Niko Kappel hatte eine schwierige WM-Vorbereitung. Dennoch war der Athlet vom VfB Stuttgart am Dienstag auf den Punkt da und holte das erste Gold für die deutschen Para-Leichtathleten bei der WM. Für einen Doppelsieg sorgten am Abend Felix Streng und Johannes Floors, Weitspringer Andreas Walser gewann Bronze.
Kugelstoß-Weltrekordhalter Niko Kappel hat seinen WM-Titel in Neu-Delhi (Indien) trotz schmerzhafter Verletzung am Ellenbogen verteidigt und mit 13,34 Metern Gold gewonnen. Paralympics-Sieger Bobirjon Omonov konnte den Athleten des VfB Stuttgart am Dienstag nicht bezwingen und landete mit nur 12,36 Metern auf dem Silberrang. Für Kappel war es nach Paralympics-Gold 2016 sowie zweimal WM-Gold 2017 und 2024 der vierte Titelgewinn seiner Karriere – und ein besonders schmerzhafter.
Zwei freie Gelenkkörper sorgen für Schmerzen im Ellenbogen und beeinträchtigten die WM-Vorbereitung stark: „Die letzten Wochen waren unglaublich hart, mir haben über 1000 Stöße gefehlt. Bevor wir angereist sind, ging im Training gar nichts mehr und wir haben angefangen zu zweifeln. Mit der Unterstützung von unserem Physio Oliver Abt und Teamarzt Rolf Kaiser haben wir uns Stück für Stück wieder zurückgearbeitet, so dass ich vier, fünf Stöße einigermaßen ins Ziel bringen konnte“, sagte der 30-Jährige.
„Mir tut alles weh und ich bin unserer medizinischen Abteilung so dankbar, was sie hier geleistet haben. Es hat gereicht heute, daher ist die Weite ganz egal. 2023 bei der WM in Paris haben wir mit einer Top-Leistung Silber gewonnen, heute mit einer schwächeren Leistung Gold – das ist Sport. Jetzt bin ich zum dritten Mal Weltmeister."
Von Beginn an in Führung
Schon mit dem ersten Stoß war Kappel mit 12,55 Metern in Führung gegangen, der Usbeke hatte nur 12,36 Meter vorgelegt, weil auch er am Ellenbogen verletzt war im Vorfeld. Als Kappel dann 13,34 Meter im zweiten Versuch stieß und die Faust ballte, konnte Omonov auch nicht mehr kontern, während Kappel noch zwei Mal über die 13-Meter-Marke stieß.
„Ich bin über den Schmerz hinweggegangen“, sagte Weltmeister Kappel, der dann aber auf seine Medaille warten musste. Weil es kurz nach seinem Wettkampf anfing zu gewittern, konnte die Siegerehrung nicht wie geplant stattfinden – und Kappel musste seinen Heimflug am Abend umbuchen, weil er die Goldmedaille frühestens am Mittwoch in Empfang nehmen kann. Das einzig Positive daran? Er war mit dieser medaillenbedingten Umbuchung nicht alleine.
Andreas Walser jubelt über Bronze
Denn parallel zu Kappels Goldcoup bahnte sich eine Überraschung an: Im Weitsprung der sehbehinderten Männer führte Andreas Walser nach dem zweiten Versuch. Der Athlet der LG Augsburg hatte sich unter Rückenschmerzen in den Wettbewerb begeben, schon beim ersten Versuch konnte er vor Schmerz nur durchlaufen und nicht abspringen – doch im zweiten gelang ihm das. 6,81 Meter bedeuteten Saisonbestleistung, die nur der Argentinier Fernando Vasquez mit 7,01 Meter und der neutrale Athlet Ihar Sauchuk mit 6,89 Meter im letzten Versuch übertreffen konnten.
„Das ist einfach geil, ich bin mega happy. Darauf arbeitet man als Sportler sein ganzes Leben hin“, sagte der 29-Jährige, der früher Footballspieler war und erst seit zweieinhalb Jahren Para Leichtathletik macht: „Dass ich das jetzt geschafft habe und von einer WM mit einer Medaille nach Hause fahre, ist einfach ein geiles Gefühl." Schlimmer als die verspätete Siegerehrung und die Zusatznacht in Neu-Delhi wiegen bei Walser trotz aller Freude die Gewissheit, dass sein Weitsprung-Wettbewerb 2028 in Los Angeles nicht mehr bei den Paralympics ausgetragen werden soll.
