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Olympic Moments 2021: Uganda auf dem Weg in die Riege der großen Laufnationen

Zahlreiche internationale Leichtathletik-Asse haben bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) für Gänsehautmomente gesorgt. Wir blicken zurück auf herausragende Leistungen, erzählen außergewöhnliche Geschichten und stellen beeindruckende Persönlichkeiten vor. Diesmal geht es um die Läuferinnen und Läufer aus Uganda. Denn noch nie waren die Leichtathleten Ugandas so erfolgreich bei Olympischen Spielen wie in Tokio. Es scheint so, als sei das ostafrikanische Land in die Riege der Top-Laufnationen aufgestiegen. Ein Annäherungsversuch für mögliche Gründe.
Nicolas Walter

Mit großen Schritten eilte er dem Ziel entgegen, mit ausgestreckter Zunge – man mag es als Zeichen seiner Erleichterung deuten – lief er schließlich über die Linie. Joshua Cheptegei (Uganda) erfüllte sich am Abend des 6. August im Nationalstadion von Tokio (Japan) den größten Traum seiner Karriere: Er wurde Olympiasieger über 5.000 Meter. Eine Woche zuvor hatte sich der 25-Jährige über 10.000 Meter noch denkbar knapp mit dem zweiten Platz zufriedengeben müssen, über die halbe Distanz sollte es nun für den Sprung nach ganz oben reichen.

Für die ugandische Leichtathletik-Nationalmannschaft war es die insgesamt vierte Medaille der diesjährigen Spiele. So erfolgreich war das ostafrikanische Land, das an den Kongo, Ruanda, Tansania und den Südsudan sowie das seit Jahren als Laufnation bekannte Kenia grenzt, noch nie bei Olympischen Spielen gewesen. Insgesamt konnte das Nationale Olympische Komitee Ugandas in seiner Geschichte bis dato sieben Medaillen gewinnen, drei davon in der Leichtathletik. Nun kam auf einen Schlag gleich viermal Edelmetall hinzu.

Neben Joshua Cheptegei trugen sich auch Peruth Chemutai, Olympiasiegerin über 3.000 Meter Hindernis, und Jacob Kiplimo, Bronzemedaillen-Gewinner über 10.000 Meter, in diesem Jahr in die olympischen Geschichtsbücher ihres Landes ein. Damit gewann Uganda erstmals genauso viele Olympia-Medaillen in der Leichtathletik wie das für seine Langstrecken-Asse bekannte Äthiopien. Das sich zudem mit nur einer Goldmedaille – das 10.000-Meter-Gold von Selemon Barega am ersten Tag der Spiele sollte das einzige bleiben – im Medaillenspiegel hinter Uganda einreihte.

Vereinzelt bereits große Athleten in der Vergangenheit

Außer Läufer-Hochburg Kenia konnte Uganda in Tokio alle Nationen in den Laufdisziplinen hinter sich lassen – und scheint damit endgültig in die Riege der Top-Nationen im Laufbereich aufgestiegen zu sein. Eine Entwicklung, die 2019 begann: Bereits bei der WM in Doha (Katar) schnitt Uganda mit zwei Goldmedaillen über 800 Meter und 10.000 Meter so erfolgreich wie nie zuvor in der Geschichte von Weltmeisterschaften ab. Im selben Jahr bescherte Joshua Cheptegei seinem Land den ersten Titel bei einer Crosslauf-WM, ein Jahr später folgte der erste ugandische Sieg bei einer Halbmarathon-WM durch Jacob Kiplimo. Und auch Cheptegei sorgte 2020 für Furore: mit Weltrekorden im 5-Kilometer-Straßenlauf, über 5.000 Meter auf der Bahn und über 10.000 Meter.

Triumphe, die beweisen, wie stark die Läufer Ugandas in den vergangenen Jahren geworden sind. Die Gründe für die neue Stärke sind vielfältig und nicht vollumfänglich zu erschlüsseln. Doch zumindest gibt es einige erkennbare Faktoren, die für den Erfolg verantwortlich sein könnten.

Eine wichtige Rolle in der derzeitigen Erfolgsgeschichte der ugandischen Läufer spielen mit Sicherheit die Erfolge der Vergangenheit. Uganda hatte in seiner Geschichte vereinzelt immer wieder erfolgreiche Leichtathleten zu bieten, unter anderem John Akii-Bua, Olympiasieger 1972 über 400 Meter Hürden und zwischenzeitlicher Weltrekordhalter, oder Davis Kamoga, Dritter der Spiele 1996 über 400 Meter.

Stephen Kiprotich prägte die aktuelle Generation der ugandischen Top-Läufer

Doch durch den zunehmenden Internet-Zugang und die Verbreitung von Social Media war es vor allem Stephen Kiprotich, der in seinem Heimatland 2012 für Furore sorgte. Bei den Spielen in London (Großbritannien) gewann der Marathonläufer als erster ugandischer Athlet eine olympische Goldmedaille auf der Langstrecke. Ein Jahr später folgte der Marathon-Sieg bei der WM in Moskau (Russland).

Diese Triumphe prägten die nachfolgende Generation. Sowohl Stephen Kissa, Trainingspartner von Joshua Cheptegei, als auch Cheptegei selbst gaben dies in Interviews an. „Das hat sie dazu gebracht zum Training zu kommen“, sagte auch Victor Kiplangat, Berglauf-Weltmeister von 2017, über den seitdem einsetzenden Laufboom in Uganda. Auch ihn habe der Erfolg von Stephen Kiprotich inspiriert.

