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Anna Rüh und Co. – Olympiareif aber nicht in Rio

Einige DLV-Athleten haben ihr großes Ziel Olympia in diesem Sommer verpasst, obwohl sie die formellen Voraussetzungen dafür erfüllt hatten. Vor allem im Wurfbereich mussten Athleten zu Hause bleiben, die vorher Chancen auf eine Endkampf-Teilnahme in Rio bewiesen hatten. Trotz aller Enttäuschung darüber wird starke nationale Konkurrenz in so manchen Disziplinen von Athleten wie Trainern als Gewinn bewertet.
Jan-Henner Reitze

Im Olympia-Jahr 2012 tat sich etwas im DLV-Lager der Diskuswerferinnen. Mit Julia Harting (SCC Berlin), Anna Rüh (SC Magdeburg) und Shanice Craft (MTG Mannheim) schlossen drei Athletinnen zu Nadine Müller (SV Halle) auf. Seitdem sind die internationalen Startplätze umkämpft. Als damals 19-Jährige erreichte Anna Rüh in London (Großbritannien) als Neunte das olympische Finale, vorher hatte sie schon den vierten Rang bei der EM belegt und sich zur U20-Weltmeisterin gekrönt. Alles sah nach einem nahtlosen Übergang ins Geschäft der ganz Großen aus.

So reibungslos ging es allerdings nicht weiter. 2013 gewann die Magdeburgerin noch den Titel bei der U23-EM, musste dann aber verletzungsbedingt auf die WM-Premiere in der Frauenklasse in Moskau (Russland) verzichten. Seitdem hängt Anna Rüh ein wenig in der "Warteschleife" fest. In den Jahren 2014, 2015 und 2016 war sie national jeweils die Vierte im Bunde. Was diese Position international bedeutet, zeigte der EM-Einsatz in Zürich (Schweiz) 2014, bei dem die 23-Jährige als Nachrückerin für die kurzfristig verletzt ausgefallene Nadine Müller wieder Vierte wurde.

Die Chance auf einen Start bei Olympia in Rio de Janeiro (Brasilien) im zurückliegenden Sommer durchkreuzte eine Magenschleimhautentzündung zu Beginn der Saison. Bei den Deutschen Meisterschaften blieb wieder nur Rang vier. Eine Platzierung, die Anna Rüh anscheinend abonniert hat.

Nationale Konkurrenz spornt an

Wie geht die Athletin damit um, dass sie trotz ihrer Weltklasse noch keine WM erlebt und nicht in Rio dabei war? Hadert sie mit ihrer starken nationalen Konkurrenz, die in anderen Jahren schon einmal schwächer aufgestellt war? Ganz im Gegenteil. "Ich bin noch jung und gebe nicht auf", erklärt Anna Rüh trotz aller Enttäuschung über die verpassten Großereignisse. "Nationale Konkurrenz ist immer gut. Es motiviert. Man möchte besser und stärker werden." Eine Sichtweise, die auch andere Athleten in national stark besetzten Disziplinen teilen.

Besonders in den Wurfdisziplinen hatte der DLV bei der Nominierung des Olympia-Teams ein viel zitiertes "Luxusproblem". Im Speer- und Diskuswerfen der Männer erfüllten jeweils fünf Athleten die Norm. Bei den Frauen im Diskuswerfen waren es sogar sechs, im Speerwurf musste mit Katharina Molitor (TSV Bayer 04 Leverkusen) die Weltmeisterin zu Hause bleiben. Mit Claudine Vita (SC Neubrandenburg) erfüllte eine aufstrebende Nachwuchsathletin sogar mit Diskus und Kugel die Vorgaben für Rio und ergatterte dennoch keinen Startplatz.

Damit der motivierende Effekt des hohen nationalen Niveaus nicht durch Frust gefährdet wird, spricht sich Anna Rüh für klare Nominierungsrichtlinien mit möglichst wenig Spielraum für Interpretation aus. "Das funktioniert in meinen Augen nicht", sagt die Diskuswerferin und schlägt "etwa drei bis vier Nominierungswettkämpfe" vor, "wo nach Möglichkeit alle Werferinnen unter gleichen Bedingungen an den Start gehen."

