Es ist eine Geschichte über Beharrlichkeit. Über die unbändige Lust am Laufen. Über eine Liebe, an der es sich lohnte, trotz Tiefschlägen festzuhalten. Es ist die Geschichte von Sören Ludolph. Dem 800-Meter-Läufer, der vier Jahre nach seiner ersten Olympia-Teilnahme im Herbst seiner Karriere an alte Stärke anknüpft. Die EM-Norm ist bereits geknackt, die Olympia-Norm soll noch folgen.
Plötzlich ist er wieder da, wo er vor vier Jahren bereits einmal war. Platz eins in Deutschland. 1:46,43 Minuten. „Ein schönes Gefühl“, sagt Sören Ludolph. Es klingt lapidar, aber hinter dem 28-Jährigen liegt ein Weg, auf dem viele andere wohl längst die Abbiegung Karriere-Ende gewählt hätten.
Eine Eigenschaft, die nicht zum Naturell des Hannoveraners, der für die LG Braunschweig startet, passt. „Ich war noch nicht fertig mit dem Laufen. Und vor allem nicht mit Olympia.“
Langer Atem von Nöten
Man sagt, das Leben verläuft in Zyklen. Auf ein Tief folgt ein Hoch und immer so weiter. Auf Läuferleben trifft dies wohl auch zu. Aber für Ludolphs Tief brauchte es einen langen Atem. Einen Atem, bei dem ihm seine Läuferlunge wohl sehr entgegen kam.
Vier Jahre Kampf liegen hinter dem Olympia-Teilnehmer von 2012. Vier Jahre, in denen der Kopf nicht verstehen wollte, warum der Körper nicht mehr so schnell war, wie er es von ihm gewohnt war. Heute glaubt Sören Ludolph die Antwort zu kennen. „Nach Olympia 2012 war ich körperlich am Ende. Ich brauchte eine Auszeit.“ Fünf Monate lang stellte er seine Spikes in den Schrank und widmete sich voll und ganz seiner Ausbildung bei der Polizei in Hannover.
Kopf und Körper nicht im Einklang
„Heute denke ich, dass es zu viel Ruhe war.“ Als er im Januar wieder ins Training einstieg, waren die körperlichen Beschwerden zwar auskuriert, aber der Körper war auch nicht mehr auf die Leistung eingestellt. „Da habe ich es dann übertrieben.“ Die Folge: Achillessehnen-Beschwerden. War er im Jahr 2012 noch 1:44,80 Minuten über 800 Meter gelaufen, kam er ein Jahr später nicht unter einer Zeit von 1:49,22 Minuten ins Ziel. Im Jahr drauf lag seine Saisonbestzeit gar bei 1:50,07 Minuten. Aus heutiger Sicht kein Wunder, denn nach dem körperlichen kam der geistige Knick.
„Mein Kopf musste erst verstehen, dass mein Körper nicht mehr in der Lage war, die vorher gewohnten Zeiten zu laufen. Und wenn es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle, kann ich durchaus eine Zicke sein und stehe mir dann selbst im Weg.“ Der Tiefpunkt ereilte ihn im Frühjahr 2015. Im Vorlauf der Deutschen Hallenmeisterschaften in Karlsruhe flog er raus. „Ich bin wutentbrannt von der Bahn gestürmt, nur um dann in der Mixed-Zone wie ein Schlosshund zu weinen“, erinnert er sich.
Tiefpunkt Hallen-DM 2015
„Wenn das Trainingslager in Flagstaff da nicht schon gebucht gewesen wäre, hätte ich mit dem Rennen wohl meine Karriere beendet.“ Sein Trainer Jörg Voigt sprach ihm Mut zu, seine Familie stand hinter ihm und auch seine Trainingsgruppe glaubte an ihn. „Ohne diesen Zuspruch die ganzen Jahre über wäre es nicht gegangen.“
Neben der mentalen Unterstützung des engen Umfelds glaubten aber auch sein Verein und sein Arbeitgeber fest an Sören Ludolph und seinen Olympia-Traum. Seit Beginn des Jahres ist er für den Streifendienst in Hannover freigestellt, kann sich voll auf sein Training konzentrieren. „Das Gefühl zu wissen, dass sie alle hinter mir stehen, dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Sören Ludolph.
EM-Norm als erster Schritt
Die Ausdauer hat sich ausgezahlt. Heute, zum Ende seiner Karriere, ist er wieder der Mann, dem die Leute gratulieren. Am vergangenen Wochenende lief der 28-Jährige in Regensburg eben diese 1:46,43 Minuten. Es ist die Norm für die Europameisterschaften in Amsterdam (Niederlande; 6. bis 10. Juli). Und seine beste Zeit seit dem Sommer 2014. „Ich bin annähernd wieder da, wo ich hin möchte.“
Und doch sieht Sören Ludolph diese Zeit nur als ersten Schritt. „Im ersten Moment war ich in Regensburg enttäuscht. Ich habe während des Rennens einen taktischen Fehler gemacht, die Olympia-Norm habe ich in der Kurve liegen lassen.“ Und doch steht unterm Strich die wohltuende Gewissheit: Körper und Kopf sprechen wieder im Einklang. Ihr Tenor: Die Olympia-Norm von 1:46,00 Minuten ist möglich.
Karriere-Ende rückt näher
Stand heute reist Sören Ludolph als jahresschnellster 800-Meter-Läufer zu den Deutschen Meisterschaften in Kassel (18./19. Juni). Ein Stand, um den der dreifache Deutsche Meister aber nicht viel Aufsehen machen will. „Bei Deutschen Meisterschaften spielt die Taktik so eine große Rolle, da ist die Bestenliste eigentlich völlig egal.“ Ohnehin schätzt Ludolph seine 800-Meter-Konkurrenten hoch ein. „Die Jungs haben alle was drauf.“ Daher will er auch noch nicht fest mit den Europameisterschaften in Amsterdam planen. „Hochmut kommt vor dem Fall. Ich warte erstmal ab, ob ich nominiert werde.“
Eins steht aber schon jetzt unwiderruflich fest: Es soll seine letzte Saison sein. „Nach der Saison steige ich voll ins Berufsleben ein und genieße meine Freizeit. Ganz egal, was diese Saison noch so bringt. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.“ Es ist das Ende einer langen, aufopferungsvollen Karriere. Sie hätte einen brasilianisches Abschluss mehr als verdient.