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Anderthalb Jahre nach Geburt des Sohnes: Francés Herrmann gewinnt Speerwurf-Silber

Anderthalb Jahre nach Geburt des Sohnes: Francés Herrmann gewinnt Speerwurf-Silber
Eine Silbermedaille, die nicht mal die Athletin selbst auf dem Schirm hatte, Disqualifikations-Stress, schnelle Sprinter auf Prothesen und starke Nachwuchstalente: Der dritte Para Leichtathletik-Tag im Tokioter Olympiastadion hatte es aus deutscher Sicht in sich.
Nico Feißt (DBS) / mbn / dpa

Knapp anderthalb Jahre nach der Geburt ihres Sohnes hat Speerwerferin Francés Herrmann bei den Paralympics in Tokio am Sonntag überraschend die Silbermedaille gewonnen. Die 32-Jährige aus Cottbus wurde in der sitzenden Klasse mit 17,72 Metern nur von der siegreichen Chinesin Lijuan Zou (22,20 m) geschlagen. „Dass es sich irgendwie gelohnt hat, legitimiert ein bisschen, dass ich mein Kind alleine gelassen habe“, sagte Herrmann: „Ich habe jetzt gezeigt, dass ich es auch mit der Doppelbelastung als Mutter kann. Ich will das auch weiter und will, dass mein Sohn damit groß wird.“

Gemischte Gefühle dürfte nach dem Erfolg Herrmanns Mutter haben. „Meine Mutti hat gesagt, wenn ich eine Medaille hole, springt sie zu Hause in den See. Und zu Hause sind 16 Grad“, sagte sie lachend. Für Herrmann war es die zehnte Medaille bei Welt- und Europameisterschaften oder Paralympics und der größte Erfolg seit Silber im Diskus bei den Spielen 2008.

Youngster Merle Menje fährt auf Platz vier

Merle Menje hat in ihrem zweiten Paralympics-Finale Platz vier über 800 Meter der Klasse T54 belegt. In 1:46,43 Minuten blieb die 17-Jährige nur hinter drei absoluten Weltklasse-Rennrollstuhlfahrerinnen zurück. Am Abend zuvor war die Athletin vom Stadt-Turnverein Singen, die in der Schweiz bei Paul Odermatt trainiert, bei ihrem Debüt noch starke Sechste über 5.000 Meter geworden.

„Ich habe alles gegeben und immer wieder versucht, anzugreifen und weiterzumachen, ich glaube, ich kann sehr zufrieden sein“, sagte Menje, die ihren Vorlauf am Vormittag in 1:53,06 Minuten auf Rang zwei beendet hatte: „Auf den ersten Blick kann ich mir nichts vorwerfen, ich habe alles gegeben. Jetzt hoffe ich über die 1500 Meter wieder auf eine Finalteilnahme, das wäre richtig toll – und wenn ich da wieder den Kontakt nach vorne halten könnte, wäre ich super happy.“

Sechster Platz für Yannis Fischer

Yannis Fischer hat bei seinem Paralympics-Debüt einen guten sechsten Platz belegt. Der 19-Jährige stieß die Kugel in der Klasse F40 auf 10,16 Meter und blieb damit nur fünf Zentimeter unter seiner Bestleistung. Der kleinwüchsige Athlet vom Stadt-Turnverein Singen, der in Stuttgart bei Peter Salzer trainiert, stieß seine beste Weite des Tages im fünften Versuch.

„Mein Ziel war ja eigentlich, meine persönliche Bestweite zu verbessern, das ist mir nicht gelungen. Aber es bringt jetzt auch nichts, den Kopf hängen zu lassen. Ich muss weitermachen und das Ziel muss Paris 2024 sein“, sagte Fischer, der mit ansehen durfte, wie der Weltrekord in einem hochklassigen Wettkampf drei Mal verbessert wurde und der Sieger und Zweitplatzierte am Ende nur einen Zentimeter auseinanderlagen: „Das freut mich unglaublich für sie, es war eine Ehre, dabei sein zu dürfen und hier Erfahrungen zu sammeln.“

Erst Bronze dann disqualifiziert

Nicole Nicoleitzik erlebte eine bittere Enttäuschung, nachdem sie ihren Traum von einer Paralympics-Medaille kurzzeitig realisiert gesehen hatte: Die Sprinterin vom TV Püttlingen sprintete auf Platz drei und freute sich über Bronze und eine neue Bestzeit von 30,76 Sekunden. Doch kurz darauf der Schock: Bei der Doppel-Europameisterin von 2018 stand in der Ergebnisliste, dass sie disqualifiziert wurde, weil sie in der Kurve in die gegnerische Bahn getreten haben soll.

