Wir haben mitgefiebert, mitgelitten, mitgejubelt. Und ganz viel notiert, getippt, gefilmt und fotografiert. Nun ist die Leichtathletik-Saison 2017 fast zu Ende, und es ist Zeit für ganz persönliche Rückblicke. In unserer Serie „Mein Moment“ beschreiben einige Mitarbeiter der leichtathletik.de-Redaktion, welche Szenen ihnen in den vergangenen Monaten ganz besonders im Gedächtnis geblieben sind. Heute im Fokus: das letzte Bahnrennen von Mo Farah beim Diamond League-Finale in Zürich (Schweiz).
Es war Weltklasse, dieses Finale Furioso an jenem Donnerstagabend im August. Und über 25.000 Zuschauer im restlos ausverkauften Züricher Letzigrund-Stadion waren schier aus dem Häuschen. Nach 5.000 Metern trennte die ersten Vier nur ein Wimperschlag. Ein flottes Rennen, doch prägnanter als die Siegerzeit war die buchstäblich knisternde Spannung. Der zermürbende, taktisch geprägte Schlagabtausch, der Millimeterentscheid auf der Ziellinie – das versetzte uns Augenzeugen regelrecht in Ekstase. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, nach dem die Fans zu lechzen schienen.
Mo Farah (Großbritannien), der jetzt auf die Straße umsteigt, übernahm in seinem letzten Wettkampf im Stadionoval 650 Meter vor Schluss die Führung. Yomif Kejelcha, der letztjährige Hallen-Weltmeister, reagierte sofort, Weltmeister Muktar Edris (beide Äthiopien) als die Schlussglocke ertönte. Paul Chelimo (USA), der Olympia-Zweite und WM-Dritte, lauerte. Auf der Gegengeraden versuchte das Trio außen vorbeizuziehen, doch Mo Farah hielt gegen. Auf der Zielgeraden kam es zum filmreifen Showdown.
Dramatische letzte Meter
Chelimo, noch Vierter, hatte vielleicht das beste Finish, doch Edris und Farah versperrtem dem wild Spurtenden den Weg. Zwei, drei Meter vor der Ziellinie griff er beiden von hinten an die Schultern, versuchte sie gewaltsam auseinander zu zerren. Just in diesem Augenblick entschied Edris, sich ins Ziel zu werfen, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Kejelcha hatte nichts mehr entgegenzusetzen, holte aber dennoch imaginäres Bronze. Denn Chelimo wurde disqualifiziert, Mo Farah als Sieger gefeiert.
Die Augen weit aufzureißen und die Arme im Jubel auszubreiten, dazu blieb ihm diesmal keine Zeit. Die Fingerspitzen beider Hände von der Seite auf den Kopf zu legen und so ein imaginäres M in Herzform zu schreiben, das ließ sich der Doppel-Olympiasieger von 2012 und 2016 aber nicht nehmen. Die Mobot-Geste – das Markenzeichen eines Publikumslieblings, vergleichbar mit der markanten Siegerpose von Usain Bolt. Ein rituelles Zeremoniell. Eine Zugabe, an der kein Fotograf, kein Kameramann vorbei kam.
Sebastian Coe als Zuhörer
„Ich habe keinem anderen Läufer einen Zentimeter geschenkt. Das war der Plan, das ist fantastisch gelungen. Im Spurt ging es darum, alles herauszuholen. Ich habe mir ständig eingeredet: Du kannst gewinnen, du kannst es schaffen“, erklärte der Lauf-Heroe, als ich ihm in der Mixed Zone das Mikrofon meines Aufnahmegerätes hinhielt. Wie das höchst dramatische Finish war auch dieser Moment für mich etwas Außergewöhnliches. Zumal nicht nur Mo Farahs Manager Ricky Simms genauestens zuhörte, sondern auch Weltverbandspräsident Sebastian Coe, der einst selbst durch das „Züricher Letzi“ gerast war und zwei Weltrekorde aufgestellt hatte.
Zwei Tage vor dem denkwürdigen Rennen hatte ich Mo Farah hier schon einmal zusehen dürfen. Bei dieser perfekten Einstimmung auf das Meeting joggte die Galionsfigur zunächst mit rund 500 per Los ausgewählten Kindern durchs Stadion und gab anschließend beim Stretching den Vorturner. Für Schmunzeln, aber auch bewunderndes Staunen sorgte der showbegabte Athlet, als er an der Hochsprunganlage über die Latte floppte. Hochsprung-Weltmeister Mutaz Essa Barshim (Katar) gratulierte. „Jugend trainiert mit Weltklasse“ – so der Titel dieses Aufwärmens vor dem Diamond League-Finale, zu dem auch Dafne Schippers (Niederlande), Elaine Thompson (Jamaika) und andere Hochkaräter des globalen Geschehens gekommen waren.
Was die Kids besonders begeisterte: Noch nie konnten sie ihren Idolen so nah sein. Über 2.500 Bewerbungen waren für diese „beliebteste Turnstunde der Schweiz“ eingegangen – signifikant für die Popularität der Leichtathletik im Nachbarland. Und signifikant für die Trommeln, die die Züricher Meeting-Macher zu rühren wissen. Dass sie die weltweit allererste Wahl auf die Bahn bringen, das ist ein Grund für ihren Erfolg. Ihre Art Leichtathletik als Erlebnis zu inszenieren ein anderer. Weltklasse. Weiter so!