| Neue Meisterin

Laura Gröll – Beschwerlicher Weg zur Leichtigkeit

Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig haben einige neue Gesichter den Platz ganz oben auf dem Treppchen erobert. Einige nutzen die Abwesenheit von nationalen Leistungsträgern der vergangenen Jahre, um ins Rampenlicht zu treten. Andere ließen etablierte Athleten hinter sich und stehen für einen Generationswechsel. Wir erzählen ihre Geschichte, heute die von Hochspringerin Laura Gröll (LG Stadtwerke München).
Jan-Henner Reitze

Laura Gröll
LG Stadtwerke München

Bestleistung:

Hochsprung: 1,83 Meter (2016); Halle: 1,88 Meter (2017)

Erfolge:

Deutsche Hallenmeisterin 2020

Ein Sprung, ein Schrei, Tränen der Freude, grenzenloser Jubel und minutenlanges, ungläubiges Kauern im Innenraum. Niemand hat sich bei der Hallen-DM so schön und so ausgiebig über ihren Titel gefreut wie Hochspringerin Laura Gröll. Es brauchte einige Minuten, um all die Emotionen rauszulassen, die sich über Jahre aufgestaut hatten.

Ihr erfolgreicher Sprung im dritten Versuch über 1,86 Meter bedeutete für die gerade einmal 21-Jährige so viel mehr als ihre erste Goldmedaille auf nationaler Ebene überhaupt. Es war ein Sieg über eine lange Verletzungszeit und die damit verbundenen Zweifel, ein Sieg über Erwartungen von außen, aber vor allem eine Befreiung vom selbst auferlegten Leistungsdruck, mit dem sich die junge Athletin lange mental gelähmt hatte.

„Ich habe mich so groß gefühlt und so leicht. Ich hatte noch nie so viel Selbstvertrauen wie in dieser Hallensaison. Für mich ist es das Wichtigste, im Kopf locker gewesen zu sein. Dann ist auch der Körper leicht“, erzählt die Münchenerin, die besonders stolz und ein bisschen überrascht darüber war, wie unvoreingenommen sie im Anschluss an ihre so emotionalen Minuten auch noch starke, wenn auch vergebliche Versuche an 1,90 Meter zeigte. Dass sie in dem Moment belastende Erinnerungen in Verbindung mit der Höhe hinter sich lassen konnte, macht ihr Hoffnung für die weitere Karriere.

Frühe Höhenflüge werden zur Last

Gut drei Jahre ist es her, dass sich Laura Gröll zuletzt an 1,90 Metern versuchte. Als 18-Jährige hatte sie sich zum Auftakt der Hallensaison 2017 auch dank ihrer damaligen Unbeschwertheit zuerst auf 1,87 Meter und im nächsten Wettkampf auf 1,88 Meter gesteigert. Neben dem überragenden Ergebnis brachte dieser Höhenflug aber ein negatives Resultat mit sich, das die nächsten Jahre prägen sollte. „Ich habe mir gesagt: Bei den 1,90 Metern beginnt die erweiterte Spitze. Du musst das jetzt schaffen. So bin ich in jeden Wettkampf gegangen und war viel zu verkrampft. Das war genau die falsche Einstellung, die ich erst im vergangenen Sommer wieder ablegen konnte.“

Auch wenn es in ihrem im DLV starken Jahrgang um Medaillen und internationale Startplätze bei Nachwuchsmeisterschaften ging, wirkte sich diese innere Blockade aus. „Ich hatte sowohl 2016 die Norm für die U20-WM als auch 2017 die Norm für die U20-EM. Aber als es in Mannheim um die Tickets ging, konnte ich mein Potential nicht voll abrufen und musste daheim bleiben. Das war für mich extrem deprimierend“, erinnert sich Laura Gröll, die in ihrer U20-Zeit Medaillen bei Deutschen Jugendmeisterschaften holte, aber keinen Titel.

Nahrungsergänzung mindert Verletzungsanfälligkeit

Hinzu kamen dann auch noch Verletzungsprobleme, ausgerechnet kurz nach dem Wechsel nach München in die Trainingsgruppe von Sebastian Kneifel im Herbst 2017, von dem sich die junge Hochspringerin eigentlich kurzfristig den nächsten Karriereschritt versprochen hatte. Im Januar 2018 traten Schmerzen im Fuß auf, die Laura Gröll leider schon kannte. „Ich hatte schon 2015 einen Ermüdungsbruch und es war wieder derselbe Knochen.“ Sie wollte es aber nicht wahrhaben. Nahm trotz der Schmerzen an Wettkämpfen teil und quälte sich so lange durch, bis eine Zwangspause unvermeidbar war.