„Für mich hat sich der Lauf optimal angefühlt, ich hätte mit so einer Zeit und der Platzierung nie gerechnet. Ich kann mir das noch nicht erklären“, sagte die 26-Jährige, die den Tränen nahe war. Die deutsche Mannschaft entschied sich gegen einen Protest, da der Regelverstoß auf Bildern zu erkennen war. Mit dem Selbstvertrauen, gut drauf zu sein, kann Nicoleitzik jedoch optimistisch in die 100-Meter-Rennen starten. Nicht zufrieden war auch Isabelle Foerder. Nach einem überraschenden vierten Platz über 100 Meter reichte es über die 200 Meter der Klasse T35 nur zu Platz sieben in 33,05 Sekunden. „Es war schwer heute. Der Anfang war okay, dann mittendrin weiß ich selbst nicht, was los war“, sagte Foerder, die ihren sechsten Paralympics dennoch attestierte, dass es „schöne Spiele“ waren.

Felix Streng und Johannes Floors mit schnellen Vorläufen

Keinen Zweifel an ihren Ambitionen ließen hingegen die Sprinter auf Prothesen: In der Klasse der unterschenkelamputierten Sprinter gewannen Felix Streng in 10,72 Sekunden und Johannes Floors in 10,79 Sekunden jeweils ihre Vorläufe. Bei den oberschenkelamputierten Athleten siegte Léon Schäfer einen Tag nach seinem Weitsprung-Silber locker in 12,32 Sekunden, wird sich im Finale aber unter anderem mit Weltrekordhalter Vinicius Goncalves Rodrigues messen, der in 12,11 Sekunden Vorlaufschnellster war.

„Es war ein Rennen, um hier anzukommen und es war wichtig, das zu gewinnen“, sagte Felix Streng: „Ich habe ein ganz lockeres Rennen gemacht und glaube, ich bin gut vorbereitet für das Finale. Ich habe eine starke Saison gemacht, bin immer schnell gelaufen und wollte bestätigen, was ich drauf habe.“

Finale mit Spannung erwartet

Ähnlich äußerte sich Floors, der das letzte Duell 2019 bei der WM für sich entscheiden konnte, nachdem Streng 2018 bei der EM gesiegt hatte: „Es war ein guter Auftakt für das Finale. Dort erwartet uns ein hartes Rennen, aber ich bin zuversichtlich, dass ich vorne mitrennen kann.“ Für Léon Schäfer begann das Zittern nach dem Wettkampf: Seinen Lauf hatte er zwar nach nicht optimalem Start entspannt ins Ziel gebracht, doch zuvor hatte er eine Gelbe Karte am Start bekommen.

„Wir dürfen keine Handtücher mit auf die Bahn bringen, eine Offizielle hat aber gesagt, wir dürfen das. Also ein Missverständnis, alles gut“, hatte Schäfer vermutet – doch über eineinhalb Stunden nach dem Zieleinlauf war noch immer kein offizielles Ergebnis vorhanden, weil nicht nur Schäfer, sondern auch der dänische 100-Meter-Weltmeister Daniel Wagner zwischenzeitlich disqualifiziert worden waren.

David Behres letztes Einzelrennen

Sein letztes Einzelrennen bestritt David Behre im gleichen Vorlauf wie Streng. Der Sprinter vom TSV Bayer 04 Leverkusen, der in Rio einen ganzen Satz Medaillen gewann, wurde in 12,10 Sekunden 15. über 100 Meter. Zufrieden war er damit nicht: „Ich wollte hier Saisonbestzeit laufen, das hat nicht funktioniert. Das zeigt mir auch, dass es richtig ist, meine Karriere nach Tokio zu beenden“, sagte Behre, der verletzungsbedingt seit Rio 2016 keinen großen Wettkampf mehr bestreiten konnte.

 „Da komme ich nicht mehr mit, da vorne geht so der Punk ab, die sind so flott. Gerade mit der Doppelbelastung zuhause mit kleinem Kind, Freundin, Unternehmen – was ich sehr genieße – hätte der Sport in Zukunft noch weniger Platz. Von daher bin ich zufrieden mit meiner gesamten Karriere und glücklich, hier zu stehen und noch mal dabei zu sein.“

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