| Leichtathletin des Jahres 2018

Gina Lückenkemper: „Das war das Nonplusultra“

Erstmals seit Verena Sailer im Jahr 2010 ist mit Gina Lückenkemper wieder eine Sprinterin zu Deutschlands „Leichtathletin des Jahres“ gewählt worden. Im Gespräch lässt die Neu-Berlinerin ihr erfolgreiches Jahr 2018 noch einmal Revue passieren, hat aber auch längst neue Aufgaben und Ziele im Visier.
Daniel Becker

Gina Lückenkemper, Sie sind zum ersten Mal in Ihrer Karriere zur „Leichtathletin des Jahres“ gewählt worden. Wie ordnen Sie diese Wahl in das erfolgreiche Jahr 2018 ein?

Gina Lückenkemper:

Wir hatten in diesem Jahr in der deutschen Leichtathletik viele herausragende Leichtathletinnen – und natürlich auf der anderen Seite auch Leichtathleten. Von daher war es für mich schon eine Überraschung, dass ich mich bei der Wahl mit meiner EM-Silbermedaille über 100 Meter gegen diese starke Konkurrenz, zum Beispiel Gesa Krause, Malaika Mihambo und Christin Hussong, die alle Europameisterinnen geworden sind, durchsetzen konnte. Auf der anderen Seite bin ich aber die einzige deutsche Athletin, die mit zwei Medaillen nach Hause gefahren ist. Von daher denke ich, dass die Wahl nicht komplett unverdient ist.

Was bedeuten Ihnen Ehrungen generell?

Gina Lückenkemper:

Es ist eine schöne Sache. Ehrungen honorieren das Auftreten und die Leistungen über das komplette Jahr. Ich denke, dass sich der Großteil der Athleten mehr Aufmerksamkeit für unsere Sportart wünscht, von daher sind solche Ehrungen für uns eigentlich immer eine feine Sache. Ich glaube auch, dass die meisten Sportler das genießen.

Der Moment, in dem Sie nach dem Silber-Rennen über 100 Meter bei der EM in Tränen des Glücks ausbrachen, ist danach noch häufig gezeigt worden und hat sich ins Gedächtnis eingebrannt. Wie erinnern Sie sich heute daran?

Gina Lückenkemper:

Das ist ein Moment, an den ich mich mein Leben lang erinnern werde – eben auch, weil ich vom Rennen selber gar nichts mehr weiß. Ich hatte einfach keine Ahnung, wo im Feld ich gelegen hatte, ich wusste nicht mal, ob es für eine Medaille gereicht hatte. Von außen war das deutlich klarer erkennbar, aber ich hatte nach dem Zieleinlauf wirklich keine Ahnung. Wenn man das Ganze realistisch betrachtet, dann war Silber über 100 Meter im letzten Jahr das Größte, was ich erreichen konnte. Denn Dina Asher-Smith [Großbritannien; dreifache Europameisterin in Berlin, Anm. d. Red.] war in der Form ihres Lebens und einfach viel zu stark. So weit war ich noch nicht, von daher waren Silber und zwei Rennen unter elf Sekunden das Nonplusultra. Ich habe performt, als es drauf ankam. Darauf bin ich sehr stolz.

Neu war im vergangenen Jahr Ihre große Konstanz in den Rennen, der gewünschte Ausreißer nach oben erfolgte bei der EM dann zum perfekten Zeitpunkt – ein Zeichen für eine voll aufgegangene Saisonplanung. Die wird sich im kommenden Jahr ändern müssen, da die WM in Katar erst im Oktober stattfindet. Was wird anders laufen?

Gina Lückenkemper:

Bisher ist sage und schreibe ein einziger Wettkampf geplant, nämlich das ISTAF Indoor in Berlin am 1. Februar. Wir wollen erst mal vernünftig trainieren und zusehen, dass ich gesund bleibe. Dann schauen wir weiter. Eine Hallensaison ist beispielsweise nicht fix geplant. Das hängt auch damit zusammen, dass ich einfach keine große Hallenläuferin bin. Mir fehlt ehrlich gesagt auch manchmal die Motivation, weil die 60 Meter mir einfach ein Stück zu kurz sind. Es gibt aber ein paar Wettkämpfe, wie eben das ISTAF Indoor, die mir sehr viel Spaß machen. Ob das mein einziger Hallenstart bleiben wird, wird sich dann zeigen. Wir haben auch noch nicht mit den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig geplant. Ich will erst mal ein Rennen machen und dann sehen, ob ich noch Lust auf mehr habe. Weil das letzte Jahr sehr viel Substanz gekostet hat, wollte ich mich nicht auf eine fixe Planung festnageln. Die Freiheit, mir die nötige Ruhe zu gönnen, wenn ich sie brauche, nehme ich mir raus. Der Sommer wird für uns alle lang genug.

Also ist auch eine EM-Teilnahme in Glasgow (Großbritannien; 1. bis 3. März) nicht geplant, aber auch nicht komplett ausgeschlossen?

Gina Lückenkemper:

Genau.

Der Rummel um Ihre Person ist 2018 deutlich größer geworden, Ihren Leistungen hat das aber nicht geschadet. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus?

