Im Herbst 2013 hat Torsten Schmidt die Trainingsgruppe von Werner Goldmann mit Diskus-Weltmeister Robert Harting, dessen Bruder Christoph und Julia Fischer (alle SCC Berlin) übernommen. Im Leichtathletik-Interview spricht der 39-Jährige über seinen Coaching-Stil, die Last des Erfolgs und was er einem Olympiasieger noch beibringen kann.
Torsten Schmidt, Sie haben als Sportler selbst noch gegen Robert Harting geworfen (Bilanz 12:7 für Harting). Gibt es ein Aufeinandertreffen, an das Sie sich noch besonders gut erinnern?
Torsten Schmidt:
Ja, an das bei den Deutschen Meisterschaften 2004 in Braunschweig. Es ging damals darum, wer von uns beiden als dritter Werfer zu den Olympischen Spielen darf, neben Lars Riedel und Michael Möllenbeck. Robert war nach mir dran. Ich hatte keine herausragende Weite vorgelegt und er hätte mich durchaus noch übertreffen können. Aber sein Wurf war zu kurz, sodass ich nach Athen fahren durfte.
Zehn Jahre später sind Sie nun sein Trainer. Wie kam es dazu, dass Sie im vergangenen Herbst die Trainingsgruppe mit Robert Harting, seinem Bruder Christoph und Julia Fischer (alle SCC Berlin) von Werner Goldmann übernommen haben?
Torsten Schmidt:
Robert Harting wollte nach all den Jahren mit Werner Goldmann etwas verändern, um sich weiterzuentwickeln. Wir haben uns vergangenes Jahr am Rande des Meetings in Wiesbaden unterhalten. Wenige Wochen später kam dann die Anfrage, ob ich mir vorstellen könnte, in Berlin anzufangen. Robert und ich kannten uns noch von früher – wir haben gemeinsam in Berlin bei Jürgen Schult trainiert. Ich war früher schon sehr akribisch, das hat er sich wohl gemerkt. Zunächst war ge-plant, dass ich bis zu seiner Pensionierung als Assistent von Werner Goldmann arbeite. Doch dann hat es sich anders ergeben und ich habe gleich als verantwortlicher Trainer angefangen.
Es kann auch eine Bürde sein, den Weltmeister zu übernehmen. Alle erwarten von Ihnen, dass es so erfolgreich weitergeht wie bisher.
Torsten Schmidt:
Das stimmt. Es ist ein Riesenrucksack, den ich mir da aufsetze. Werner Goldmann hat in all den Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Ich habe viel Respekt davor.
Bislang haben Sie in Neubrandenburg ausschließlich den Nachwuchs betreut, darunter den U18-Kugelstoßweltmeister Patrick Müller (SC Neubrandenburg). Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit jungen Sportlern von der mit Top-Leuten wie Robert Harting?
Torsten Schmidt:
Im Nachwuchsbereich geht es immer auch ein Stück weit um die pädagogische Erziehung. Athleten wie Robert Harting sind dagegen bereits gefestigte Persönlichkeiten ….
… mit denen es sicher auch nicht immer einfach ist.
Torsten Schmidt:
Nein. Aber Robert und ich kennen uns lange genug und wissen, wie der andere tickt. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse. Wir gestalten das Training kooperativ und kommunikativ. Es ist nicht so, dass ich sage, wo es langgeht und dann wird es so gemacht. Das würde nicht funktionieren. Stattdessen setzen wir auf Zusammenarbeit. Ich würde mich daher eher als eine Art sportfachlicher Berater von Robert Harting bezeichnen.
Robert Harting ist Weltmeister, Europameister, Olympiasieger. Was kann man so einem Mann überhaupt noch beibringen?
Torsten Schmidt:
Es geht vielleicht gar nicht darum, 72 Meter zu werfen. Robert wird im Oktober 30 und ist jetzt in einem Alter, in dem er nicht mehr so draufhauen kann, wie er es bislang getan hat. Er muss also einen anderen Weg finden, seine Leistung abzurufen. Sein Ziel ist es, sein jetziges Niveau bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro und der Heim-EM 2018 in Berlin zu halten, um dort erneut ganz vorn zu landen. 70 Prozent des Trainings sind ohnehin gesetzt, das ist die Trainingsmethodik. An den restlichen 30 Prozent arbeiten wir gemeinsam.
Haben Sie im Training etwas verändert?