„Im Trainingslager habe ich dann Aquajogging gemacht oder mich auf dem Fahrrad abgestrampelt, während die anderen Leistungssprünge vollzogen haben. Das war eine schwere Zeit. Als Sportler hat man einen großen Bewegungsdrang und kann ihn nicht ausleben. Ich habe mich machtlos gefühlt.“

Ein Meilenstein auf dem Weg zurück war die Auseinandersetzung mit der richtigen Ernährung und Energieversorgung. „Mein Vitamin D war total im Keller und die damit verbundene Aufnahme von Calcium. Es hat sich rausgestellt, dass meine Regenerationsfähigkeit nicht mit dem Trainingsalltag Schritt hält.“ Binnen kurzer Zeit nach dem Beginn der Einnahme von Vitaminen und Mineralen verbesserten sich der Schlaf und das allgemeine Wohlbefinden. Probleme mit dem Sprungfuß treten seitdem keine mehr auf.

Sebastian Kneifel: Trainer und Zuhörer

Talent und körperliche Voraussetzungen hat Laura Gröll mit nach München gebracht. Trainer Sebastian Kneifel (Bestleistung: 2,21 Meter; 2009), der auch EM-Teilnehmer Tobias Potye (LG Stadtwerke München) betreut, liefert die nötige Fachkenntnis in Sachen Trainingsaufbau und Steuerung. Das sind aber noch nicht alle Zutaten für eine erfolgreiche Hochsprung-Karriere. Denn es kommt auch auf den menschlichen Faktor an, und da sind vor allem Zuhörerqualitäten gefragt.

„Basti und ich reden sehr viel. Wenn es mir nicht gut geht, kommt es vor, dass wir eine Trainingseinheit weglassen und einen Kaffee trinken gehen.“ Neben der Verletzungszeit gab es auch im vergangenen Herbst Gesprächsbedarf. Wegen eines Praktikums drohte der Studentin im Fach Gesundheitswissenschaften ihr Alltag über den Kopf zu wachsen. „Ich habe mich unsicher gefühlt und hatte keine Energie. Daraufhin haben wir das Training auf vier Einheiten die Woche zurückgefahren.“ Die Athletin schätzt das Verständnis und den Rat ihres Trainers über den Sport hinaus. „Ich fühle mich sehr gut aufgehoben.“

Das Studium verlangt organisatorischen Aufwand und Weitsicht, etwa eine langfristig angelegte Klausurvorbereitung, um nicht kurzfristig in Zeitnot zu geraten. „Das nimmt mir ein paar Sorgen.“ Genau wie die Möglichkeit, die von der TU München geboten wird, dass Leistungssportler ihr Studium strecken können.

Familie wichtiger Rückhalt, Papa auch größter Fan

Neben ihrem Trainer gibt es noch einen wichtigen Mann im Sportlerleben von Laura Gröll: ihren Vater Roland. Der frühere Dreispringer hat die Begeisterung für Leichtathletik mit in die Familie gebracht. „Als die große meiner beiden Schwestern mit dem Training begonnen hat, bin ich einfach mitgegangen. Es hat mir großen Spaß gemacht und ich bin dabei geblieben“, erzählt die Hochspringerin von ihren sportlichen Anfängen bei der LG Eckental, deren erster Vorsitzender auch heute noch Vater Roland ist.

Ihre heutige Spezialdisziplin kristallisierte sich nach und nach heraus. Es folgten erste Erfolge für ihren Heimatverein, dem Laura Gröll bis zum Wechsel zur LG Stadtwerke München 2018 die Treue hielt. Mit 13 überquerte sie 1,66 Meter, im Alter von 14 Jahren schon 1,72 Meter, damit gehörte sie zu den deutschlandweit Besten ihres Jahrgangs. Erstmals 1,80 Meter blieben im Jahr 2016 liegen und später in dem Sommer auch noch 1,83 Meter, womit die damals 18-Jährige ihre bis heute gültige Freiluft-Bestleistung aufstellte.

