Sie ist Weltmeisterin, Deutschlands Sportlerin des Jahres, Leichtathletin des Jahres und seit Juni auch Mutter. Seit einer Woche ist Christina Obergföll (LG Offenburg) nach ihrer Babypause wieder zurück im Training. Im Interview erzählt die 33-Jährige, warum die Pause genau zum richtigen Moment kam, welches große Ziel sie antreibt und warum sie den Trainingsschweiß gerade besonders genießt.
Christina Obergföll, es ist jetzt 9:30 Uhr. Geweckt habe ich Sie aber sicher nicht, oder?
Christina Obergföll:
Oh nein, ich bin zwar tatsächlich etwas müde, aber das Wecken hat mein Sohn Marlon übernommen. Pünktlich um sieben Uhr will er immer schon Action.
Sieben Uhr – das klingt ja erstmal nach einer noch recht humanen Zeit.
Christina Obergföll:
Das stimmt, aber auch nur wenn er die Nacht durchschlafen würde. Daran ist aber noch nicht zu denken.
Trotz des Schlafmangels, Sie hören sich glücklich an. Wie ist Ihr neues Leben als Mutter?
Christina Obergföll:
Es ist klasse. Wirklich. Klar, der Schlafentzug tut auf Dauer manchmal schon echt weh und manchmal bin ich mit meiner Energie auch am Ende, denn wo ich mich früher mittags nochmal eine Stunde hinlegen konnte, ist jetzt den ganzen Tag Action angesagt. Marlon hat noch keinen Rhythmus und da mein Mann Boris (Bundestrainer Speerwurf, Anm. d. Red.) viel unterwegs ist, bin ich auf häufig mit Marlon alleine. Aber wir sind beide ganz stolz, Marlons Eltern zu sein. Ich genieße die ganze Umstellung, die ein Kind mit sich bringt. Die Sichtweise verschiebt sich komplett. Marlon ist jetzt der Mittelpunkt. Wenn etwas mit ihm ist, würde ich immer sofort alles andere stehen und liegen lassen.
Neben Ihrer neuen Rolle als Mutter sind Sie aber aktuell auch Deutschlands Sportlerin des Jahres, Leichtathletin des Jahres, Speerwurf-Weltmeisterin. Ende des vergangenen Jahres sah man Sie auf jede Menge Roten Teppichen. Danach wurde es ruhiger. Eine bewusste Entscheidung?
Christina Obergföll:
Absolut. In der Schwangerschaft habe ich mich sehr rausgenommen. Und ich hatte auch das Gefühl, dass die Medien die Zeit der Schwangerschaft mir auch als Erholungs- und Vorbereitungsphase auf einen neuen Lebensabschnitt zugestanden haben. Ich habe die Phase auch für mich gebraucht. Mir tat das sehr gut.
Titel und Medienanfragen sind das eine. Das andere ist die ungewohnte Rolle als Zuschauerin, sei es im Stadion, oder Zuhause vor dem Fernseher. Wie weh tat das?
Christina Obergföll:
Überhaupt nicht weh. Im Gegenteil. Es war der perfekte Zeitpunkt und ich bin unglaublich dankbar, dass das alles so geklappt hat. Nach der WM habe ich gemerkt, ich bin satt und platt. Ich hatte alles erreicht, was ich mir zuvor erträumt hatte. Ich bin danach nicht in ein Loch gefallen, aber ich war zufrieden. Und das ist kein gutes Bauchgefühl für eine Leistungssportlerin. Aber wahrscheinlich war das nur menschlich. Ich war seit 2004 bei jedem Höhepunkt dabei, sei 2005 habe ich immer den Druck der Medaillenkandidatin gespürt. Daher war es für mich auch entspannt, bei der DM und bei der EM als Zuschauerin auf der Tribüne zu sitzen und die Mädels werfen zu sehen. Das Wichtigste in dem Moment war für mich, dass mein Kind gesund ist. Klar, es hat gekribbelt, aber ich war doch ziemlich weit weg vom Speerwerfen mit meinem Kopf. Aber so nach und nach habe ich dann doch recht bald gemerkt, das war’s noch nicht mit dem Leistungssport und mir.
Und deshalb sind Sie auch seit einer Woche wieder im Training. Wie funktioniert das Projekt „Speerwurf Mama“?
Christina Obergföll:
Das habe ich mir ehrlich gesagt vorher einfacher vorgestellt. In der Schwangerschaft habe ich immer gedacht, dass ich den Kleinen dann einfach mit zum Training nehmen kann und gut. Aber das funktioniert nicht. Dafür schläft er tagsüber einfach zu wenig und will dann nach maximal 30 Minuten bespaßt werden. Da ist an Training natürlich nicht zu denken. Daher geht er in der Zeit, in der ich trainiere, nun zu einer Tagesmutter, wo er gut versorgt ist. Und damit klappt es wirklich gut.
Ihr Sohn ist nun knapp vier Monate alt und war mit Ihnen und Ihrem Mann auch schon mit im „Club der Besten“, wo sie als „Champion“ ohnehin jedes Jahr dabei sein dürfen. Die Bilder, die Sie aus diesem ersten Familienurlaub auf Ihrer Facebook-Seite gepostet haben, zeigen aber, dass Sie auch kurz nach der Geburt schon schnell wieder in Form waren.
Christina Obergföll:
Ich habe bereits sechs Wochen nach der Geburt wieder angefangen mit Walking, habe Stabilisationsübungen gemacht und seit zwei Wochen laufe ich auch wieder zwei Mal in der Woche. Aber das ist kein Vergleich mit dem Trainingsplan, den ich nun täglich abarbeite.
Sie haben gesagt, nach der EM waren Sie satt. Wie groß ist Ihr Hunger heute?
Christina Obergföll:
Der ist wieder so groß wie vor der WM 2013. Es ist so cool, wieder verschwitzt und glücklich vom Training zu kommen. Ich genieße selbst schon die Fahrt im Auto zum Training. Ich weiß, es wartet ein hartes Stück Arbeit auf mich, aber ich weiß, was auf mich zu kommt und wofür ich mich quäle. Im kommenden Jahr habe ich einen Titel zu verteidigen. Vielleicht muss ich dieses Jahr länger Athletik trainieren, aber durch meine Goldmedaille müsste ich mich theoretisch gar nicht für die WM in Peking qualifizieren, sondern habe ja eine Wild-Card. Ich habe also alle Zeit der Welt, um wieder richtig in Form zu kommen. Und ich freue mich schon jetzt auf die Saison 2015.