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Christian Zimmermann – Späte Umstellung auf Drehstoß eröffnet neues Level

Sieben DLV-Athletinnen und -Athleten haben sich bei der Hallen-DM erstmals in die Siegerliste eingetragen. Unter ihnen neue Gesichter sowie Athletinnen und Athleten, die zwar schon mehrere Medaillen auf nationaler Ebene gewinnen konnten, nun in Leipzig aber endlich erstmals ganz oben auf dem Podium standen. Wir stellen sie vor. Heute: Kugelstoßer Christian Zimmermann (Kirchheimer SC).
Jan-Henner Reitze

Christian Zimmermann
Kirchheimer SC

Bestleistung:

Kugelstoßen: 20,45 m (2021)

Erfolge:

Siebter Universiade 2019
Deutscher Hallenmeister 2022

Holprig mit Happy-End. So lässt sich die zurückliegende Hallensaison von Christian Zimmermann zusammenfassen. Nachdem es dem 27-Jährigen gemeinsam mit seinem langjährigen Trainer Joachim Lipske während des Wettkampf-Auftakts im Januar in München (19,38 m) nicht gelungen war, alle technischen Fehler abzustellen, wollte der Athlet bei den folgenden Starts in Kladno (19,12 m) und Nehvizdy (beides Tschechische Republik) sowie Anfang Februar in Rochlitz (18,56 m) „an zu vielen Schrauben gleichzeitig drehen. Der Rhythmus der sonst runden und harmonischen Drehstoßbewegung ist völlig verloren gegangen. Es war nur noch ein Kampf“, erzählt der Athlet aus Bayern.

Drei Wochen vor der Hallen-DM kam auch noch Corona inklusive Quarantäne zuerst bei ihm und dann seinem Trainer dazu. Erst zwei Tage vor dem Wettkampf in Leipzig war wieder eine gemeinsame Einheit möglich. Trotz allem flog die Kugel nach dem Wiedereinstieg im Training so weit wie nie zuvor – mehrfach über die 20 Meter, sogar in Richtung der Freiluftbestleistung von 20,45 Metern. Das gab Selbstvertrauen.

Titel trotz „schlechtem Wettkampf“

In Leipzig stellte sich allerdings wieder eine Nervosität ein, die der 2,11 Meter große Kugelstoßer des Kirchheimer SC in dieser Intensität nur von Deutschen Meisterschaften kennt und so erklärt: „Ich bin nicht gut genug, um entspannt vorne mitstoßen zu können, kann mich gleichzeitig aber wegen des Kaderstatus und meiner Bundeswehrzugehörigkeit blamieren. Diesmal kam noch dazu, dass ein Erfolg auch für mein Umfeld notwendig war.“ Mit sämtlicher Entspannung vorbei war es, nachdem sein erster Versuch wegen regelwidrigen Abdrückens an der Ringkante ungültig gegeben worden war.

Im fünften Durchgang landete die Kugel dann doch noch bei 19,75 Metern, was an diesem Tag für die Goldmedaille reichte. „Es war ein ähnlich schlechter Wettkampf wie die anderen in diesem Winter. Dass es 19,75 Meter geworden sind, lag nur daran, dass ich mehr drauf hatte“, analysiert der Sieger seine Vorstellung, die endlich zum ersehnten ersten nationalen Titel führte. Im vergangenen Sommer in Braunschweig hatte ihm Dennis Lukas (LG Idar-Oberstein) im sechsten Durchgang noch den DM-Titel weggeschnappt. Ein Jahr davor hatte der Student an gleicher Stelle drei ungültige Versuche fabriziert und der angeschlagene David Storl (SC DHfK Leipzig; 20,17 m) triumphiert.

Nervosität endlich besiegt?

Was das wohl Wertvollste sein könnte, dass die vergangenen Wochen dem Kugelstoßer gebracht haben, zeigte sich erst in den Tagen nach dem ersten DM-Gold. „Es hat sich eine Zufriedenheit und Gelassenheit eingestellt, die ich so noch gar nicht kannte“, erzählt er.

Unter anderem um seine Nervosität bei nationalen Titelkämpfen in den Griff zu bekommen, arbeitet der Siebte der Universiade mit einem Sportpsychologen zusammen. „Das bringt mir auch was, aber bisher ist die Nervosität übermächtig gewesen. Dieses Phänomen ist auch auf Deutsche Meisterschaften beschränkt, von meinen internationalen Einsätzen kenne ich das in der Form nicht.“

Gut möglich, dass der vor allem erkämpfte Sieg in Leipzig den Bann gebrochen hat. „Ich habe das Gefühl, an die nächsten Deutschen endlich mit Spaß rangehen zu können.“ Seine Ziele gehen darüber hinaus: Einsätze bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Dass er den Weg in diese Richtung einschlagen kann, hat erst die Umstellung auf die Drehstoß-Technik im Jahr 2019 ermöglicht. Aber bis dahin war eine Menge Geduld gefragt.

