Er war über Jahre die deutsche Nummer eins im Tischtennis und erlebt in Rio seine fünften Olympischen Spiele. Nun wird Timo Boll eine ganz besondere Ehre zuteil. Er trägt die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Rio, die Samstagnacht deutscher Zeit eine Mischung aus Party, Karneval und Samba-Spektakel werden soll.
Wenn Timo Boll dieser Tage durch das Olympische Dorf schlendert, drehen sich vielerorts interessiert die Köpfe. In Asien, besonders in der Tischtennis-Nation China, genießt der 35-Jährige schließlich auch im Herbst seiner Karriere noch immer enorme Popularität. Boll ist einer der wenigen internationalen Sportstars aus Deutschland - und nun auch Fahnenträger der deutschen Olympia-Delegation.
Die Rolle des Anführers beim festlichen Einmarsch der Nationen bedeutet für den gebürtigen Odenwälder jene Aufmerksamkeit, die ihm im Ausland schon lange, zu Hause aber eher selten zu teil wird. Es ist eine Auszeichnung, die sogar dem sonst so uneitlen Boll schmeichelt. "Als ich gehört habe, dass ich die Fahne tragen soll, war ich erst einmal sprachlos. Ein wahnsinniges Gefühl, vielleicht sogar der Höhepunkt meiner Karriere. Ich fühle mich sehr geehrt", sagte Boll am Donnerstag im Deutschen Haus.
Die Olympia-Einzelmedaille fehlt noch
Boll erlebt in Rio seine fünften Olympischen Spiele, nicht immer waren diese für ihn Erfolgsgeschichten. Zwar holte er 2008 in Peking Silber und 2012 in London Bronze mit der Mannschaft, doch die ersehnte Einzel-Medaille blieb dem Rekordeuropameister bislang stets verwehrt. Auch diesmal schwand die Hoffnung schon nach der Auslosung, bereits im Viertelfinale droht ein Duell mit dem schier übermächtigen Topfavoriten Ma Long. Bolls sportliche Vita liest sich dennoch mehr als nur beeindruckend: Dritter im WM-Einzel 2011, vier silberne und eine bronzene WM-Medaille mit dem Team, insgesamt 16 Triumphe bei Europameisterschaften und dazu 18 deutsche Meistertitel im Einzel und mit seinem Klub Borussia Düsseldorf. Kaum ein anderer Tischtennisspieler kann ähnliche Sammlung aufweisen - weltweit.
Die Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro soll zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Nicht nur für Fahnenträger Timo Boll. Party, Karneval und jede Menge Samba-Spektakel ist am Freitagabend Ortszeit (Deutsche Zeit: Samstagnacht, 1 Uhr) geplant. Brasilien will am Zuckerhut das Leben feiern, auch wenn das Land tief in der Krise steckt. "Ich hoffe, dass die Eröffnungszeremonie eine Droge gegen die Depressionen in Brasilien sein wird", sagte Fernando Meirelles, künstlerischer Leiter der Feier im vielleicht berühmtesten Stadion der Welt - dem Maracana.
Die größte Party Brasiliens
Meirelles, berühmter brasilianischer Regisseur, der für seinen Film "City of God" für den Oscar nominiert wurde, hat sich mit seinem Team eine bunte, fröhliche, aber auch nachdenklich stimmende Show ausgedacht, die Brasiliens Reise durch die Geschichte widerspiegelt. "Die Brasilianer sollen die Zeremonie betrachten und sagen: Wir sind coole Leute, wir kommen aus verschiedenen ethnischen Gruppen, wir leben zusammen, wir sind nie in den Krieg gezogen, wir sind friedfertig", sagte Meirelles: "Wir wissen das Leben zu genießen und neigen dazu, glücklich zu sein." Und seine Kollegin Daniela Thomas meinte: "Wir wollen die größte Party feiern, die dieses Land jemals gesehen hat."
