| London 2017

Eine WM wie keine andere

Es sollte eine riesige Party werden. In einem ausverkauften Stadion. Vor tobender Kulisse. Die Vorfreude auf die WM in London war bei allen Beteiligten groß. Am Ende fällt die Bilanz zumindest im DLV-Team gemischt aus. Ja, es wurde eine Party, mit tollen Fans und stimmungsvollen Wettbewerben. Aber es wurde auch eine Meisterschaft, in der das Krisenmanagement zeitweilig die sportliche Vorbereitung überlagerte. In der zugleich junge Athleten nach vorne preschten und Leistungsträger schmerzlich vermisst wurden.
Silke Bernhart

Eine WM-Woche kann so unendlich lang erscheinen. Der großartige Auftakt mit Silber von Siebenkämpferin Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt)? Zur Mitte der Titelkämpfe schon fast in den Hintergrund gerückt. Die Fans zuhause, die Medien, die Öffentlichkeit: Sie alle warteten sehnsüchtigst auf den nächsten DLV-Athleten auf dem Podium – aber er kam nicht, auch begründet durch den WM-Zeitplan. Sechs Tage ohne deutsche Medaille. Dafür mit einem Thema, das zeitweilig fast alle anderen überlagerte: In den Teamhotels der WM war der Norovirus ausgebrochen.

Der Norovirus ist hoch ansteckend. Einhergehend mit Erbrechen und/oder Durchfall. Im Normalfall schnell überstanden und wenig besorgniserregend. Im Rahmen von Weltmeisterschaften, in denen Athleten auf den Punkt Topleistungen abrufen sollen, ein Grund für höchsten Alarm. Das deutsche Team gab Isolation und Quarantäne aus, im Teamhotel waren an allen Ecken Desinfektionsmittel griffbereit, das Essen wurde serviert, die Athleten und Betreuer mit Verhaltensmaßnahmen ausgerüstet, neu ankommende Athleten in anderen Hotels untergebracht.

Vom Cheftrainer zum Krisenmanager

„So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte der Leitende Direktor Sport Idriss Gonschinska. Natürlich zähle er auch das Krisenmanagement zu seinen Aufgaben. Dass er und sein Team aber tagelang mit der Entwicklung immer neu anzupassender Verhaltensvorgaben beschäftigt sein würde, mit der Hotelsuche für die neu anreisenden Athleten und Trainer, der Koordination der zu verändernden Transfers zu den Trainings- und Wettkampfanlagen, dass seine Athleten bis zur Anreise eigentlich nicht geplanter neuer Therapeuten zwischenzeitlich auf physiotherapeutische Maßnahmen weitestgehend verzichten müssen – nein, das war dann doch ein Novum zumindest in der deutschen Leichtathletik.

Die Athleten waren schließlich in zahlreichen unterschiedlichen Hotels untergebracht, sie mieden die Team-Tribüne im Stadion, mussten von Handschlägen oder gar Umarmungen zur Begrüßung und zur Beglückwünschung absehen. Von einem „Wir-Gefühl“ (zuvor mit der Teamwoche in Kienbaum so ambitioniert eingeleitet) konnte da keine Rede mehr sein.

Fehlende Leistungsträger hinterlassen Lücke

Das Abschneiden des deutschen Teams muss auch vor diesem Hintergrund bewertet werden. Und zugleich vor dem Hintergrund, dass sich die Mannschaft in einem Übergangsjahr befindet. Auf dem Facebook-Auftritt des Deutschen Leichtathletik-Verbandes hatten sich am Ende des vergangenen Jahres bereits Nutzer über die inflationsartige Anzahl an Rücktrittsmeldungen beschwert. Aber jede einzelne von ihnen bedeutete eine Zäsur: Betty Heidler. Christina Obergföll. Linda Stahl. Björn Otto. Absolute Aushängeschilder und Erfolgsgaranten der deutschen Leichtathletik.

Und im WM-Jahr? Kugelstoß-Weltmeisterin Christina Schwanitz (VL 90 Erzgebirge) wird Mutter. Die Vize-Weltmeisterin über 100 Meter Hürden Cindy Roleder (SV Halle) fällt verletzt aus. Olympiasieger Christoph Harting (SCC Berlin) und der Olympia-Dritte im Diskuswurf Daniel Jasinski (TV Wattenscheid 01) suchen nach der Form des Vorjahres und verpassen die WM. Es sind keine leeren Worte, wenn Idriss Gonschinska sagt: „Das können wir nicht kompensieren.“

Fünf Medaillen, 78 Nationenpunkte

So wurden es in London schließlich fünf Medaillen. Dank Carolin Schäfer und eines „Super Saturday“ am vorletzten Wettkampf-Tag, mit Gold für Speerwerfer Johannes Vetter (LG Offenburg), Silber und Bronze für die Zehnkämpfer Rico Freimuth (SV Halle) und Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) sowie dem Überraschungs-Coup von Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz  (TV Wattenscheid 01), die nervenstark auf den Bronze-Rang sprintete.