Gina Lückenkemper:

Ich bin mental deutlich stärker geworden, und es tut mir gut, öffentlich auch darüber zu sprechen, wenn die Dinge an meine Substanz gehen und ich ab und zu auch schon mal fertig bin wie ein Brötchen (lacht). Außerdem habe ich gesehen, wie gut es mir tut, viele internationale Meetings zu laufen. Die Starts in der Diamond League sind für mich einfach Gold wert. 2017 habe ich das noch nicht so gut wegstecken können, ich bin da in ein bedeutend größeres Loch gefallen und hatte extreme Schwankungen in meinen Leistungen. Das war dieses Jahr komplett anders. Ich konnte auch sehr gut mit dem Reisestress umgehen. Wenn ich mich an meine Reise nach Oslo erinnere – die hat neun Stunden länger gedauert als geplant, dennoch bin ich danach Saisonbestleistung gelaufen. Auch das funktioniert also mittlerweile. Ich denke, dass ich in diesem Jahr noch mal viel dazu gelernt habe und noch professioneller geworden bin.

Auch neben der Bahn waren Sie aktiv, unter anderem haben Sie das deutsche Team bei den Olympischen Jugendspielen begleitet – und waren dort in der Rolle des Vorbilds, das schon erreicht hat, was die Nachwuchsathleten erst noch erreichen wollen. Dabei liegt Ihre Zeit als Nachwuchsathletin noch gar nicht weit zurück. Was konnten Sie den jungen Athletinnen und Athleten mit auf den Weg geben?

Gina Lückenkemper:

Man hat mich auch gerade deswegen mitgenommen, weil der Altersunterschied noch nicht so groß ist. Es hat sich auch schnell bestätigt, dass es keine Berührungsängste von Seiten der jungen Athleten gab. Genau dafür war ich da – dass es einen Austausch zwischen jungen und erfahrenen Athleten gab, alle konnten mir Löcher in den Bauch fragen, wie sie wollten, und wir haben sehr viele interessante Gespräche geführt – auch mit vielen Athleten aus anderen Sportarten. Als ich gesehen habe, wie sich die Athleten verhalten, habe ich mich natürlich auch zurückerinnert, wie es bei mir in dem Alter war. Ich fand es einfach sehr spannend, das Ganze von außen zu beobachten.

Das klingt, als hätten Sie von dieser Reise auch für Sie selbst sehr viel mitgenommen.

Gina Lückenkemper:

Absolut, eine Menge sogar. Ich hatte die Möglichkeit, mir, sozusagen aus Betreuer- oder Funktionärssicht, anzuschauen, was ich sonst nur aus Athletensicht mitbekomme. Es ist etwas völlig anderes, wenn man einen Blick hinter die Kulissen eines Großereignisses werfen kann, ich habe dadurch ein besseres Verständnis für das große Ganze bekommen.

Zum Sportlichen: Fast alles hat bei Ihnen im Jahr 2018 ja geklappt, nur ein Start über die 200 Meter hat offenbar nicht sein sollen. Soll sich das nun 2019 wieder ändern?

Gina Lückenkemper:

Ich möchte in diesem Jahr auf jeden Fall wieder einen 200-Meter-Start hinlegen. Den hatten wir ja auch 2018 schon geplant, aus verschiedenen Gründen ist es aber nicht dazu gekommen. Aber ich will die Strecke auf jeden Fall wieder in Angriff nehmen und mich im Vorfeld auch wieder dafür quälen. Es ist dann doch noch was anderes, als wenn man nur die 100 Meter vorbereitet. Darauf freue ich mich aber schon.

Neu wird im kommenden Jahr Ihr Trikot sein, Sie starten nun für den SCC Berlin. Mit der Stadt verbinden Sie – nicht erst seit der EM in diesem Jahr – viele positive Dinge. Hat der Wechsel dennoch einen Knick in Ihre Planung gebracht?

Gina Lückenkemper:

Das nicht, aber der Wechsel und das ganze Drumherum hat noch einmal sehr viel von meiner Substanz verbraucht. Meine Offseason war nicht so entspannt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich konnte nicht wirklich abschalten, stand eigentlich die ganze Zeit über unter Strom, weil wir innerhalb kürzester Zeit eine Lösung finden mussten. Wir hatten uns erhofft, dass es noch zu einer Einigung mit Leverkusen kommt, dazu ist es aber leider nicht gekommen – was beide Seiten auch sehr bedauert haben. Die Zusammenarbeit war zwar kurz, aber doch eben sehr erfolgreich. Es hat aber nicht sein sollen, und ich denke, dass ich mit Berlin eine sehr gute Lösung gefunden habe, mit der ich auch sehr zufrieden bin. Ich hoffe jetzt auf eine erfolgreiche und auch sehr lange Zusammenarbeit. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr, wieder den Verein zu wechseln.

Das Trikot des SCC Berlin hat ja auch Robert Harting getragen. In der Diskussion darüber, wer ihn als Aushängeschild der deutschen Leichtathletik ablösen könnte, fiel gerade 2018 Ihr Name besonders häufig. Haben Sie daran auch gedacht, als Sie sich für den SCC entschieden haben?

Gina Lückenkemper:

(lacht) Wer weiß, wer weiß. Vielleicht war es Absicht, vielleicht aber auch nicht.

Mehr:

<link news:66975>Gina Lückenkemper und Arthur Abele sind Deutschlands "Leichtathleten des Jahres" 2018
<link news:66990>Eva Trost und Wolfgang Ritte sind Deutschlands "Senioren-Leichtathleten des Jahres" 2018
<link news:67017>Eva Trost: "Ein Endspurt ist dank meines Ehrgeizes immer drin

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024