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Christoph Kessler – National endlich ganz oben

Sieben DLV-Athletinnen und -Athleten haben sich bei der Hallen-DM erstmals in die Siegerliste eingetragen. Unter ihnen neue Gesichter sowie Athletinnen und Athleten, die schon mehrere Medaillen auf nationaler Ebene zu Hause haben und in Leipzig endlich ganz oben standen. Wir stellen sie vor. Heute: Mittelstreckler Christoph Kessler (LG Region Karlsruhe).
Jan-Henner Reitze

Christoph Kessler
LG Region Karlsruhe

Bestleistung:

800 Meter: 1:46,11 min (2018)
1.500 Meter: 3:40,10 min (2021); Halle: 3:38,46 min (2022)

Erfolge:

Deutscher Hallenmeister 2022

Trainieren gehen heißt nicht nur ein Programm abspulen und Bestzeiten jagen, sondern auch Zeit mit Freunden verbringen. Umso besser, wenn das auch noch in die nationale Spitze und zu Einsätzen im Nationaltrikot führt. So kann man die vergangenen Jahre der Karriere von Christoph Kessler beschreiben, in denen er bei der Heim-EM in Berlin und dreimal nacheinander bei Hallen-Europameisterschaften über 800 Meter am Start war sowie gleich sechsmal auf den Silber-Platz bei Deutschen Meisterschaften lief.

Mit dem Umzug von Karlsruhe nach München, der Ausrichtung mehr in Richtung der 1.500 Meter und dem beruflichen Start nach seinem Studienabschluss hat sich für den 26-Jährigen seit dem vergangenen Herbst einiges verändert. Das gilt auch für seine Sammlung von DM-Medaillen. Bei der Hallen-DM in Leipzig sicherte er sich, mal wieder taktisch klug, erstmals Gold über 800 Meter. Und seine Steigerung über 1.500 Meter auf 3:38,46 Minuten sollte gar die Qualifikation für die Hallen-WM bedeuten.

Die Veränderungen haben neben der schon immer vorhandenen Leidenschaft für die Leichtathletik seine Neugierde noch einmal neu entfacht, was mit den Umstellungen und auf der „neuen Strecke“ möglich ist. Die EM in seiner neuen Wahlheimat ist in diesem Jahr wichtiges Ziel.

Zuerst eines von vielen Hobbys, dann Lebensinhalt

Leichtathletik gehörte von klein auf zum Alltag von Christoph Kessler, war aber nicht sein einziges Hobby. „In meiner Familie war nachmittags und abends eigentlich nie jemand zu Hause“, erzählt der heutige Leistungssportler. „Wir waren immer alle unterwegs. Außer Leichtathletik habe ich auch noch geturnt und Posaune gespielt." In seinem ersten Verein, dem LV Donaueschingen, Teil der LG Baar, in seiner Heimat im Schwarzwald trainierten vor allem Werfer und Mehrkämpfer.

Das Laufen stand noch nicht im Mittelpunkt. „Dauerläufe hätte ich beispielsweise allein machen müssen, deshalb wurden diese häufig verkürzt oder auch mal weg gelassen.“ Dennoch zeigte sich immer mehr sein Talent in diesem Disziplinbereich. Die Leichtathletik entwickelte sich mehr und mehr zum liebsten und erfolgreichsten Hobby. Erstmals in der DLV-Bestenliste tauchte der Name Christoph Kessler in seinen U18-Jahren auf, über 2.000 Meter Hindernis in den Jahren 2011 (28.; 6:42,57 min) und 2012 auf Platz 21 (6:24,01 min).

Studium in Karlsruhe, Trainer- und Vereinswechsel

Nach seinem Abitur entschied sich der damals 18-Jährige für ein Studium der Verfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie. Gleichzeitig bot ihm diese neue Heimat sportlich mit der Gruppe von Günther Scheefer bei der LG Region Karlsruhe nicht nur die Möglichkeit, weiter Leichtathletik zu betreiben. Dort war er erstmals auch umgeben von anderen Läufern, und das Training wurde strukturiert auf die Mittelstrecke ausgerichtet. „Ich habe mir damals vorgestellt, vielleicht einmal an Deutschen Meisterschaften der Männer teilzunehmen oder Erfolge mit der Staffel zu feiern.“

Es kam anders, und schon der folgende Sommer eröffnete plötzlich ganz neue sportliche Dimensionen. In seinem zweiten U20-Jahr fand sich der Student plötzlich und unverhofft in der deutschen Nachwuchsspitze wieder. Er steigerte sich über 800 Meter bis auf 1:49,03 Minuten und holte in Wattenscheid den deutschen Jugendmeistertitel. Seitdem zählt der Mittelstreckler zur nationalen Spitze der U23 und Männerklasse.

