| Interview der Woche

Idriss Gonschinska: „Olympiajahr als Herausforderung“

Das Olympiajahr ist für die deutschen Leichtathleten angebrochen. Nach der Hallensaison warten im Sommer mit der EM in Amsterdam (Niederlande) und den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) gleich zwei Großereignisse. Im Interview blickt DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska auf die Saison voraus.
Christian Fuchs

Idriss Gonschinska, das Jahr 2016 bietet mit einer Hallen-WM in den USA sowie im Sommer mit Europameisterschaften und Olympischen Spielen eine ganze Menge für Athleten und Fans. Mit welchen Wünschen starten Sie als DLV-Cheftrainer in die kommenden Monate?

Idriss Gonschinska:

Ein Olympiajahr stellt immer eine besondere Herausforderung dar. Dies trifft umso mehr zu, wenn es gilt drei internationale Meisterschaften in die Jahresperiodisierung zu integrieren. Ich wünsche mir, dass die Top-Team- und Staffel-Pool-Athleten verletzungsfrei die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele gestalten und in Rio de Janeiro ihr Leistungspotential abrufen können. Zudem wünsche ich mir, dass die Trainerteams und Kompetenzteammitarbeiter vergleichbar erfolgreich wie im Jahr 2015 zusammenarbeiten.

Mit einem Trainingslager in Südafrika wurde bereits ein Auftakt gemacht. Wie sieht der weitere Fahrplan der DLV-Nationalmannschaft 2016 mit wegweisenden Maßnahmen aus?

Idriss Gonschinska:

Wir bauen in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele auf den Entwicklungen der vergangenen Jahre auf. Diese wurden im Jahr 2013 eingeleitet. Vergleichbar dem Vorgehen in der erfolgreichen Saison 2015, mit acht gewonnenen Medaillen und 113 Nationenpunkten bei den Weltmeisterschaften in Peking, haben wir mit einem Großteil der Athleten der Nationalmannschaft, dem DLV-Trainerteam und den Spezialisten der Kompetenzteams die Olympiasaison mit dem Top-Team-Lehrgang in Stellenbosch eingeleitet. Im Anschluss an die Hallensaison werden erneut viele Spitzenathleten des Mehrkampf-, Sprung- und Wurfbereiches in Stellenbosch trainieren. Die Sprinter werden sich vergleichbar der letzten Jahre ab Mitte März in Clermont vorbereiten und Ende April in den USA einen Wettkampfblock realisieren. Ein Großteil der Läufer und die Geher werden die Höhenbedingungen in Iten und Flagstaff zur Vorbereitung nutzen. Unmittelbar vor dem Einstieg in die Freiluftsaison im Mai ist in Belek ein weiterer Top-Team-Lehrgang geplant.

Ist aufgrund des späten Termins der Hallen-WM in Portland mit einer eher kleinen DLV-Mannschaft zu rechnen?

Idriss Gonschinska:

Dies hängt von den individuellen Vorbereitungsmodellen der Spitzenathleten ab. Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich von einer kleinen DLV-Mannschaft aus.

Ganz anders sind die Vorzeichen für die EM in Amsterdam. Kurze Anreise, straffes Programm und eine internationale Wettkampfgelegenheit auch für Athleten der zweiten Reihe. Ist es eine Meisterschaft, die man auf dem Weg nach Rio mitnimmt und bei der man Selbstvertrauen tankt, oder liegt der Anspruch des DLV höher?

Idriss Gonschinska:

Die Olympischen Spiele stehen im Jahr 2016 natürlich im absoluten Fokus. Die individuellen Trainingsmodelle sind auf Rio de Janeiro ausgerichtet. Aufbauend auf den Erfahrungen des Jahres 2012 werden die Europameisterschaften in Amsterdam in den Vorbereitungsprozess eingeordnet. Die Anreise- und Abreisefenster werden individuell auf die Bedürfnisse der Spitzenathleten ausgerichtet. Zudem bietet eine Europameisterschaft für viele aufstrebende Athleten eine spannende Plattform und die Chance sich zu präsentieren. Athleten aus Disziplinen, in denen noch nicht ganz der Anschluss an die Weltspitze gefunden wurde, können sich im Wettbewerb mit der europäischen Konkurrenz weiterentwickeln.

Bei der EM dürfte auch Robert Harting nach seiner schweren Knieverletzung wieder mitmischen. Wie wichtig ist seine Rückkehr als Gallionsfigur der DLV-Nationalmannschaft?