Heimatverein immer treu geblieben

In seiner Heimat nordöstlich von München begann Christian Zimmermann um die Zeit seiner Einschulung zuerst mit Skigymnastik. Weiter ging es mit dem Mehrkampf in der Leichtathletik, alles von Anfang an beim Kirchheimer SC, dem er bis heute treu geblieben ist. „Werfen konnte ich schon immer gut. So wurde ich von meinem ersten Trainer Andreas Streng in Richtung Diskus und Kugel geführt.“ Das Kugelstoßen wurde dabei in der Angleittechnik betrieben.

In seiner Altersklasse zählte der junge Werfer in den folgenden Jahren zur erweiterten deutschen Spitze. Der bayrische Landestrainer Joachim Lipske wurde auf den damals 14-Jährigen aufmerksam und übernahm nach und nach die Betreuung, nach dem Schulabschluss 2012 komplett. In den Altersklassen U18 und U20 waren Endkampfplatzierungen bei Deutschen Jugendmeisterschaften erste Erfolge. Dass es einmal in Richtung Leistungssport gehen könnte, war in den Ergebnislisten aber noch nicht erkennbar.

„Ich habe den Sport einfach geliebt und immer weiter gemacht. Das war vor allem auch dank meiner Familie möglich. Ich konnte immer das machen, was ich will. Ob ich damit Geld verdiene oder nicht, hat keine Rolle gespielt“, erzählt das Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr.

Dabei geblieben, auch ohne großen Durchbruch

Nach seinem Schulabschluss nahm der heutige Deutsche Hallenmeister neben dem Sport ein Studium an der TU München auf. Der Bachelor im Fach Technologie- und Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre war nach Regelstudienzeit in der Tasche. Zum Master fehlt mittlerweile nur noch die Abschlussarbeit, das Studium liegt zurzeit allerdings eher brach.

Sportlich folgten weitere Top-Ten-Platzierungen bei Deutschen U23-Meisterschaften mit Kugel und Diskus, darunter mit Bronze 2016 mit der Kugel (18,56 m) auch eine Medaille, erreicht weiterhin mit der Angleittechnik. Der Durchbruch in die nationale Spitze blieb aber aus. Die Bestleistungen standen zu diesem Zeitpunkt mit der Kugel bei 18,88 Metern und mit dem Diskus bei 58,37 Metern.

Umstellung auf Drehstoßtechnik

In all den Jahren der Zusammenarbeit hatte Joachim Lipske immer daran geglaubt, dass in seinem Schützling noch mehr steckt, und dass sich ein behutsamer Aufbau eines Tages auszahlen würde. Und er war es auch, der die entscheidende Wende in diese Richtung einleitete. Immer wieder mal ließ der erfahrene Trainer Christian Zimmermann mit der Kugel die Drehstoß-Technik ausprobieren. „Ich hatte kein gutes Gefühl und war überzeugt, dass die Kugel nicht richtig fliegt“, erinnert sich der Athlet. „Das hat sich erst 2018 geändert, als ich endlich mal einen Versuch einigermaßen getroffen habe. Da hat Joachim gesagt, dass wir es jetzt mit dieser Technik versuchen.“ Mit der Drehbewegung im Diskuswerfen war eine Grundlage vorhanden.

Letzte Zweifel an der Umstellung räumte 2019 die erste Hallensaison mit der Drehstoßtechnik im Wettkampf aus. Prompt gelang eine Steigerung der Bestleistung um knapp einen Meter bis auf 19,75 Meter und mit Bronze die erste Medaille bei Deutschen Meisterschaften der Männerklasse, übrigens auch in Leipzig. Und das alles mit nicht einmal einem Jahr Training der neuen Technik.

Seitdem ging es kontinuierlich bergauf. Im Freien kratzte die Kugel 2019 schon an der 20-Meter-Marke, die trotz aller Umstände durch die Corona-Pandemie 2020 erstmals fiel. Im vergangenen Jahr gelang die Steigerung bis auf 20,45 Meter, obwohl die Technik im Wettkampf unter der letzten Endes nicht erfüllten Hoffnung auf Olympia in Tokio (Japan) gelitten hat. Nebenbei fliegt auch der Diskus mittlerweile über die 60-Meter-Marke (Bestleistung; 61,16 m). Dieses neue Level machte 2020 auch die Aufnahme in die Sportfördergruppe der Bundeswehr möglich.

Heim-EM im Visier

Auch wenn die Hallensaison 2022 in Sachen Bestleistung keine weitere Steigerung brachte, ist die Zuversicht mit Blick auf den anstehenden Sommer groß. Neben dem endlich errungenen ersten deutschen Meistertitel liegt das auch an den noch nie dagewesenen Weiten im Training. 