Bei so vielen Wettkämpfen wie möglich ist Papa Roland dabei. „Ich bin ein Familienmensch und schätze den Rückhalt sehr. Mein Papa unterstützt mich ganz besonders. Er ist auch immer der Erste, der nach einem Wettkampf umarmt wird.“ In Leipzig war das leider nicht möglich. Ihr Vater hatte auf der Tribüne mitgefiebert. Die Tochter im Innenraum war außer Reichweite.

Langfristige Ziele statt kurzfristiger Angriff 

Natürlich ist der neuen Deutschen Hallenmeisterin bewusst, dass ihr Titel auch durch die Abwesenheit der aktuell stärksten DLV-Hochspringerinnen Marie-Laurence Jungfleisch (VfB Stuttgart), Imke Onnen (Hannover 96) und der Aufsteigerin des vergangenen Jahres Christina Honsel (TV Wattenscheid 01) möglich wurde. Mittelfristig sieht sie aber die Chance, Anschluss an das Leistungsniveau dieser nationalen Konkurrenz zu finden.

Auf dem Weg dahin steht nicht die körperliche Komponente im Mittelpunkt. Vor allem die in leidvollen Zeiten erlernte Leichtigkeit im Kopf soll bewahrt werden. „Als ich und mein Trainer in Leipzig beschlossen haben, die 1,90 Meter zu versuchen, hatte ich den Bruchteil einer Sekunden wieder den Gedanken im Kopf: Wow, da ist diese Zahl wieder“, sagt die 21-Jährige. „Aber ich habe das nicht verinnerlicht. Ich bin mit einem Grinsen angelaufen und habe es einfach probiert.“

Die 1,90 Meter stehen dabei im kommenden Sommer nicht nur für die persönliche Geschichte, die Laura Gröll damit verbindet, sondern auch für die Norm für die EM in Paris (Frankreich; 26. bis 30. August). Das bewiesene Potential, diese Höhe zu meistern, soll aber nicht wieder zur Last werden. „Wenn es mit den 1,90 Meter klappt, freue ich mich und sehe es als Geschenk. Mein Training ist aber auf Olympia 2024 ausgelegt. Die Heim-EM in München 2022 ist ein schönes Zwischenziel. Bis dahin ist noch so viel Zeit. Es kann viel passieren und alles bis dahin ist kein Muss.“

Video-Interview: Laura Gröll: Ich wollte einfach zeigen, was ich drauf habe
Video: Hochsprungsiegerin Laura Gröll vergießt Freudentränen

Das sagt Bundestrainerin Brigitte Kurschilgen:

Laura war schon in der Jugend eine vielversprechende Athletin. Höhen von 1,80 Meter und mehr haben Hoffnung auf eine positive Weiterentwicklung geweckt. Dann hatte sie aber dauerhaft Probleme mit ihrem Fuß, was zu Ruhigstellungen und Trainingseinschränkungen geführt hat. Das hat ihre Entwicklung verzögert.

In Leipzig und insgesamt in dieser Hallensaison hat sich Laura in einer tollen körperlichen Verfassung präsentiert und Defizite durch den Trainingsausfall aufgeholt. Sie hat auch turnerische Qualitäten und bringt durch ihre Größe gute Voraussetzungen für den Hochsprung mit. Die Versuche in Leipzig bei 1,90 Meter haben gezeigt, dass Potential für diese Höhe ist da.

Durch das Studium haben Laura und ihr Trainer Sebastian Kneifel erst im November mit dem ernsthaften Training begonnen. Wenn das jetzt kontinuierlich weiter durchgeführt werden kann, zum Beispiel im anstehenden Trainingslager in Südafrika, ist sie eine Kandidatin für die EM.

Großartig ist es, dass Laura in Krisenzeiten nicht aufgegeben hat. Sie musste mehrere bittere Täler durchschreiten, die sich über einen langen Zeitraum erstreckt haben und hat bewiesen, dass man dennoch den Anschluss wieder finden kann. Das zu schaffen, ist eine wichtige Lektion, die auch nahezu alle Topathleten lernen mussten. Schaut man sich deren Karrieren an, haben alle eine Phase der Konsolidierung oder sogar des Rückschritts erlebt.

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