Jürgen Schult: Auch wer nicht zur WM fährt, ist Teil der „Werferfamilie“

Die große Anzahl von Athleten auf Topniveau zu erhalten, sieht der Leitende DLV-Bundestrainer Wurf und Diskus-Weltrekordler Jürgen Schult als eine seiner Aufgaben. "Diese Situation wirkt stimulierend auf das Wintertraining und die langfristige Motivlage." Dass ein Kampf um die internationalen Startplätze beim Großereignis ansteht, ist meist längerfristig absehbar. Trainer und Athleten können sich darauf einstellen. Als nächstes gilt das für die Weltmeisterschaften in London (Großbritannien), wo im Diskuswurf bei Frauen und Männern sowie im Speerwurf der Männer wieder eine größere Zahl an Normerfüllern zu erwarten ist, als es Startplätze gibt.

Für den Wettstreit um die Tickets sollen möglichst optimale Rahmenbedingungen für alle Kandidaten geschaffen werden. Dazu gehört auch die Unterstützung von Verbandsseite. "Wir lassen keinen Athleten wegen einer verpassten Teilnahme an einem Saisonhöhepunkt fallen. Unseren Respekt und unsere Anerkennung verdienen sowohl diejenigen, die in London dabei sind, als auch diejenigen, die letztendlich zu Hause bleiben müssen. Alle bleiben auch in Zukunft Teil der Werferfamilie", so Jürgen Schult, der gerade mit Blick auf die jüngeren Athleten darauf verweist, dass ein Sportlerleben auch mehrere Chancen auf Olympia bietet.

Nationaler Konkurrenzkampf im Ausland teilweise noch deutlich härter

Auch in Disziplinen neben dem Wurfbereich haben DLV-Athleten in diesem Jahr eine oder mehrere olympische Normen erfüllt, waren in Rio de Janeiro aber dennoch nicht im Einzel dabei. Zählt man auch Leistungen mit, die nach dem Nominierungszeitraum erbracht wurden, waren 17 Athleten betroffen. Jeder von ihnen hat eine ganz eigene Geschichte. Manche wollen ihre Enttäuschung möglichst hinter sich lassen und blicken nach vorn, andere sehen ihre Entwicklung trotz verpasster Olympischer Spiele positiv und verbuchen die Saison als Erfolg, wie Sie in unseren Stimmen zum Thema nachlesen können.

Der Blick in andere Länder lässt die Zahl der im DLV betroffenen Athleten in einem anderen Licht erscheinen. In den USA haben in diesem Jahr allein 35 Sprinter die Rio-Norm über 100 Meter der Männer (10,16 sec) erfüllt. 44 Äthiopierinnen sind im Jahr 2016 unter der in Deutschland für Olympia vorgegebenen Marke von 2:30:30 Stunden im Marathon geblieben, bei den Männern gelang das 159 Kenianern, die allesamt Zeiten unter 2:14 Stunden erreichten.

STIMMEN ZUM THEMA:

Andreas Hofmann (MTG Mannheim) schleuderte den Speer in diesem Sommer auf 85,42 Meter, war dennoch nur die Nummer fünf in Deutschland und bei EM und Olympia nicht dabei:

„Natürlich war ich traurig, dass es mit Olympia nicht geklappt hat. Allerdings hatte ich im März und April einen Muskelfaserriss und Probleme mit dem Meniskus. Diesen Trainingsausfall konnte ich nicht mehr schnell genug aufholen. Wenn die Konkurrenz so stark ist, reicht es nicht, wenn man nicht hundertprozentig fit ist. Als der Quali-Zeitraum beendet war, habe ich zwei Wochen Pause gemacht und Abstand gesucht. Danach lief es wieder und in Berlin konnte ich noch einmal zeigen, was in mir steckt.

