Bei den Deutschen Meisterschaften in Dresden haben elf Athletinnen und Athleten erstmals einen nationalen Einzeltitel in der Aktivenklasse gewonnen. Einige gehören schon länger zur nationalen Spitze, andere feierten in diesem Sommer ihren Durchbruch. Wir stellen die neuen Deutschen Meisterinnen und Meister vor, heute Hammerwerferin Aileen Kuhn.
Aileen Kuhn
Eintracht Frankfurt
Bestleistung:
Hammerwurf: 72,53 m (2025)
Erfolge:
U23-Europameisterin 2025
Bronze U23-EM 2023
Fünfte World University Games 2025
Deutsche Meisterin 2025
Es gibt sie doch noch, die Geschichten, in denen alles funktioniert wie erhofft oder sogar noch besser. Die Saison von Hammerwerferin Aileen Kuhn ist so eine Geschichte. Schon vor einem Jahr zählte die 21-Jährige zu den Hoffnungsträgerinnen im DLV-Nachwuchs und stand mit einer Bestleistung von 68,92 Metern an der Schwelle zur internationalen Spitze. Durchschritten hat sie diese konsequent und mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit. Die Erfolgsliste 2025 spricht für sich: Erster Wurf über 70 Meter und zehn Wettkämpfe über dieser Marke, U23-Europameisterin mit Bestleistung (72,53 m), erster DM-Titel in der Frauenklasse, Finaleinzug bei der WM-Premiere.
Hinter dem gesteigerten Niveau steckt eine auf den ersten Blick simple Erklärung: Die Athletin von Eintracht Frankfurt hat von drei auf vier Drehungen im Ring umgestellt, also eine Drehung mehr Zeit, um den Hammer zu beschleunigen. Warum erst jetzt diese vierte Drehung? Und wie konnte die Umstellung auf Anhieb so gut und konstant gelingen? Aileen Kuhn hat Geduld bewiesen und sich mit ihrer langjährigen Trainerin Carolin Streipart die nötige Basis erarbeitet, Nachfolgerin Kathrin Klaas kennt die nötigen Feinheiten für den Schritt in die Weltspitze aus eigener Erfahrung.
Das Jahr soll nur der Anfang der internationalen Karriere gewesen sein. Das Training für die kommende Saison ist schon wieder angelaufen. Nächstes großes Ziel ist die EM in Birmingham (Großbritannien). Im Visier sind auch die Top acht auf Weltniveau bei den Weltmeisterschaften 2027 in Peking (China) und den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles (USA).
Schnelligkeit als Grundlage für den Hammerwurf
Aileen Kuhn wuchs in Wendlingen südlich von Stuttgart auf. Dort beim VfB Stuttgart begann sie im Grundschulalter gemeinsam mit einer Freundin mit der Leichtathletik. Zuerst gehörten alle Mehrkampf-Disziplinen zum Trainingsprogramm. Als mit Carolin Streipart eine neue Landestrainerin für den Wurfbereich an den Standort kam, probierte Aileen Kuhn diese Disziplinen gezielter aus. „Es stellte sich raus, dass ich das ganz gut konnte. Damals habe ich auch meine ersten Einheiten im Hammerwurf gemacht.“ In ihrem Jahrgang war die damalige U16-Athletin im DLV auf Anhieb ganz vorne mit dabei. Bei ihrer ersten Einzel-DM holte die Schülerin im Trikot des LAZ Ludwigsburg 2018 mit dem Drei-Kilo-Hammer (53,88 m) gleich ihren ersten Titel, belegte aber auch Rang acht im Weitsprung (5,52 m). Die Begeisterung für den Sport war groß, die damalige Neuntklässlerin wechselte zuerst ans Wirtemberg Gymnasium in Stuttgart und ab der elften Klasse an die Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule, eine Eliteschule des Sports.
