wolfsburg siegt über 800 Meter – für den DLV ein wahrhaftig goldener Sonntag. Hinzu kommt, dass die Leverkusenerin Heide Rosendahl im Fünfkampf Silber gewinnt.
Plötzlich zwischen Juan Carlos und Kirk Douglas
Für den Franken, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, war der Wettkampf der Wendepunkt des Lebens. „Ich habe den Wurf voll getroffen“, erinnert sich Wolfermann. Der Sieg kam für den Athleten mit dem markanten Bart trotzdem unerwartet. Für ihn war Weltrekordler Janis Lusis ein Gold-Kandidat „so sicher wie die Bank von England“.
Wie sich sein Leben verändern sollte, konnte er schon am Tag nach dem großen Sieg erleben, als er die Schwimm-Wettbewerbe nun von der VIP-Tribüne aus verfolgen durfte. „Rechts neben mir saß der spätere König Juan Carlos von Spanien und links der US-Schauspieler Kirk Douglas. Da wusste ich, dass etwas anders geworden war“, erzählt Wolfermann.
Weltrekord am 5. Mai
Klaus Wolfermann ist mit seinem Münchener Parforceritt noch lange nicht am Ende der Fahnenstange. Im Mai 1973 lässt der Schützling von Hermann Rieder gleich im ersten Wettkampf der Saison einen weiteren Paukenschlag folgen. In Leverkusen fliegt der Speer am 5. Mai auf 94,08 Meter – Weltrekord. Das Maß hat fast vier Jahre lang Bestand. Im Jahr darauf folgt die Ernüchterung. Es treten erste Verletzungen auf.
1975 unterliegt Klaus Wolfermann bei den Deutschen Meisterschaften in Gelsenkirchen überraschend mit exakt 78 Metern gegen Dr. Jörg Hein (ETSV Gutheil Neumünster; 79,36 m) – das Ende einer Serie. Seit 1969 hat er bei der DM sechsmal in Folge ganz oben auf dem Podest gestanden. Eine Meniskusoperation kostet ihn 1976 die dritte Olympiateilnahme. Aufgrund eines lädierten Ellbogens legt der zweifache nationale Sportler des Jahres 1978 den Speer beiseite.
Zweite Karriere im Bob
Dem Leistungssport sagt der gelernte Werkzeugmacher, der zudem ein Sportlehrerstudium abgeschlossen hat, jedoch noch nicht Adieu. Als Bremser des früheren Vize-Weltmeisters und 2010 verstorbenen Georg Heibl (Rosenheim) wird Klaus Wolfermann 1979 im Viererbob Deutscher Vize-Meister und Europacup-Vierter. Anschließend arbeitet er 13 Jahre als PR-Chef für einen Sportartikelhersteller und gründet schließlich mit seiner Frau eine Sportvermarktungs-Agentur.
Auf vielfältige Weise setzt Klaus Wolfermann sich für soziale Belange ein. Er gilt als offener, lockerer Typ, als ehrliche Haut mit weichem Herz. Daheim im oberbayerischen Penzberg schwitzt der Modell-Eisenbahner mindestens eine Stunde täglich im Fitnessraum Zudem hält er sich mit Radrennfahren, Ski alpin, Skilanglauf und Golf (Handicap 12) in Form. Auch mit 70 ist Klaus Wolfermann also noch voller Tatendrang – und ein Vorbild sowieso.
Hoffen auf einen Nachfolger
Keine fünf Monate vor den Olympischen Spielen in Rio hofft Klaus Wolfermann, dass endlich mal wieder einem deutschen Speerwerfer der große Wurf bei Olympischen Spielen gelingt. „Es ist höchste Zeit“, sagte der Olympiasieger der Deutschen Presse-Agentur. Seit der nur 1,76 Meter große „kleine Riese mit dem goldenen Arm“, wie er einst genannt wurde, in München den sensationellen Triumph feierte, gab es keinen deutschen Speerwurf-Olympiasieger mehr.
Dass dies am 20. August im Olympia-Finale in Rio de Janeiro passieren könnte, hält Wolfermann nicht für ausgeschlossen: „Ich glaube, dass wir auf einem sehr guten Weg nach Rio sind. Bei den Männern kann der eine oder andere eine Medaille gewinnen.“
Vier Olympiamedaillen seit 1908
Allen voran traut er Thomas Röhler (LC Jena) zu, sein Olympia-Nachfolger zu werden. Der Diamond League-Sieger von 2014 war vergangenes Jahr WM-Vierter und mit 89,27 Metern drittbester Werfer. Medaillengewinne von deutschen Speerwerfern bei Olympischen Spielen sind eine Rarität. Nur viermal Speerwurf-Edelmetall gab's seit der olympischen Speerwurf-Premiere 1908 in London. Zum Vergleich: Finnland gewann in dieser Zeit 22 Medaillen und stellte sieben Olympiasieger.
Vor Wolfermann gab es mit Gerhard Stöck 1936 nur einen Olympiasieger und mit Wolfgang Krüger 1960 einen Olympia-Zweiten - nach ihm holte lediglich der frühere DDR-Werfer Wolfgang Hanisch 1980 noch Bronze. Deshalb ist der Wolfermann'sche Gold-Coup vor fast 44 Jahren ein ganz besonderes Kapitel in der Sportgeschichte.