Im Hinterkopf hat man natürlich immer die starke nationale Konkurrenz. Mit diesem Druck muss man umgehen. Ich empfinde diese Situation positiv. Im nächsten Jahr kommen mindestens fünf Athleten für Weiten von 85 Metern und mehr in Frage. Ich will bei der WM dabei sein und gehe topmotiviert ins Wintertraining. Ich denke, die anderen Jungs sehen das ähnlich. Außerhalb des Wettkampfes sind wir Freunde, innerhalb Konkurrenten.“

Kristin Pudenz (SC Potsdam) ist in der DLV-Bestenliste im Diskuswerfen trotz erfüllter Olympianorm mit 61,01 Metern nur auf Position sechs:

"Mir war von Anfang an klar, dass es sehr schwer wird, sich für Rio zu qualifizieren. Allerdings ist immer alles möglich und man weiß nie, was passiert. Olympia war damit für mich nicht abgeschrieben, ein kleiner Funke Hoffnung war da. Ich habe aber auch versucht, mich auf andere Ziele zu konzentrieren, meine Leistung für mich zu steigern und stabil zu werfen. So war die Enttäuschung über die verpasste Olympia-Chance nicht zu groß. Ich setze eher auf die nächsten Spiele in vier Jahren.

Mit der nationalen Konkurrenz ist es natürlich schwierig, sich durchzusetzen. Aber ich sehe das definitiv als Motivation. So habe ich immer einen Grund, noch härter zu trainieren und mehr an mir zu arbeiten. Genau so weiß ich, wenn ich mich in Deutschland durchsetze, habe ich es in die Weltspitze geschafft. Ich finde, das ist eine super Motivation für das tägliche Training."

Florian Gaul (VfL Sindelfingen) erfüllte jeweils kurz nach dem Ende des Qualifikationszeitraumes zuerst die EM-Norm (5,65 m) und dann die Olympia-Norm (5,70 m) im Stabhochsprung. Die DLV-Bestenliste führt er an (5,77 m):

"Für mich war die Saison definitiv ein Erfolg. Natürlich ist es schade, zweimal so knapp an einer Nominierung vorbeigeschrammt zu sein, vor allem im Olympiajahr. Allerdings hat mir meine Leistungsentwicklung gezeigt, dass ich bei den Nominierungen für die kommenden internationalen Meisterschaften ein Wörtchen mitreden kann. Außerdem bin ich hoch motiviert, im Training alles zu geben und freue mich auf die kommende Saison."

Laura Müller (LC Rehlingen) wurde kurz nach dem Saisonstart durch eine Erkältung zurückgeworfen und erfüllte erst bei der Olympia-Verabschiedung in Mannheim die Einzelnormen über 200 und 400 Meter. Mehr als ein Trost wirkte sich für die 20-Jährige aus, dass in ihrer Disziplin auch die Staffel bei den Großereignissen ausgetragen wurde.

"Der gesundheitliche Infekt am Anfang der Saison hat mich körperlich aber auch mental belastet. Ich war in Rehlingen über 400 Meter so schnell wie noch nie in die Saison gestartet und alles hat gut ausgesehen. Dann kam die sehr langwierige Erkältung, die mich viele Trainingseinheiten kostete. Und auch die Deutschen Meisterschaften kamen dieses Jahr viel zu früh für mich, da ich erst die Woche vor den Meisterschaften wieder ganz langsam in das Training einsteigen konnte. Nach den Deutschen hatte sich der Einzelstart für Amsterdam erledigt, was sehr schade war, da ich mir das als großes Ziel zu Beginn der Saison gesteckt hatte.

Dennoch war ich sehr glücklich über die Staffelnominierung für die EM und mir war klar, dass sich mit den anderen Mädchen, trotz der nicht optimalen Saison, unser gemeinsamer olympischer Traum erfüllen kann. Das alles gab mir viel Motivation für die anstehenden harten Trainingseinheiten. Ich habe mich wieder von Woche zu Woche besser gefühlt und gemerkt, wie meine Power zurückkam. Die Einzelnormen in Mannheim haben gezeigt, dass ich mich trotz kleiner Rückschläge auf meinen Körper, aber auch auf meinen Trainer verlassen kann.