Dabei mussten die Macher mit einem relativ kleinen Budget auskommen, die Feier soll umgerechnet nur knapp neun Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: In London wurde etwa das Achtfache ausgegeben. Brasilien steckt mitten in einer Rezession, das Geld ist knapp. "Ich bin sehr froh, dass wir nicht wie verrückt Geld ausgeben und glücklich, mit diesem Low-Budget zu arbeiten - alles andere macht für Brasilien keinen Sinn", sagte Meirelles. Er verspricht trotzdem, die über 70.000 Zuschauer auf den Rängen von den Sitzen zu reißen und die erwarteten drei Milliarden Zuschauer vor den TV-Geräten zu begeistern. Im Maracana, wo Deutschland 2014 Fußball-Weltmeister wurde, werden 45 Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter auch Bundespräsident Joachim Gauck. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama reisen aber nicht nach Brasilien.
Entzündet Pele das Olympische Feuer?
Wer die Ehre erhält, das Olympischer Feuer zu entzünden, ist natürlich ein bestens gehütetes Geheimnis. Fußball-Idol Pele gilt als Favorit, aber auch die Namen des ehemaligen Marathonläufers Vanderlei de Lima oder von Gustavo Kuerten, dem dreimaligen Sieger der French Open, werden gehandelt. Das Feuer wird im Stadion entzündet, brennt während der Spiele dann aber im runderneuerten Hafenviertel von Rio.
Als gesichert gilt zudem, dass Top-Model Giselle Bündchen zum Welthit "Garota de Ipanema" einen Auftritt haben wird, auch Transgender "Lea T" erhält eine tragende Rolle. Volksmusik gehört genauso zur Show wie Rap und Funk, einige Karnevalschulen präsentieren ihr Können, Themen wie Kolonisation, Sklaverei und Klimawandel werden ebenfalls behandelt. Die Feier soll einen offenen und ehrlichen Blick auf Brasilien geben, auf das Gute und Schlechte im Land. "Die brasilianische Seele wird die Welt begeistern", sagte Carlos Arthur Nuzman, Präsident des Organisationskomitees.
Die deutschen Olympia-Fahnenträger in der Übersicht
1908 in London: Wilhelm Kaufmann (Kunstturnen)
1912 in Stockholm: Karl Halt (Leichtathletik)
1928 in Amsterdam: Ernst Paulus (Leichtathletik)
1932 in Los Angeles: Georg Gehring (Ringen)
1936 in Berlin: Hans Fritsch (Leichtathletik)
1952 in Helsinki: BR Deutschland Friedel Schirmer (Leichtathletik), Saarland Toni Broder (Leichtathletik)
1956 in Melbourne: Gesamtdeutsche Mannschaft Karl-Friedrich Haas (Leichtathletik), in Stockholm: Fritz Thiedemann (Reiten)
1960 in Rom: Gesamtdeutsche Mannschaft Fritz Thiedemann (Reiten)
1964 in Tokio: Gesamtdeutsche Mannschaft Ingrid Engel-Krämer (Wasserspringen)
1968 in Mexiko-Stadt: BR Deutschland Wilfried Dietrich (Ringen), DDR Karin Balzer (Leichtathletik)
1972 in München: BR Deutschland Detlef Lewe (Kanu), DDR Manfred Wolke (Boxen)
1976 in Montreal: BR Deutschland Hans Günter Winkler (Reiten), DDR Hans Reimann (Leichtathletik)
1980 in Moskau: DDR Kristina Richter (Handball)
1984 in Los Angeles: BR Deutschland Wilhelm Kuhweide (Segeln)
1988 in Seoul: BR Deutschland Dr. Reiner Klimke (Reiten), DDR Ulf Timmermann (Leichtathletik)
1992 in Barcelona: Manfred Klein (Rudern)
1996 in Atlanta: Arnd Schmitt (Fechten)
2000 in Sydney: Birgit Fischer (Kanu)
2004 in Athen: Ludger Beerbaum (Reiten)
2008 in Peking: Dirk Nowitzki (Basketball)
2012 in London: Natascha Keller (Hockey)
2016 in Rio de Janeiro: Timo Boll (Tischtennis)
Quelle: Sport Informations-Dienst SID