Idriss Gonschinska:

Robert Harting ist ein absoluter Weltklasseathlet und hat in den letzten Jahren das Bild der deutschen Leichtathletik wesentlich geprägt. Er wird die erfolgreiche WM-Mannschaft natürlich noch verstärken. Gemeinsam mit seinem Trainer Torsten Schmidt bereitet sich Robert Harting akribisch auf sein Comeback vor. Ich freue mich auf seine Rückkehr und wünsche ihm sehr, dass seine persönlichen Träume im Jahr 2016 in Erfüllung gehen.

Die Olympischen Spiele in Rio sind der Saisonhöhepunkt, der zweifelsohne über allem steht. Auf welche Besonderheiten müssen sich die Athleten dort einstellen?

Idriss Gonschinska:

Gemeinsam mit Sportdirektor Thomas Kurschilgen und Teammanager Sigfried Schonert werden wir uns die nationalen Olympia-Testwettkämpfe im Mai in Rio de Janeiro und die Rahmenbedingungen nochmals intensiv ansehen. Im Gegensatz zum Jahr 2012 müssen sich die Athleten nach den Europameisterschaften in Amsterdam auf eine Zeit- und Klimaanpassung einstellen. Diese werden wir in einem Vorbereitungscamp in Brasilia gestalten.

2012 gab es in London mit acht Medaillen, davon eine in Gold, eine beachtliche Ausbeute für den DLV. Mit welchem Olympia-Ergebnis wären Sie 2016 zufrieden?

Idriss Gonschinska:

Bei den Weltmeisterschaften 2013 in Moskau und 2015 in Peking konnten die DLV-Leistungsträger überzeugen und ihre Leistungspotentiale abrufen. Zudem durften wir jeweils auch einige positive Überraschungen erleben. Dies wünsche ich mir natürlich auch für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Jedoch ist der Ausgang der Wettbewerbe bei einer internationalen Meisterschaft immer offen. Die Athleten mit den stärksten Persönlichkeiten, die am besten vorbereitet sind und die am entscheidenden Tag am willensstärksten sind, setzen sich durch. Ich halte daher wenig von Meisterschaftsprognosen. Der Fokus liegt vielmehr in der weiteren Optimierung der individuellen Vorbereitungsprozesse der Spitzenathleten. Wir versuchen mit unseren Teams die Bedingungen für die Athleten so zu gestalten, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie sich weiterentwickeln und dann letztlich auch erfolgreich sind.

In den letzten Wochen und Monaten gab es immer wieder Diskussionen um die Olympia-Normen, gerade im Marathon. Jetzt sind Gespräche mit dem DOSB angekündigt worden. Worum wird es dabei konkret gehen?

Idriss Gonschinska:

Natürlich analysieren wir gemeinsam mit den Partnern des Geschäftsbereichs Leistungssport des DOSB die internationalen Entwicklungen und die Anpassungen der IAAF-Normanforderungen. Diese unterliegen in einzelnen Disziplinen auch Marketingstrategien und Überlegungen der zuschauerorientierten Wettkampforganisation. Somit stellen IAAF-Normanforderungen nicht immer einen vergleichbaren Leistungsmaßstab in Bezug auf die einzelnen Disziplinen dar. Wir werden uns intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Für Athletinnen wie Christina Obergföll und Betty Heidler könnte Rio der letzte große internationale Einsatz sein. Wie groß wird der Umbruch in der Nationalmannschaft danach ausfallen - auch mit Blick auf die Heim-EM 2018 in Berlin?

Idriss Gonschinska:

Sollten Christina Obergföll und Betty Heidler ihre Karrieren nach Rio beenden, würden der deutschen Leichtathletik zwei absolute Weltklasseathletinnen fehlen, die keine Nation der Welt so einfach ersetzen könnte. Unabhängig ihrer Entscheidung steht in jedem nacholympischen Jahr die Einleitung des Neuformierungsprozesses der Nationalmannschaft an. Die Heim-EM in Berlin wird diesen Prozess zusätzlich positiv befördern. Eine internationale Meisterschaft zu Hause setzt unglaubliche Energien bei Athleten, Trainern und Fans frei. Diese werden wir nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro in der Vorbereitung der Nationalmannschaft nutzen. Bisher noch nicht im Fokus stehende Athleten können plötzlich in die Öffentlichkeit treten und für Überraschungen sorgen. Auf der anderen Seite könnten eine erfolgreiche Olympiasaison und eine Heim-EM 2018 definierte Entscheidungen nochmals verändern.

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