Torsten Schmidt:
Wir haben in der Vorbereitung sehr rehabilitativ gearbeitet, unterstützt von Spezialisten am Olympiastützpunkt Berlin. Ziel war es, das Knie und den Rücken vorzubelasten, damit sie im Wettkampf nicht gleich wieder schmerzen. Wir haben beispielsweise viel im Strömungskanal gemacht, wo der Körper ständig leicht belastet wird. Bislang hat Robert die Knieschmerzen gut im Griff.
Haben Sie auch an der Technik gefeilt?
Torsten Schmidt:
Bei der Technik gilt: Back to the roots, zurück zu den Wurzeln. Durch die Knieprobleme haben sich bei Robert Harting in den vergangenen Jahren Fehler eingeschlichen, weil der Schmerz bestimmte Bewegungen einfach verhindert hat. Das war ein eingelaufenes Programm. Wir haben die Bewegung deshalb in ihre Einzelteile zerstückelt und ein regelrechtes Drilltraining gemacht, mit 10 bis 15 Wiederholungen immer derselben Teilbewegung. Damit das motorische Zentrum auch mal wieder mehr Leistung bringen muss als anderthalb Drehungen und ballern.
Im März hat Robert Harting beim ISTAF Indoor vor heimischem Publikum eine seltene Niederlage gegen Martin Wierig (SC Magdeburg) einstecken müssen. Gewähren Sie uns einen Einblick in sein Seelenleben: Das hat ihn sicher gewurmt, oder?
Torsten Schmidt:
Natürlich. Wir standen zu dem Zeitpunkt zwar gerade voll im Krafttraining, aber am Tag vor dem Meeting flogen die Scheiben noch. Beim Wettkampf konnte er den Diskus aber einfach nicht richtig ansteuern. Vielleicht war er ein bisschen übermotiviert, auch wegen der Showelemente im Vorfeld mit Piotr Malachowski, sodass er seine Leistung im Ring nicht abrufen konnte. Ich bin mir aber sicher, dass ihm das bei den Europameisterschaften nicht noch einmal passieren wird. Da wird er sich mental ganz anders präsentieren.
Mit Christoph Harting und Julia Fischer trainieren Sie zwei weitere EM-Kandidaten. Letztere startete vergangenes Jahr bärenstark in die Saison, als sie sich in Wiesbaden auf 66,04 Meter steigerte. Danach verlor sie jedoch den Faden und konnte bei den Deutschen Meisterschaften und bei der WM in Moskau nicht mehr an diese Leistung anknüpfen. Was ist 2014 von ihr zu erwarten?
Torsten Schmidt:
Julia Fischer steht voll im Saft. Im Training zeigt sie konstant gute Leistungen. Seit Januar ist sie in keiner einzigen Einheit unter 60 Metern geblieben, so dass ich ihr beim Meeting in Wiesbaden am Wochenende schon 64 oder 65 Meter zutraue. Vielleicht kann es sogar noch ein Stückchen weiter gehen, in Richtung ihrer Bestleistung. Julia ist eine sehr physische Werferin – allerdings hat ihr bislang die Stabilität in der Technik gefehlt. Sie selbst sagt von sich, sie habe jede Menge Sand, aber keine Förmchen, sodass vieles verpufft. Inzwischen sehe ich sie aber auch technisch auf einem guten Weg. Wir haben uns auf zwei, drei Aspekte konzentriert, auf die sie bei jedem Wurf achten soll. Wenn sie die berücksichtigt, sollte sie in der Lage sein, jederzeit 62, 63 Meter zu werfen, egal wie sie sich am Tag des Wettkampfes fühlt.
Wie ist die Form von Christoph Harting?
Torsten Schmidt:
Er hatte ein paar Handgelenksprobleme, aber er hat tapfer durchgezogen. Seine 62,56 Meter vom Winterwurf-Europacup sind ein guter Ausgangswert, auf dem sich aufbauen lässt. Wenn er fit ist, traue ich ihm ähnlich weite Würfe wie im vergangenen Jahr zu.
Hat er das Zeug dazu, eines Tages genauso weit zu werfen wie sein großer Bruder?
Torsten Schmidt:
Ja. Er hat sogar noch bessere allgemeine Fähigkeiten als Robert Harting. In Sachen Athletik und Schnellkraft hat er von der Natur mehr mitbekommen. Allerdings fehlt ihm noch etwas das Feingefühl für die Technik und die Fähigkeit, sich voll auf eine Sache zu konzentrieren, wie sie Robert besitzt. Aber er ist ja noch jung. Christoph Harting besitzt auf jeden Fall das Potenzial, bei den Olympischen Spielen 2016 ganz vorn mitzumischen und um eine Medaille zu kämpfen.
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Quelle: leichtathletik - Ihr Fachmagazin