„Normalerweise stoße ich im Wettkampf noch weiter, da wird zusätzliche Power frei. Es kommt darauf an, so cool zu sein, die Technik zu bewahren“, erklärt Christian Zimmermann, dessen Blick sich auf die Norm (20,85 m) für die EM vor seiner Haustür in München (15. bis 21. August) richtet. „Diese Weite müsste entspannt funktionieren.“ Nach dem Werfer-Europacup am kommenden Wochenende in Leiria (Portugal; 12./13. März) rückt wieder das Training in den Mittelpunkt.

Großes Potenzial liegt dabei noch im Ausbau der Kraftwerte. „Ich habe auch die körperlichen Voraussetzungen für 21 Meter. Ob es auch einmal über 21,50 Meter geht, hängt davon ab, ob alles zusammenläuft und es klick macht im Kopf“, schaut der 27-Jährige voraus. Weitere Befreiungsschläge nach dem von Leipzig sind möglich.

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Video-Interview: Christian Zimmermann: "Ich war unglaublich nervös"

Das sagt Bundestrainer Wilko Schaa:

Christian war bereits in der Jugend und der U23 sowohl mit dem Diskus als auch mit der Kugel auf nationaler Ebene erfolgreich und Mitglied verschiedener Kaderkreise. Somit ist er schon immer ein Teil der „Werferfamilie" gewesen. Seit der Umstellung auf die Drehstoßtechnik 2019 und der damit verbundenen Konzentration auf das Kugelstoßen konnte er sich deutlich entwickeln. So übertraf er im Jahr 2020 trotz pandemiebedingter schwieriger Trainingsbedingungen mit 20,09 Metern erstmalig die 20-Meter-Marke. Im vergangenen Jahr steigerte er seine Bestleistung bis auf 20,45 Meter und stabilisierte sich im Weitenbereich von über 20 Metern (5er-Schnitt: 20,20 m). Auch bei Deutschen Meisterschaften in der Halle und im Freien zählt er seit 2019 regelmäßig zu den Medaillengewinnern. Es freut mich für ihn deshalb besonders, dass seine Kontinuität belohnt wurde und er in Leipzig den Titel gewinnen konnte.

Christian verfügt mit einer Körpergröße von 2,11 Metern über besondere Hebelverhältnisse, welche ihm im Vergleich zu seinen Konkurrenten den biomechanischen Vorteil eines längeren finalen Beschleunigungsweges sowie das direkt leistungswirksame Erreichen einer größeren Abflughöhe und Überreichweite während des Ausstoßes ermöglichen. Andererseits ist für ihn der Ring relativ gesehen kleiner, was bestimmte Modifizierungen seiner Technik, wie zum Beispiel einen verkürzten Umsprung nach dem Andrehen in die Ringmitte („step down“), erforderlich macht. Diese nicht einfache Aufgabe haben er und sein Trainer Joachim Lipske bisher gut gelöst.

Aufgrund der späten Umstellung auf die Drehstoßtechnik ist Christian jedoch immer noch ein relativ trainingsjunger Athlet im Kugelstoßen, der sowohl von einer weiteren Optimierung seiner Technik als auch der Weiterentwicklung der physischen Voraussetzungen profitieren kann. Reserven im technischen Bereich liegen aus meiner Sicht vorwiegend in der Gestaltung des Andrehens und der daraus resultierenden Einnahme günstigerer Positionen im weiteren Verlauf der Bewegung sowie der Erhöhung der Drehgeschwindigkeit. Im physischen Bereich können neben der kontinuierlichen Erhöhung des Grundkraftniveaus vor allem durch die Entwicklung der disziplinspezifischen Schnellkraftvoraussetzungen der unteren Extremitäten sowie den Rumpfrotatoren als wesentliche Hauptantriebe im Drehstoß weitere Potenziale erschlossen werden.

Im kommenden Sommer wird es für Christian darum gehen, seine Bestleistung weiter zu steigern und sich für internationale Hauptwettkämpfe zu empfehlen. Die EM in seiner Heimatstadt München ist für ihn ein realistisches Ziel. Die zur Teilnahme erforderliche Norm von 20,85 Metern traue ich ihm im Optimalfall zu. Daneben besitzt er mit stabilen Leistungen im Bereich von 20,50 Metern gute Chancen, sich über das World Ranking zu qualifizieren. Langfristig gesehen hat Christian das Potential, sich in den Bereich der WM/OS-Norm von 21,10 Metern zu entwickeln. Bei systematischer Erschließung seiner Reserven und dem Erhalt der Gesundheit ist er Kandidat für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris.

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