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Carl-Junior Mireku Boateng kämpft sich zurück

Im Sommer 2019 verletzte sich Nachwuchs-Weitspringer Carl-Junior Mireku Boateng schwer am Fuß. Erst knapp ein Jahr später konnte der 19-Jährige sein Comeback feiern. Es ist die Geschichte von Willen und Durchhaltevermögen.
Nicolas Walter

Für Carl-Junior Mireku Boateng (Hamburger SV) hätte das Jahr 2019 zunächst kaum besser verlaufen können. Hallen-Bestleistung, Freiluft-Bestleistung und regelmäßig Sprünge deutlich über sieben Meter. Lediglich die Teilnahme an einer internationalen Meisterschaft sollte noch nicht gelingen.

Als Medaillenkandidat reiste er schließlich im Juli zu den Deutschen U18-Meisterschaften nach Ulm, bei denen er mindestens seinen zweiten Platz aus dem Vorjahr verteidigen wollte. Mit 7,34 Metern konnte er sich dort im vierten Versuch gar an die Spitze des Feldes setzen, doch beim fünften Sprung folgt der große Schock: Beim Absprung rutschte er über das Brett und blieb mit den Spikes in der Tartanbahn hängen. „Ich habe sofort gespürt, dass mein linker Fuß nach innen wegbricht. Da wusste ich, es ist vorbei. Es waren Schmerzen, die kann ich gar nicht beschreiben“, erzählt er.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb Boateng in der Weitsprung-Grube liegen. „Ich kannte solche Horrorverletzungen nur von YouTube-Videos und jetzt hatte ich so eine Verletzung selbst. Ich lag in der Grube, habe gesehen, dass mein Fuß einige Grad nach links gedreht war und dachte mir, dass wird nie wieder werden.“

„Meine Diagnose war unfassbar“

Wettkampfrichter und Sanitäter eilten zum Athleten des Hamburger SV. Die Kameras des Livestreams fingen unterdessen aus Respekt vor der Situation andere Bilder ein. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus erfuhr Boateng, dass ihn in den verbliebenen Minuten des Wettkampfs kein Konkurrent mehr von der Führungsposition verdrängt und er sich somit die Goldmedaille gesichert hatte. Doch wirklich freuen konnte er sich in diesem Moment darüber nicht: „Ich war gedanklich einfach komplett wo anders.“

Im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm erhielt er schließlich die niederschmetternde Diagnose: Unter anderem doppelter Bruch des Sprunggelenks, mehrfacher Bänderriss, knöcherne Abrisse und eine Luxation des Fußes. „Meine Diagnose war knapp zwei Seiten lang. Das war unfassbar, was da alles stand. Jeder, der diese Diagnose gelesen hat, hat ein Gesicht gemacht, welches mir gezeigt hat, dass ich nie wieder Sport machen kann“, erklärt der Deutsche U16-Meister aus dem Jahr 2017. Wenige Tage später unterzog er sich einer knapp vierstündigen Operation.

Insgesamt zwei Wochen verbrachte der damals 17-Jährige im Krankenhaus – weit entfernt von Familie und Freunden. „Sebastian Bayer hat sich in dieser Zeit sehr um mich gekümmert und mich jeden Tag angerufen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar“, sagt Carl-Junior Mireku Boateng über seinen Trainer.

„Ich musste teilweise neu lernen zu gehen“

Zurück in Hamburg, musste der frischgebackene Deutsche U18-Meister zunächst knapp zweieinhalb Monate eine Schiene tragen. „Ich musste damit auch schlafen, das war das Schlimmste.“ Doch auch als die Schiene abgenommen wurde, war an den ursprünglichen Alltag von der Vor-Verletzungszeit nicht zu denken. „Mein Bein war unglaublich dünn geworden, es war wie ein Neuanfang. Die ganze Stabilität war weg, ich musste teilweise neu lernen zu gehen. Das war sehr frustrierend.“

Doch Aufgeben kam für Carl-Junior Mireku Boateng nicht in Frage. Motivation gab ihm dabei auch die große Anteilnahme in den sozialen Medien. „Ich habe Genesungswünsche von Menschen bekommen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, und bin mit dem Antworten gar nicht mehr hinterhergekommen. Das hat mir gezeigt, was den Sport ausmacht.“