Als U18-Athletin erfolgte noch keine komplette Spezialisierung. Die Sportschülerin kratzte im Weitsprung an der Sechs-Meter-Marke (5,93 m) und stellte ihre Schnelligkeit unter Beweis, die auch für den Hammerwurf eine wichtige Zubringerleistung ist. Im Kugelstoßen und Diskuswerfen ging die Nachwuchsathletin zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch regelmäßig an den Start. Bronze bei der Jugend-DM 2019 im Kugelstoßen mit dem Drei-Kilo-Gerät (15,72 m) unterstrichen ihre vielseitigen Fähigkeiten erneut.
Hammerwurf war mit zwei weiteren Titeln bei der Jugend-DM in der U18 aber schon die beste Disziplin. Es eröffnete sich immer mehr die Perspektive in Richtung Leistungssport, auch wenn die Corona-Pandemie mit der Absage der U18-EM 2020 den erhofften ersten Start bei einer internationalen Nachwuchsmeisterschaft verzögerte.
Stabile Grundlage und knapp 69 Meter aus drei Drehungen
Als U20-Athletin schleuderte Aileen Kuhn den Vier-Kilo-Hammer auf 64,06 Meter und gehörte damit nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit zu den besten Nachwuchswerferinnen. Bei internationalen Meisterschaften konnte sie dies aber noch nicht voll unter Beweis stellen. Im Finale der U20-EM 2021 reichte es nur zu Platz zwölf (57,04 m), nachdem die Qualifikation mit zwei ungültigen Versuchen zum Auftakt schon eine Zitterpartie gewesen war, bis dann doch noch 61,20 Meter und der Finaleinzug gelangen.
2022 verpasste die Hammerwerferin knapp die U20-WM in Cali (Kolumbien), obwohl sie mit ihrer Saisonbestmarke an der fünften Stelle in der Welt lag. Denn im Vorfeld bei der Jugend-DM bedeuteten 60,77 Meter nur Rang drei und die beiden Erstplatzierten sicherten sich die beiden Tickets zur U20-WM. „Das war hart für mich, aber auch eine Motivation im darauffolgenden Winter noch konsequenter an mir zu arbeiten.“
Das brachte den nächsten Schub. 2023 flog der Hammer in allen Wettkämpfen des Sommers über die Bestmarke aus der U20-Zeit. Die Steigerung bis auf 68,71 Meter war auch der Vorstoß in die nationale Spitze in der Frauenklasse und die Saison brachte einen kompletten Medaillensatz: Gold bei der U23-DM, Silber bei der DM in der Frauenklasse und Bronze bei der U23-EM. 2024 verlief auf einem ähnlichen Niveau mit einer leichten Steigerung der Bestleistung auf 68,92 Meter, Medaillen gab es DM-Gold in der U23 und DM-Bronze in der Frauenklasse.
Wohlgemerkt alles aus drei Drehungen, obwohl ihre Konkurrenz quasi durchgehend vor dem Abwurf schon viermal durch den Ring wirbelte, wie es im Hammerwurf auch eher üblich ist. „Ich bin da eher spät dran gewesen. Aber ich bin schnell und konnte schon aus drei Drehungen an die 69 Meter werfen. Im Training habe ich schon früher vier Drehungen probiert, mich aber nicht richtig getraut und war unsicher“, erzählt Aileen Kuhn, die nach ihrem Abitur im Jahr 2023 ein Fernstudium in Wirtschaftsrecht aufgenommen hat. „Wir haben uns überlegt, die Umstellung aufzusparen, sollte die Leistung mal stagnieren.“
Wechsel nach Frankfurt zu Kathrin Klaas
Dieser Punkt war mit dem vergangenen Jahr erreicht. Allerdings musste noch eine schwierige Entscheidung getroffen werden. Denn Carolin Streipart wechselte in den Thüringer Landesverband nach Erfurt und nach reiflicher Überlegung beschloss Aileen Kuhn ihrer langjährigen Erfolgstrainerin nicht zu folgen, sondern ihr Elternhaus in Richtung Frankfurt zu verlassen, um unter der Anleitung von Kathrin Klaas weiter an ihren sportlichen Zielen zu arbeiten. Neben der Nähe zu ihrer Heimat überzeugten weitere Aspekte. „In Frankfurt hat Hammerwurf einen hohen Stellenwert, ich fühle mich sehr gut aufgehoben und Kathrin als Trainerin ist selbst eine Hammerwerferin von einem ähnlichen Wurftyp wie ich gewesen.“ Auch das Trikot wechselte zu Eintracht Frankfurt.