Kapchorwa als Lauf-Mekka

Eines hat der Wegbereiter des ugandischen Lauf-Erfolges mit den Stars von Tokio gemeinsam. Beim Blick auf die geographische Herkunft der diesjährigen Olympia-Medaillengewinner Ugandas sowie von Stephen Kiprotich fällt nämlich eine große Gemeinsamkeit auf: Alle vier Athleten stammen aus dem Osten des Landes. Peruth Chemutai und Jacob Kiplimo sind im Distrikt Bukwo, Cheptegei im Distrikt Kapchorwa aufgewachsen.

Die Hauptstädte beider Bezirke liegen lediglich knapp 80 Kilometer voneinander entfernt, befinden sich auf etwa 1.500 bis 2.600 Höhenmetern und liefern somit optimale Trainingsbedingungen für Ausdauersportler. Auch Stephen Kiprotich stammt aus Kapchorwa. Mittlerweile hat sich die Region zu einem kleinen Lauf-Mekka, auch für internationale Athleten, etabliert.

In der Region leben vor allem Menschen der ethnischen Gruppe der Sebei, auch Chemutai, Kiplimo und Cheptegei gehören dazu. Addy Ruiter, Trainer von Joshua Cheptegei, sagte einst in einem Interview: „Ein Grund für die hohe Motivation der Athleten ist möglicherweise, dass der Lebensstandard der Sebei für ugandische Verhältnisse sehr niedrig ist. Athleten wie Joshua sind motiviert, um ihrem Stamm mit ihren Leistungen zu einem höheren Ansehen zu verhelfen.“

Professionalisierte Trainingssteuerung

Mittlerweile unterhält auch das bekannte internationale Laufteam “NN Running“, zu dem auch Joshua Cheptegei und Stephen Kiprotich gehören und welches 2017 gegründet wurde, ein Trainingscamp in Kapchorwa. Auf der Webseite des Teams spricht der niederländische Athletenmanager Jurrie van der Velden über die Zeit bevor „NN Running“ in Uganda aktiv war.

„Ich will nicht sagen, dass die Trainingsmethoden schlecht waren, sie waren nur ziemlich altmodisch. Viele Jahre lang hat Uganda sehr wenige Läufer hervorgebracht, die zu einer schnellen letzten Runde fähig waren. Um das zu ändern, mussten wir das Trainingssystem anpassen. Die Athleten haben von klein auf 1-Kilometer- oder 2-Kilometer-Intervalle absolviert, aber warum nicht auch mal 400-Meter- oder sogar 200-Meter-Wiederholungen einführen und mit den verschiedenen Trainingsarten spielen?“, sagte er über die zunehmende Professionalisierung der Trainingssteuerung ugandischer Athleten.

Sozioökonomische Faktoren mit Einfluss?

Auch einige sozioökonomische Faktoren könnten beim Aufstieg Ugandas in die Top-Riege der Laufnationen eine Rolle gespielt haben. So ist die Einwohnerzahl des Landes in den vergangenen Jahren immens gewachsen. Der Weltbank zufolge lebten im Jahr 2000 etwa 24 Millionen Menschen in Uganda, 2010 waren es bereits knapp 32 Millionen. Für das vergangene Jahr wird die Einwohnerzahl mit mehr als 45 Millionen Menschen angegeben. Aus einer größeren Bevölkerung heraus können in der Regel auch mehr sportliche Talente gewonnen werden.

Auch dem Bildungs- und Sportministerium Ugandas stehen mittlerweile mehr Mittel als früher zur Verfügung. Zwar hat sich der prozentuale Anteil gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) kaum verändert, dafür ist das BIP in den vergangenen zehn Jahren aber um rund zehn Milliarden Euro angewachsen. Doch noch versandet das Geld oftmals im Dunkeln.

So existiert beispielsweise keine Leichtathletik-Bahn aus Tartan in der Region rund um Kapchorwa. Um die nächste zu erreichen, müssen die Athleten in die Hauptstadt Kampala fahren – die rund 280 Kilometer entfernt liegt und mit dem Auto in etwa sechs Stunden erreicht werden kann.

Langsam verbesserte Infrastruktur

„Ich war zwischendurch demoralisiert. Aber meine Trainingspartner und Trainer haben mir immer gesagt: 'Joshua, wenn du durch einen Sturm gehst, wird danach etwas Gutes passieren'“, sagte Joshua Cheptegei im vergangenen Jahr gegenüber der offiziellen Webseite der Olympischen Spiele zu den Trainingsbedingungen in seiner Heimat. Um diese zu verbessern, ließ er Anfang 2021 zusammen mit seiner Landsfrau Halimah Nakaayi, Weltmeisterin über 800 Meter, eine Aschelaufbahn bauen.

Doch auch durch die Regierung wächst mittlerweile die sportliche Infrastruktur in Uganda. Seit diesem Jahr wird beispielsweise eine Straße zum Höhentrainingscenter in Kapchorwa gebaut und auch eine Tartanbahn befindet sich in Planung. Es bewegt sich etwas in Uganda. Für die Athleten und Talente von morgen ist das eine gute Nachricht: Die Grundbausteine für den langfristigen Erfolg Ugandas im Laufbereich sind gelegt.

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