| Interview der Woche

Steffen Uliczka: „Laufen, bis die Beine nicht mehr tragen“

Über die Hindernisse ist Steffen Uliczka (SG TSV Kronshagen/Kieler TB) in den vergangenen fünf Jahren bei allen internationalen Höhepunkte dabei gewesen. Dreimal stand er in einem EM-Finale und lief auf die Ränge sechs, sieben und neun. Mit dem Saisonende hat sich der 30-Jährige zu einer auf den ersten Blick radikalen Neuorientierung entschieden: Er will im Marathon zu Olympia 2016. Im Interview erklärt der sechsmalige Deutsche Hindernismeister seine Entscheidung, seinen Plan in Richtung Debüt auf der neuen Strecke und dass seine Hinderniskarriere unvollendet bleibt.
Jan-Henner Reitze

Steffen Uliczka, warum Marathon? Uns hat diese Nachricht überrascht…

Steffen Uliczka:

Der Gedanke an den Marathon beschäftigt mich schon länger. Für mich stand fest, dass ich einmal Marathon mit leistungssportlichen Ambitionen laufen will. Ein Schlüsselmoment, der diesen Gedanken befeuert hat, waren die Olympischen Spiele 2012, wo ich beim Marathon auf der Tribüne saß. Die Athleten kamen fünfmal vorbei und jedes Mal hat das Publikum getobt. Ob der erste oder der 30. vorbeigekommen ist, alle wurden gefeiert und die Athleten haben trotz der Strapazen gejubelt. Das war inspirierend. Schon da dachte ich: Jetzt will ich zum Marathon.

Trotzdem sind Sie erst einmal noch bei den Hindernissen geblieben…

Steffen Uliczka:

Ich war ein wenig auf dieser Strecke gefangen. Es ist nicht einfach, etwas aufzugeben, was man sich über Jahre aufgebaut hat. Die Hindernisse waren mein Projekt und ich hatte ein Ziel: Ich wollte unter 8:20 laufen und damit zu den besten Deutschen in der Geschichte gehören. Ich war noch unvollendet. Bei einer EM wäre mit solch einem Niveau eine Medaille möglich gewesen. In diesem Jahr habe ich darauf hingeschielt.

Warum hat es nicht geklappt?

Steffen Uliczka:

Zum einen hatte ich wegen einer Krankheit zwischenzeitlich Probleme. Auf der anderen Seite hat mich die plötzliche Konkurrenz von Martin Grau absolut überrascht. So leicht ließ sich das nicht wegstecken - obwohl ich Martin die Steigerung von Herzen gegönnt habe. Es hat mich dennoch aus dem Konzept gebracht. Mit dem Sieg bei den Deutschen Meisterschaften konnte ich den Spieß wieder umdrehen. Letzten Endes habe ich mit Rang sieben bei der EM mein zu diesem Zeitpunkt bestmögliches Ergebnis eingefahren. Aber mein ursprüngliches Ziel konnte ich nicht verwirklichen. Deshalb kam ich ins Grübeln.

Sie hätten Ihr Ziel von einer Zeit unter 8:20 doch auch in der kommenden Saison oder im Olympiajahr 2016 umsetzen können?

Steffen Uliczka:

Da kam der Faktor Zeit ins Spiel und die Frage: Möchte ich erst nach 2016 anfangen, Marathon zu laufen? Wie viel Zeit gebe ich mir dann? Möchte ich den Marathon dann überhaupt als neues Projekt angehen? Ich habe mir diese Fragen beantwortet und zwar so: Ich bin 30 und möchte etwas Neues.

Wie fühlt sich diese Entscheidung an?

Steffen Uliczka:

Alles ist neu und es gefällt mir. Vorher habe ich immer nur an kleinen Schräubchen im Training gedreht, um noch Reserven zu mobilisieren. Jetzt brauche ich ein neues Fahrgestell oder einen neuen Motor. Das ist eine ganz neue Herausforderung. Ich träume den Traum, einmal einen olympischen Marathon zu laufen. Ich möchte das harte Training. Ich möchte stundenlang laufen, bis die Beine nicht mehr tragen. Diese Begeisterung für das Laufen war schon immer da. Ich sauge jeden Moment auf und genieße den Neuanfang.

Wie gehen Sie das Projekt Marathon im Training an?

Steffen Uliczka:

Im Moment gilt es, die Belastungsverträglichkeit zu erhöhen. Der Gesamtumfang wird größer. Ich laufe pro Einheit längere Strecken oder mache einen Lauf mehr. Statt achtmal 1.000 Meter sind es jetzt zehnmal oder ein Dauerlauf ist statt 15 Kilometer 20 Kilometer lang. In der Woche laufe ich momentan zwischen 160 und 180 Kilometer und fahre zusätzlich zwei bis drei lange Einheiten auf dem Fahrrad. Vorher musste ich darauf achten, dass ich mich nicht zu lange von der Wettkampfgeschwindigkeit entferne, um die Laktat- und Mittelstreckenverträglichkeit nicht zu vernachlässigen. Das war immer ein wenig mein Manko. Jetzt geht es nur um die Ausdauer. Alles ist auf den Tag X, den Marathon ausgerichtet.