„Es sind ja mehrere Wettkämpfe rausgeflogen und jeder, den das erwischt hat, ist einfach komplett enttäuscht. Im Endeffekt wird da mit den Karrieren der Sportler gespielt – extrem kurzfristig, die Entscheidung kam im Mai raus, das sind drei Jahre bis LA – es ist katastrophal. Wir waren heute acht Leute am Start, da gibt es Wettkämpfe mit weniger Startern“, ärgerte sich Walser, der nun sein Glück im Sprint versuchen möchte: „Ich weiß aber noch nicht, wie es für mich weitergeht. Wenn ich nicht mehr springen kann, werde ich auf jeden Fall die 100 Meter laufen oder vielleicht sogar die 400 ausprobieren.“
Doppelsieg für Felix Streng und Johannes Floors
Den krönenden Abschluss des vierten Wettkampftages bildete aus deutscher Sicht das 100-Meter-Finale der Klassen T62 und T64. In diesem Rennen setzte sich Felix Streng (Sprintteam Wetzlar) in 10,73 Sekunden durch, als Zweiter war Johannes Floors (TSV Bayer 04 Leverkusen) nur zwei Hundertstel langsamer. Nach einem Fehlstart von Ex-Weltmeister Maxcel Amo Manu aus Italien – Paralympics-Zweiter in Paris – machte das deutsche Duo mit Paris-Paralympicssieger Sherman Guity Guity die Medaillen unter sich aus.
„Unglaublich, das war ein richtig cooles Rennen“, sagte Felix Streng und Johannes Floors meinte: „Es war super knapp und es zeigt, dass dieses Starterfeld über 100 Meter sehr umkämpft ist.“ – „Es war gestern schon klar, dass es heute ein Kampf wird und jeder sein Bestes zeigen muss. Mir war bewusst, dass die beidseitig Amputierten am Ende heranfliegen, dass ich von der Startphase bis 40 Meter einfach draufbleiben und mich Schritt für Schritt nach vorne arbeiten muss. Ich bin froh, dass ich es über die Linie gebracht habe“, sagte Streng mit Blick auf Floors: „Es ist mein erster Weltmeistertitel über 100 Meter – Wahnsinn. Das macht mich unglaublich stolz.“
„Das war wirklich ein gutes Rennen“, freute sich der 30-jährige Leverkusener, der von Erik Schneider trainiert wird: „Das war genau das, was die Saison gezeigt hat. Es war ein anstrengendes Finale mit dem Fehlstart und der Verzögerung am Start. Das hat man in den Test-Wettkämpfen nicht so und das ist in einem Final-Wettkampf noch mal ein bisschen anders. Aber ich finde, ich habe hier gut die Nerven behalten und das Ding gut über die Ziellinie gebracht.“ Die beiden Deutschen haben über 200 (Streng) und 400 Meter (Floors) noch die Chance, eine weitere Medaille zu gewinnen.
Zwei weitere Finalplatzierungen
Platz vier belegte mit neuer Bestleistung Charleen Kosche (BPRSV). Sie stieß die Kugel im Finale der Klasse F34 auf 7,83 Meter. Erst im vorletzten Durchgang zog die neutrale Athletin Galina Lipatnikova vorbei. „Es sind gemischte Gefühle, weil ich lange dachte, ich wäre auf Bronzekurs. Dennoch bin ich sehr zufrieden mit meiner Leistung heute und der Saison dieses Jahr“, sagte Kosche.
Vierter deutscher Finalteilnehmer der Abendsession war Max Marzillier (BPRSV). Der 24-Jährige sprintete mit Saisonbestzeit von 11,19 Sekunden auf Platz sechs im 100-Meter-Finale der T13. Das Rennen hatte kurios begonnen – gleich zwei Mal wurden die Athleten nach dem Start wieder gestoppt. „Es war eine besondere Situation mit den zwei Neustarts, für den ersten bin ich vermutlich auch verantwortlich“, sagte der 24-Jährige. „Man muss dann fokussiert bleiben und darf sich davon nicht runterziehen lassen. Das hat für die Umstände ganz gut funktioniert. Jetzt kann ich für die 400 Meter alles auf der Bahn lassen.“
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