Vor allem bei Meisterschaften war immer mit Christoph Kessler zu rechnen. Teilweise nur um Hundertstel von Gold entfernt, lief er seit 2017 insgesamt sechsmal zu DM-Silber. „Als Favorit bin ich nie an den Start gegangen. So war jede einzelne Silbermedaille ein Erfolg“, sagt er. In der Summe war es aber doch auch ein bisschen bitter, so oft knapp an Gold vorbei zu schrammen.

In Karlsruhe entstehen Freundschaften fürs Leben

Die Trainingsgruppe von Günther Scheefer, zu der etwa auch Holger Körner, Felix Wammetsberger oder Pascal Kleyer zählten, wurde nicht nur zum sportlichen Mittelpunkt des Alltags, sondern auch zum sozialen. „Es gehörte auch immer dazu, beim Einlaufen zu quatschen und den ein oder anderen Spaß zu machen“, erzählt der langjährige 800-Meter-Spezialist.

Zum ganz großen Durchbruch auf internationaler Ebene fehlte bisher noch das letzte Quäntchen an Tempofähigkeit. „Meine Schnelligkeit ist begrenzt. Ich werde keine 1:44 tief laufen können.“ Dazu kamen Verletzungsprobleme und eine Hüft-OP, die das Training in den Jahren 2019 und 2020 ausbremsten. Das galt auch für Pläne, die 1.500 Meter schon früher stärker mit ins Repertoire zu nehmen.

Wegen seiner besseren Position auf den 800 Metern im Word Ranking verzichtete Christoph Kessler 2021 noch darauf, sich mehr auf die knapp doppelt so lange Strecke zu orientieren. Es reichte allerdings nicht, sich darüber für Olympia in Tokio (Japan) zu qualifizieren. Mit erstmals gleich zwei deutschen Vize-Meistertiteln in einem Jahr und dem erfolgreichen Masterabschluss in seinem Studium bot das vergangene Jahr dennoch einiges auf der Habenseite.

Neuer Standort, neue Perspektive

Im vergangenen Herbst entschied sich der „DM-Silber-Abonnent“ dann für einen kleinen Neuanfang und zog nach München. Ausschlaggebend war, dass er nach drei Jahren Fernbeziehung endlich mehr Zeit mit Mittelstrecklerin Katharina Trost (LG Stadtwerke München) verbringen wollte. Dazu kam, dass in Karlsruhe die Europahalle saniert wurde und im Winter nicht zum Training zur Verfügung stand.

„In München ist die Infrastruktur für den Sport sehr gut. Ich bin toll aufgenommen worden“, erzählt Christoph Kessler und schmunzelt: „Mein Betreuerstab gleicht jetzt dem einer Fußballmannschaft.“ Haupttrainer blieb Günther Scheefer, der sich mit Isabelle Baumann absprach. Die Ausdauer rückte mehr in den Mittelpunkt, und in München absolvierte der Mittelstreckler in der Vorbereitung auf die zurückliegende Wintersaison viele Einheiten gemeinsam mit Langstreckler Robert Baumann (LAV Stadtwerke Tübingen). Der Münchner Trainer Andreas Knauer hatte einen Blick auf das Duo und gab Rückmeldung, wenn ihm etwas auffiel. Einen weiteren Impuls gab Jonas Zimmermann, der das Krafttraining eng betreute.