Für diesen Tag X ist der Hamburg-Marathon Ende April 2015 genannt worden. Welche Stationen sind noch abzuarbeiten, bis Steffen Uliczka ein Marathonläufer ist?

Steffen Uliczka:

Bis Ende des Jahres gilt es, die Grundlagenausdauer zu trainieren, nach dem Motto: Darf es noch etwas mehr sein? Das Tempo spielt dabei eine nachgeordnete Rolle. Dann beginnen marathonspezifische Einheiten. Es wird lang und schnell, um die Wettkampfgeschwindigkeit zu ökonomisieren. Dann kommt ein Halbmarathon, ich kann mir Berlin sehr gut vorstellen. Ob danach der Hamburg-Marathon kommt, wird das Training der nächsten Wochen zeigen. Möglicherweise wird auch ein Halbmarathon im Frühjahr der Höhepunkt sein und das Marathon-Debüt kommt erst im Herbst.

Welche Form müssen Sie haben, damit Sie in Hamburg an den Start gehen?

Steffen Uliczka:

Die Olympia-Norm wird sich um 2:12 Stunden bewegen - dort lag sie für London. Dieses Ziel sollte greifbar sein, wenn ich an den Start gehe. Ein Debüt unter 2:14 wäre super. Die Olympia-Norm soll ab dem kommenden Herbst das Ziel sein. Dann beginnt das Rennen um die Tickets.

Es gibt einige weitere DLV-Läufer, die diesen Traum haben...

Steffen Uliczka:

Das stimmt. Es gibt eine Reihe von Läufern mit Potential. Zu allererst natürlich Arne Gabius und André Pollmächer. Auch Julian Flügel und Philipp Pflieger haben sich ins Spiel gebracht. Letzten Endes gehe ich aber davon aus, dass jeder, der die Norm läuft, auch ein Ticket bekommt. Das habe die vergangenen Jahre gezeigt. Da musste kein Marathon-Läufer mit Norm zu Hause bleiben.

Sie hätten sich auch in Richtung längere Strecken auf der Bahn orientieren können. Warum kam das nicht infrage?

Steffen Uliczka:

Ich habe darüber nachgedacht und mich gefragt: Überspringe ich da etwas? Marathon ist eine ganz andere Disziplin als das Laufen auf der Bahn. Ein Bahnläufer kann bis zum Halbmarathon alles anbieten. Was darüber hinaus geht, ist in Sachen Stoffwechsel etwas anderes. Deshalb gibt es ja auch den berühmten Mann mit dem Hammer, der gerne zwischen Kilometer 30 und 35 kommt. Diese neue Anforderung an den Körper interessiert mich. Außerdem haben die längeren Strecken auf der Bahn und auch auf der Straße schon in den vergangenen Jahren zu meinem Repertoire gehört, auch wenn ich meine Leistung dort nicht voll ausgereizt habe. Mein Körper kennt diese Belastung. Der Sprung zum Marathon mit seinen 42.000 Metern ist also nicht so groß, wie es der bloße Blick auf die bisherige Wettkampfstrecke von 3.000 Metern vermuten lässt.

Neben der sportlichen Neuorientierung hat sich auch beruflich etwas geändert. Sie sind ins Berufsleben eingestiegen. Wie kam es dazu und wie geht das mit Ihrem neuen Projekt Marathon zusammen?

Steffen Uliczka:

Durch ein Praktikum bei der Kieler Volksbank habe ich einen Steuerberater kennengelernt, der auch im Agrar-Bereich tätig ist. Genau das Fach, das ich studiert habe. Wir kamen ins Gespräch und nach einem Treffen bin ich mit einem Arbeitsvertrag nach Hause gegangen. Meine Arbeitszeiten sind sehr flexibel und ich kann die Arbeit komplett nach meinem Training ausrichten. Im Moment bin ich zwei bis sechs Stunden pro Tag da und versuche, 20 Stunden in der Woche zu realisieren. Bezahlt werde ich nach Stunden, sodass es für beide Seiten fair ist. So kann ich aber auch problemlos für ein Trainingslager frei bekommen. Am Anfang war es natürlich eine teils harte Umstellung. Mittlerweile habe ich aber meinen Rhythmus gefunden. Mein Chef und meine Kollegen wissen natürlich von meinen Marathon-Plänen und unterstützen mich. Ich bin froh, dass ich diese Chance bekomme, und möchte sie nutzen.

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