Dass die Zusammenarbeit gleich so gut funktioniert, hätte aber auch das neue Duo nicht erwartet. Die Arbeit an den vier Drehungen stand in der ersten gemeinsamen Vorbereitung im Mittelpunkt. Aileen Kuhn brachte drei schnelle und sichere Drehungen mit und bis zum Start der Sommersaison wurde diese Technik um eine weitere erweitert. „In den ersten Wettkämpfen waren noch mehr Ungültige dabei, dann bin ich immer sicherer geworden.“ Ein großer Vorteil ist, dass Kathrin Klaas auch auf dem erreichten Top-Niveau genau erklären kann, wie sich ein Bewegungsablauf anfühlen sollte. „Sie kann beschreiben, welche Muskulatur ich wie und wann ansteuern soll. Das hat mir extrem weitergeholfen.“ Noch mehr Übungen im Training sind außerdem speziell auf das Hammerwerfen ausgerichtet.
So startete der zurückliegende Sommer gleich mit einer satten Bestleistung von 71,56 Metern, neun weitere 70-Meter-Wettkämpfe bestätigten den Leistungssprung. Und auch bei großen Wettkämpfen wie dem selbst gesteckten Saisonhöhepunkt bei der U23-EM in Bergen (Norwegen; Gold; 72,53 m), dem ersten DM-Titel in der Frauenklasse in Dresden (70,92 m) oder der eher als Bonus erreichten ersten WM-Teilnahme als Neunte (71,57 m) in Tokio (Japan) lief es. „Ich habe Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten gehabt“, erzählt die neue Deutsche Meisterin. „Grundsätzlich macht es mir eher noch mehr Spaß, wenn ich vor großer Kulisse zeigen kann, was ich drauf habe. Den größten Druck habe ich bei der U23-EM empfunden, aber auch eher in den Tagen der Anreise. Als ich im Ring stand, habe ich keinen Druck empfunden, sondern mir gesagt: Wenn es klappt, dann klappt es. Wenn nicht, dann sollte es nicht so sein.“
Rückblickend fühlt sich ihr Aufstiegssommer auch für Aileen Kuhn in Teilen an wie ein Traum. Die Motivation ist groß, in der wieder angelaufenen Vorbereitung daran anzuknüpfen und sich noch weiter zu verbessern. Besonderes Augenmerkt soll unter anderem auf dem Eingang liegen, also dem Beginn der vier Drehungen. Mit der erfüllten Norm (71,50 m) sind die Weichen in Richtung EM in Birmingham (10. bis 16. August) schon gestellt.
Video: Aileen Kuhn packt im letzten Versuch den "70er" aus
Video-Interview: Aileen Kuhn: "Ich wollte die 70 Meter unbedingt bestätigen"
| Das sagt Bundestrainer Helge Zöllkau: |
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Aileen hat ein super Jahr hingelegt. Sie ist von Carolin Streipart hervorragend auf diesen Schritt vorbereitet worden und ist ihn jetzt mit Kathrin Klaas an ihrer Seite gegangen. Möglich wurde der Leistungssprung durch die Umstellung von drei auf vier Drehungen. Dass Aileen diese sofort so gut umsetzen und auch ein konstant hohes Niveau im Wettkampf zeigen konnte, ist alles andere als selbstverständlich. Sie musste einige technische Veränderungen vornehmen, die sie gleich festigen konnte. Aileen weiß, was sie will und setzt sich hundertprozentig dafür ein. Als Nächstes geht es unter anderem darum, die Technik der vier Drehungen weiter zu stabilisieren und noch etwas tiefer aus den Beinen zu arbeiten. Da sind noch Reserven, um im nächsten Jahr möglicherweise noch einmal zwei Meter draufzulegen.