Nach dem Jahresauftakt über 800 Meter beim Meeting in Karlsruhe (1:48,29 min) war schon der Auftritt bei den Süddeutschen Hallenmeisterschaften über 1.500 Meter (3:41,11 min), bei dem Christoph Kessler in den ersten Runden Lukas Abele (SSC Hanau-Rodenbach) als „Lokomotive“ nutzen konnte, ein erster Fingerzeig. Die 3:38,46 Minuten und damit Hallen-WM-Norm (3:39,00 min) beim Meeting in Dortmund bewiesen dann, dass der 26-Jährige auch über die etwas längere Distanz internationale Normen laufen kann. Gold bei der Hallen-DM (1:47,76 min) vor den mit deutlich besseren Zeiten angereisten Karl Bebendorf (Dresdner SC 1898; 1:48,02 min) und Marc Reuther (Eintracht Frankfurt; 1:48,29 min) war dann der Beweis, dass von der Konkurrenzfähigkeit über 800 Meter nichts verloren gegangen ist.

Heim-EM als klares Ziel

Nach insgesamt vier EM-Teilnahmen in der Männerklasse hätte in Belgrad (Serbien) bei der Hallen-WM am kommenden Wochenende (18. bis 20. März) die erste Meisterschaft auf Weltniveau angestanden. Doch Corona bremste Christoph Kessler kurzfristig aus. "Dank Corona muss ich meine Reise nach Belgrad und damit meine erste WM sausen lassen. Auch wenn es natürlich super nervig ist, bin ich erstmal froh, dass es mir soweit gut geht. Dem deutschen Team drücke ich jetzt von zuhause aus die Daumen", schrieb er am Mittwoch auf Instagram.

Ein erklärtes Ziel für den Sommer ist nun die Heim-EM in München (15. bis 21. August). Welche Strecke es dort werden soll, steht noch nicht fest. An den 800 Metern reizt auch die Norm (1:45,90 min), denn mit den 1:46 Minuten soll in Sachen Bestzeit noch eine Barriere fallen. Seine Hallenzeit über 1.500 Metern hat schon gezeigt, dass die Freiluft-EM-Norm (3:36,00 min) nicht außer Reichweite ist. Eine Rolle wird auch spielen, wie sich im Rennen um die EM-Tickets die Konkurrenz in Szene setzt.

Mit einer 25-Wochenstunden Teilzeitstelle ist mittlerweile auch der Berufseinstieg vollzogen. Wie es mit der Sportkarriere weitergeht, wird ab sofort von Jahr zu Jahr entschieden. „Für 2022 bin ich hochmotiviert. Ich möchte sowohl über 800 als auch über 1.500 Meter Bestzeiten laufen. Und die Möglichkeit in meinem neuen sportlichen zu Hause, im super schönen Münchner Olympiastation bei der EM zu laufen, ist ein riesen Ansporn.“

Video: Christoph Kessler überspurtet die Konkurrenz
Video-Interview: Christoph Kessler: "Die Attacke von Karl war sehr knackig"

Das sagt Bundestrainer Georg Schmidt:

Christoph ist verhältnismäßig spät, in seinem zweiten U20-Jahr, auf der nationalen Bildfläche erschienen. Schon in jungen Jahren hat er damit gezeigt, dass es nicht nur Erfolge sind, die seine Motivation fürs Training entfachen. Er ist ein Kämpfer, hat in seinem Bereich über Jahre konstante Zeiten angeboten, und vor allem bei Meisterschaften ist immer mit ihm zu rechnen.

Bei Deutschen Meisterschaften hat er schon viele gute Rennen gemacht. Er hat oft stärker eingeschätzte Gegner hinter sich gelassen. Die Art und Weise, wie er in Leipzig zum Sieg gelaufen ist, war stark. Nachdem er die ersten 400 Meter Tempo gemacht hatte, wurde er überholt, um dann hinten raus wieder vorbeizugehen. Auch bei seinen Auftritten bei Hallen-Europameisterschaften hat er seine Fähigkeiten als Turnier-Läufer unter Beweis gestellt und zweimal das Halbfinale erreicht.

Christoph war schon immer eher der Ausdauertyp, nicht der Schnelligkeitstyp. Das zeigen auch seine Werte bei den Leistungsdiagnostiken. Die 1.500 Meter mehr in den Fokus zu stellen, war schon länger geplant. Diese Strecke bietet auch die Möglichkeit, sich noch einmal neu zu entwickeln. Auch für die 800 Meter kann die Umstellung noch einmal einen Schritt nach vorn bedeuten.

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