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Zum Tod von Sigrun Kofink: "Sport hat mir fantastische Möglichkeiten gegeben"

Sie war eine einzigartige Leichtathletin und hat mit Kugel, Diskus und Speer eine außergewöhnliche Karriere hinter sich. Über 50 Jahre stand für Sigrun Kofink (geborene Grabert) der Sport im Mittelpunkt, bis ins hohe Alter. Am Dienstag ist sie kurz vor ihrem 80. Geburtstag verstorben.
Ewald Walker

Sigrun Kofink hat viele (sportliche) Lebensweisheiten gesammelt: die Harmonie zwischen Körper, Geist und Seele muss stimmig sein; je älter man wird, desto dosierter und spezifischer müssen Vorbereitung und Wettkampf abgestimmt sein; subjektive Empfindungen sind wichtiger als Trainingsgesetze - und als besondere Botschaft für die vielen Alterssportler: Training im Alter bedarf einer besonderen Feinabstimmung.

„Sport ist mein Leben“, sagte Sigrun Kofink, „er hält mich aktiv, beweglich in den Gliedern und im Kopf.“ In ihrer Aktivenzeit war sie sieben Mal Deutsche Meisterin im Kugelstoßen, bestritt zwischen 1956 und 1978 zusammen 29 Länderkämpfe für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und startete bei drei Europameisterschaften. „Der Sport hat mir fantastische Möglichkeiten gegeben, meinen Körper zu fordern und etwas aus ihm heraus zu holen“, war eine ihrer zentralen Erkenntnisse.

Vereine rangelten um das Talent

Erst spät, mit 19, kam Sigrun Grabert nach ihrer Schulzeit in Tübingen und Reutlingen zur Leichtathletik, als sie im Rahmen der Ausbildung zur Hauswirtschaftslehrerin mit ihren außergewöhnlichen Wurfleistungen auffiel. Kurios: Weil sie noch in keinem Verein war, konnte sie 1956 noch nicht bei Deutschen Meisterschaften starten, obwohl sie bereits württembergische Hallenmeisterin war.

Was folgte war ein „unschönes Gerangel“ um das Talent Sigrun Grabert: zunächst war sie bei den Stuttgarter Kickers, fuhr mit dem Roller von ihrer Lehrerstelle in Nagold zur Sportschule Neckarstadion nach Stuttgart ins Training. Schließlich landete sie beim SV 03 Tübingen. In Tübingen erhielt sie beachtliche Unterstützung. So wurden die bis heute in der Tübinger Lindenallee beim Freibad erhaltenen Wurfanlagen Ende der 50er Jahre für das baldige Aushängeschild Sigrun Grabert erstellt.

Olympiateilnahmen knapp verpasst

1959 folgte der Durchbruch: mit 15,33 Meter stieß sie die Kugel auf württembergische Rekordweite, war 13. weltweit. Im Olympiajahr von Rom (Italien) 1960 holte sie ihre ersten beiden deutschen Meisterschaften, verpasste als Vierte der Ausscheidungen in Erfurt knapp die Spiele von Rom. Ihr Mann Hansjörg Kofink, den sie 1962 heiratete und dem sie drei Töchter schenkte, betreute sie ab Ende der 60er als Trainer.

„Meine größte Enttäuschung war Olympia 1972“, wußte Sigrun Kofink auch um die Tiefen ihrer Sportler-Laufbahn. Vier Jahre hatte sie sich auf die Spiele von München vorbereitet und die Olympianorm übertroffen. Mangels Endkampfchance sahen sich der DLV und das Nationale Olympische Komitee außer Stande, die drei qualifizierten Kugelstoßerinnen zu nominieren.

Späte Genugtuung

Erst 25 Jahre später schaffte Brigitte Berendonk, die damals auch im Bundeskader war, mit ihrem Buch „Doping-Dokumente“ Gewissheit: die Konkurrenz war gedopt. „Aus Protest gegen die Verschleierung von Doping-Praktiken habe ich meine Bundestrainer-Tätigkeit beendet“, erinnert sich Hansjörg Kofink.

Für Ehefrau Sigrun war es eine späte Genugtuung „für die olympische Ungerechtigkeit“, dass sie bei Senioren-Welt- und Europameisterschaften die Ostblock-Konkurrenz, darunter die Russin Ivanova, der sie in Länderkämpfen 1970 und 1971 chancenlos gegenüberstand, 20 Jahre später regelmäßig bezwingen konnte. Sie wurde vielfache Senioren-Welt- und Europameisterin und hält noch immer  Altersklassen-Weltrekorde im Kugelstoßen.  

Lehrerin in Tübingen

Sigrun Kofink startete auf vier Kontinenten, ihre Bestleistung in ihrer Parade-Disziplin Kugelstoßen erzielte sie vor der Haustür: 1972 stieß Kofink im Pliezhäuser Schönbuchstadion 16,79 Meter. Fast wäre in den 90er Jahren Tochter Ina als Deutsche Jugendmeisterin im Speerwerfen in die Fußstapfen der erfolgreichen Mutter getreten. Doch diese zog einen Wechsel zum Volleyball einer leichtathletischen Laufbahn vor.

37 Jahre arbeitete Sigrun Kofink als städtische Sportlehrerin in Tübingen. Nicht immer ließ sich die Lehrertätigkeit (u.a. an der Hermann Kurz-Schule Reutlingen und der Laiblin-Schule Pfullingen)  mit dem Leistungssport leicht vereinbaren. Als sie 1961 mit dem DLV auf Ghana-Reise war, musste sie alle Unterrichtsstunden vor- bzw. nachholen. Weil der Flieger nach einem Start beim berühmten Rossicki-Memorial in der Tschechoslowakei sonntagabends nicht flog, musste sie sich dem Vorwurf des „Schwänzens“ aussetzen. Diese Probleme haben Leistungssportler von heute nicht mehr.

Viele junge und alte Sportler dürften voller Respekt auf Sigrun Kofink schauen. „Sie hatte einen gewaltigen Willen und war eine unglaubliche Arbeiterin“, nennt Hansjörg Kofink ihre charakterlichen Eigenschaften. Auch damit ist sie ein Vorbild. Sie starb am 10. März 2015 wenige Wochen vor ihrem 80. Geburtstag.

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