Mit intensivem Reha-Training kämpfte sich Carl-Junior Mireku Boateng langsam zurück in den Alltag. Im Februar 2020 konnte er erstmals wieder eine leichte Einheit mit seiner Trainingsgruppe absolvieren. „Ich habe mich unglaublich gefreut, wieder Sportschuhe anzuhaben und in der Halle zu stehen. Das war schon sehr viel für mich. Klar, ich möchte nicht lügen. Es hat mich schon auch frustriert, dass ich mit den leichtesten Übungen zu kämpfen hatte. Aber dann habe ich mich immer daran erinnert, wie die Ausgangssituation war.“

Sebastian Bayer als große Stütze

Auch in dieser Zeit stand ihm sein Trainer mit zahlreichen Gesprächen helfend zu Seite, hatte Sebastian Bayer einst als junger Athlet doch eine ähnliche Erfahrung durchmachen und sich nach einem Mittelfußbruch zurückkämpfen müssen. „Sebastian hat mir immer gesagt, dass wenn er das geschafft hat, ich das auch schaffen werde. Wir haben im Training auch jeden kleinsten Erfolg gefeiert. Das hat mir die Motivation gegeben, nicht aufzugeben“, erzählt Boateng, der 2021 sein Abitur ablegen wird. 

Ende Mai, genau 305 Tage nach Ausbruch der Verletzung, konnte der junge Athlet erstmals wieder eine Technikeinheit im Training absolvieren. Anfang Juli folgte schließlich die Rückkehr auf die Wettkampfbühne: In Berlin nahm Carl-Junior Mireku Boateng an seinem ersten Wettkampf nach der Verletzung teil – und sprang direkt 7,23 Meter. „Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, war, wie ich das gemacht habe. Ich hätte mich über 6,50 Meter gefreut und dann springe ich das. Alle guckten mich an und ich dachte mir nur: Wow, ich habe es geschafft, ich habe es wirklich geschafft!“

Trotz Verletzung unveränderter Sprungfuß

Zugleich wiederlegte er damit so manche medizinische Vorhersage. „Man hat mir direkt nach der Verletzung gesagt, dass ich froh sein soll, wenn ich jemals wieder normal gehen kann. Und wenn ich doch jemals wieder springen sollte, müsste ich auf jeden Fall meinen Sprungfuß wechseln. Im Endeffekt springe ich aber heute wieder mit demselben Fuß“, so Boateng. 

Die Geschichte von Carl-Junior Mireku Boateng zeigt, dass mit Willen und Durchhaltevermögen auch tiefe Täler einer Sportkarriere durchschritten werden können. Jenen Willen muss Boateng nun erneut zeigen. Vor einigen Tagen zog er sich einen Sehnenriss im rechten Oberschenkel zu, der ihn zu einer mehrwöchigen Ausfallzeit zwingt. Ärgerlich ist dabei vor allem, dass er mit derselben Verletzung bereits Ende vergangenen Jahres zu kämpfen hatte, die nun erneut aufgegangen ist.

„Die schwere Fußverletzung hat jetzt ihre Vorteile“

Die Planungen für den weiteren Saisonverlauf sind somit erst einmal gestoppt. Und das ausgerechnet in seinem letzten Jugend-Jahr, in dem er nach der Comeback-Saison 2020 noch einmal voll hätte angreifen können.

Doch Carl-Junior Mireku Boateng kann auf die Erfahrung der vergangenen Monate zurückgreifen. „Die schwere Fußverletzung hat jetzt ihre Vorteile. Das lässt mich immer wieder daran erinnern, dass man alles schaffen kann. Ich werde kämpfen, denn ich liebe diesen Sport. Ich werde alles dafür tun, um mich zu einhundert Prozent wieder zurückzumelden. Daran zweifele ich nicht.“

Im Video: Carl-Junior Mireku Boateng gewinnt 2019 mit dem weitesten Satz Gold bei der Jugend-DM

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