| Mein Moment 2014

Ein Applaus für alle Nie-den-Glauben-Verlierer

Zugegeben, auch ich hätte im Sommer bei der EM in Zürich (Schweiz) gerne die eine oder andere Medaille mehr bejubelt. Aber so banal es klingt und so gerne wir es hin und wieder anders hätten: Sport ist nicht planbar. Am besten weiß das nach diesem Jahr Weitspringerin Melanie Bauschke. Eben eine Athletin, die in Zürich ohne Edelmetall nach Hause fuhr. Die Berlinerin bescherte mir, ohne es zu ahnen, meinen denkwürdigsten Moment im Leichtathletik-Jahr 2014. Ein Applaus für all die Stehaufmännchen, Durchhalter und Nie-den-Glauben-Verlierer. Ein Plädoyer für den steten positiven Blick nach vorn.
Alexandra Neuhaus

Es war der Morgen nach Tag X. Der Morgen nach dem Tag, als Melanie Bauschke vor dem letzten Sprung im Weitsprung-Finale der EM von den Kampfrichtern informiert wurde, dass ihr erster Versuch nachträglich auf 6,55 Meter korrigiert worden war. Eine Weite, die im kontinentalen Vergleich Platz sechs bedeutete. Zuerst waren 6,79 Meter gemessen worden, gleichbedeutend mit Bronze.

Es war nicht die Weite, die Melanie Bauschke an diesem Morgen in aller Herrgottsfrühe so tiefe Schatten unter die Augen warf. Es war das Drama drum herum, die zwischenzeitliche Freude über eine Weite, die sie nicht gesprungen war und die Enttäuschung über eine gefühlt verlorene, da schon sicher geglaubte Medaille, die sie unter den Voraussetzungen eines Messfehlers aber unterm Strich aber auch nicht hätte haben wollen. Kurz zusammengefasst: So etwas nennt man wohl ein Gefühlschaos.

Lange hatte Melanie Bauschke am Abend von Tag X noch mit anderen deutschen Athleten im DLV-Club und später an der Hotelbar gesessen, war immer und immer wieder diesen einen Wettkampf durchgegangen, mit dem sie die Öffentlichkeit nun wohl auf alle Ewigkeit verbinden wird und hatte immer mal wieder eine Träne vergossen.

Verbale und greifbare Taschentücher

Eine kleine Träne weinte sie auch noch an diesem Morgen, als der Shuttle von ARD und ZDF sie und Hürdensprinterin Cindy Roleder (LAZ Leipzig) zum Interview im Morgenprogramm ins Stadion chauffierte. Ein ungleiches Paar. Denn während Bronzemedaillen-Gewinnerin Cindy Roleder trotz eines ähnlichen Schlafdefizits morgens um kurz vor acht Uhr ausgeschlafen und strahlend aussah, war Melanie Bauschke ein Schatten ihrer selbst, kauerte mit leerem Blick auf der Rückbank des Kleinbusses und versuchte, sich in ihre Trainingsjacke zu kuscheln, als könne diese sie gegen die eigene Enttäuschung schützen. Positive Energie wärmt eben doch von innen, aber nach bitteren Erlebnissen braucht der Akku dieser Strahlkraft doch eine gewisse Ladezeit.

Die Strahlende, Cindy Roleder, machte in dem Moment das einzig Richtige. Die Hürdensprinterin nahm die Weitspringerin in den Arm und sagte: „Ach Mella, so bitter das war, aber auch das ist wohl Sport. Das wird schon wieder.“ Es war eine eigentlich so lapidare Aussage, aber was sie meinte, hatte Tiefgang. Sport macht nicht immer nur Spaß. Sport ist nicht immer Eitel-Sonnenschein. Sport ist nicht immer himmelhochjauchzend. Sondern mindestens genauso oft Zu-Tode-betrübt. Und Melanie Bauschke nickte und nahm das verbale Taschentuch dankend an. Sie hatte die Botschaft verstanden.

Den Dämonen gestellt

Wie sehr, zeigte sich 15 Tage später. Rund zwei Wochen nach ihrem wohl schwärzesten Wettkampf-Abend verließ eine lachende Melanie Bauschke den Züricher Letzigrund. Strahlend, aufrecht und mit vor Freude leicht roten Wangen. Beim Diamond League Meeting hatte sie mit 6,65 Metern den siebtbesten Weitsprung ihres Lebens abgeliefert.

Nur ein Zentimeter trennte sie an diesem Abend vom Podium. Dort standen Namen wie Dreifach-Olympiasiegerin Brittney Reese (USA), Vize-Europameisterin Ivana Španović (Serbien) und Sieben-Meter-Springerin Tianna Bartoletta (USA). Melanie Bauschke – mittendrin in der Weltspitze. „Ich bin einfach nur überglücklich“, sagte sie an diesem Abend, an dem sie weder greifbare noch verbale Taschentücher brauchte. Denn noch mehr als die starke Weite wog der innere Triumph, sich dem inneren Dämon gestellt, an den Ort der negativen Erinnerung zurückzukehrt zu sein und positive Energie aus der Niederlage geschöpft zu haben. Ihre Strahlkraft ist wieder zurück.

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