Insgesamt hat mir natürlich die mögliche Teilnahme mit der Staffel viel Motivation gegeben, aber auch meine Familie und Freunde haben viel mit mir über die Situation geredet, was mir extrem geholfen hat. Im Endeffekt war es ein tolles Gefühl, mit den Anderen gegen die Besten der Welt zu laufen. Dieses Bild hatte ich immer im Hinterkopf."

Jana Sussmann (LT Haspa Marathon Hamburg) schaffte die Qualifikation für die EM und hatte die Norm für Rio schon in der Tasche. In Amsterdam war im Vorlauf Schluss. Parallel unterbot Sanaa Koubaa (TSV Bayer 04 Leverkusen) bei einem Rennen in Belgien die Saisonbestzeit der Hamburgerin und schnappte ihr damit das Olympia-Ticket weg:

"Ich war in dieser Situation so enttäuscht, dass ich nicht schlafen konnte. Mein Traum von Rio zerplatzt, weil ich nicht schnell genug gelaufen war und dann keinen Einfluss mehr nehmen konnte. Mir gingen sehr viele Sachen durch den Kopf, ich dachte auch an meine Trainerin und meine Unterstützer wie Sponsoren, deren Hoffnungen ich ebenfalls nicht erfüllen konnte. Etwas später habe ich auch über die finanziellen Auswirkungen wie entgangene Förderung gegrübelt. Die sportliche Entscheidung konnte ich absolut nachvollziehen. Sanaa hatte sich den Olympia-Startplatz verdient. Mir blieb nichts anderes übrig als den nächsten Tag abzuwarten, an dem ich wieder von Herzen lachen kann."  

Anjuli Knäsche (SG TSV Kronshagen/Kieler TB) konnte mit 4,55 Metern im Stabhochsprung endlich eine deutlich Steigerung hinlegen, genauso wie Trainingspartnerin Annika Roloff (MTV 49 Holzminden), die aber noch einen Tick besser war und sich das Ticket für Rio sicherte:

"Die Saison war ein Erfolg für mich! Erstmals über 4,50 Meter und kein internationaler Startplatz bedeutet im Nachhinein einfach nur noch mehr Motivation für die kommende Saison. Ich hätte bei den Deutschen Meisterschaften einfach höher springen müssen, ich habe es ja selbst in der Hand gehabt. Annika und ich sind nicht nur Trainingspartner, sondern wir wohnen auch zusammen in einer WG. Eine Trainingspartnerin auf dem gleichen Niveau zu haben, ist super, denn man will nicht schlechter sein und arbeitet immer weiter an sich. Wir fahren zusammen zu Wettkämpfen und alles macht einfach mehr Spaß in einer guten Gruppe."

Melanie Bauschke (LAC Olympia 88 Berlin) verletzte sich, kurz nachdem sie die Olympia-Norm im Weitsprung erfüllt hatte, gab deshalb die Hoffnung auf Rio aber nicht auf:

"Ich bin bei der letzten harten Einheit vor den Deutschen Meisterschaften umgeknickt. Dass es ein Bänderriss ist, wurde erst etwas später bei einer MRT-Untersuchung klar. Das sind Tränen geflossen. Die Deutschen und die EM waren gelaufen. Aus dem emotionalen Tief herausgeholfen hat mir, dass ich alles getan habe, um gleich wieder fit zu werden. Auch Sosthene Moguenara war verletzt, deshalb waren die Olympiaplätze noch nicht vergeben und es blieb Hoffnung. Ich stand in dieser Zeit ständig in Kontakt mit Bundestrainer Uli Knapp. Es stellte sich heraus, dass ich als Ersatz für Olympia nominiert wurde. Durch die intensive Kommunikation konnte ich diese Entscheidung nachvollziehen und hatte am Ende das Gefühl, alles mir Mögliche für den Olympiastart getan zu haben. Körperlich war ich wieder so fit, dass ich in Rio hätte starten können.

Die starke nationale Konkurrenz bei uns hat sich über mehrere Jahre aufgebaut. Ich konnte mich mitentwickeln und der Herausforderung stellen. Ich sehe es als Ansporn, und ich konnte mich in diesem Jahr auch verbessern."

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