Dass durchaus mehr drin gewesen wäre, zeigt wie immer ein Blick auf die Plätze knapp hinter dem Podium: Olympiasieger Thomas Röhler (LC Jena) fehlten sechs Zentimeterchen für eine Medaille – das ist fast gar nichts, bei Weiten von 88 Metern und mehr. Lisa Ryzih (ABC Ludwigshafen) und Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) wurden höhengleich mit den Drittplatzierten Fünfte im Stabhochsprung und Hochsprung. Die Sprinterinnen hätten mit einem perfekten ersten Wechsel vielleicht eine Medaille geholt. Und Gesa Krause? Wer weiß, was ohne den Sturz am Hindernis möglich gewesen wäre?

Hätte, wäre, wenn und aber – zählt nicht in der Leichtathletik, in der wie in kaum einer anderen Sportart Zahlen, Daten und Fakten regieren. In der Summe gab es bei der WM 2017 in London 78 Nationenpunkte für das DLV-Team. Deutlich weniger als bei den vergangenen Ausgaben der Titelkämpfe, mit dem Highlight 2015 in Peking, wo der DLV acht Medaillen, 113 Nationenpunkte und das beste Ergebnis seit 1999 feiern konnte.

Berlin bringt Schwung und Bühne für frische Gesichter

Es gibt trotzdem keinen Grund, für die Zukunft der deutschen Leichtathletik schwarz zu sehen. „Dass wir an den überdurchschnittlichen Resultaten von 2015 gemessen werden, im Jahr eins der Neuordnung, kann ich nicht verstehen“, sagt Idriss Gonschinska. Er nehme „gerade vor dem Hintergrund der gemeinsam gemanagten Probleme viel Freude und viel Motivation“ mit aus London auf dem Weg zu neuen Herausforderungen. Denn auf die deutschen Leichtathleten wartet im kommenden Jahr ein absoluter Höhepunkt: die Heim-Europameisterschaften in Berlin.

Dort werden <link news:59551>die jungen Athleten, die schon in London begeistert haben, einen weiteren Schritt nach vorne machen. Gina Lückenkemper (LG Olympia Dortmund), erste deutsche Sprinterin unter 11 Sekunden seit 26 Jahren. Hanna Klein (SG Schorndorf 1846), erste deutsche WM-Finalistin über 1.500 Meter ebenfalls seit 26 Jahren. Läuferin Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen), die in diesem Jahr gleich auf drei Strecken Schallmauern durchbrochen hat. Hochspringer Mateusz Przybylko, der schon einen Angriff auf die Medaillen angekündigt hat. Oder Dreisprung-Europameister Max Heß (LAC Erdgas Chemnitz), den in London eine Verletzung ereilte. Nicht zuletzt die internationalen Erfolge der deutschen Nachwuchsathleten in 2017 bieten darüber hinaus Grund, der Neuformierung der Nationalmannschaft optimistisch entgegen zu blicken.

Mit Heimvorteil zum Erfolg

Blicken wir doch einmal zurück auf die letzte WM, in der Deutschland weniger als 80 Nationenpunkte gesammelt hat: 2005 in Helsinki (Finnland), ein Jahr nach Olympia in Athen (Griechenland) – damals nach zwei Silbermedaillen noch mehr als „Debakel“ tituliert als Olympia 2016 in Rio. Bei den darauf folgenden Europameisterschaften 2006 in Göteborg (Schweden) sah das Bild dann schon wieder ganz anders aus. Mit vier deutschen Europameistern. Und Platz zwei im Medaillenspiegel und in der Nationenwertung, hinter Russland.

Die deutschen Athleten werden weiter hart trainieren, mit der Heim-EM am Horizont vielleicht noch motivierter und akribischer. Für den allerletzten Kick könnten die deutschen Fans sorgen. Idriss Gonschinska ist optimistisch. Jubelstürme und Stimmung wie in London? „Das können die deutschen Zuschauer auch! Ich denke immer wieder gerne an die besondere Atmosphäre bei der WM 2009 und an das fantastische Publikum im Berliner Olympiastadion zurück." <link http: www.berlin2018.info tickets _blank>Tickets für die Heim-EM 2018!

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