| Interview

Irina Mikitenko: "Der Schritt ist nicht einfach"

Deutschlands beste Langstrecklerin der vergangenen Jahre verlässt die Laufbahn. Irina Mikitenko hat in der vergangenen Woche ihren Rücktritt erklärt. Die deutsche Rekordhalterin über 3.000 und 5.000 Meter sowie im Marathon blickt im Interview auf ihre Karriere zurück und sagt, warum sie auf einen letzten Marathon verzichtet.
Martin Neumann

Irina Mikitenko, Sie haben am Rande des Berlin-Marathons mit 42 Jahren Ihr Karriereende bekannt gegeben. Dabei haben Sie mit den Tränen gekämpft. Ist die Entscheidung kurzfristig gefallen?

Irina Mikitenko:

Nein. Aber wenn man 25 Jahre lang Leistungssport betrieben hat, ist der Schritt nicht einfach. Ich brauche wohl noch ein bisschen Zeit, um das endgültig zu verarbeiten. Es ist eine schöne Geschichte, die zu Ende geht.

Wird es ein Abschiedsrennen geben?

Irina Mikitenko:

Nein, ich wollte das nicht. Mein Ziel war es, vergangenes Jahr auf demselben Niveau Marathon zu laufen wie zu meinen Anfängen. Das ist mir gelungen, was mich freut. Wäre ich in meinem ersten Marathon 2:30 Stunden gelaufen, wäre es auch mein letzter Marathon gewesen.

Welche konkreten Gründe gibt es für den Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt – abgesehen von Ihrem auch für Marathonläuferinnen schon fortgeschrittenen Sportleralter?

Irina Mikitenko:

Für mich gehören zum Leistungssport nicht nur Training und die Teilnahme am Wettkampf. Ich verstehe unter Leistungssport auch, die eigene Leistung zu steigern. Dazu – das muss ich offen sagen – bin ich nicht mehr in der Lage. Ich werde aber dem Sport erhalten bleiben und meine Erfahrung weitergeben.

Das hört sich an, als streben Sie eine Trainerkarriere an. Betreuen Sie selbst schon Läufer?

Irina Mikitenko:

Ja, aber keine aus dem Leistungssport. Ich bin im Breitensport tätig. Das macht mir viel Spaß, noch lieber möchte ich aber in Zukunft im Leistungssport tätig sein. Mein Herz schlägt für den Leistungssport. Dort warten tolle Aufgaben mit der EM 2018 in Berlin und vielleicht sogar den Olympischen Spielen 2024 in Deutschland.

Haben Sie schon einen Trainerschein?

Irina Mikitenko:

Ja, den habe ich gemacht, als ich mit meiner Tochter Vanessa schwanger war. Außerdem habe ich ein Studium in Kasachstan abgeschlossen.

Kasachstan ist ein gutes Thema: Bei Ihrer ersten große Meisterschaft, den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, sind Sie noch für Kasachstan gestartet …

Irina Mikitenko:

… ich möchte sogar noch weiter zurückgehen. 1989 – da war ich 17 – bin ich für die Sowjetunion bei der Cross-WM gestartet. Wie gesagt: Ich habe 25 Jahre Leistungssport hinter mir.

Nach den Trikots der Sowjetunion und von Kasachstan haben Sie ab 1998 das des DLV getragen. An welches Ihrer vielen erfolgreichen Rennen denken Sie am liebsten zurück?

Irina Mikitenko:

Da gibt es kein bestimmtes, jeder Wettkampf war wichtig. Selbst Olympia-Platz fünf 2000 in Sydney über 5.000 Meter war nicht das Optimum. Wenn ich ein wenig erfahrener gewesen wäre, hätte mehr drin sein können. Schließlich lief ich 300 Meter vor dem Ziel noch an der Spitze.

Und was ist mit dem Sieg beim Berlin-Marathon 2008 mit dem deutschen Rekord von 2:19:19 Stunden. War das nicht das perfekte Rennen?

Irina Mikitenko:

Über die sieben Sekunden ärgere ich mich heute noch. Um diese Winzigkeit habe ich den Streckenrekord von Mizuki Noguchi verpasst.

Vergangenes Jahr saßen wir nach Ihrem Masters-Weltrekord in Berlin ebenfalls zusammen. Damals haben Sie gesagt, dass Sie gern noch einen Marathon absolvieren würden. Warum ist es nicht dazu gekommen?

Irina Mikitenko:

Ich hatte es mir vorgenommen. Die EM in Zürich wäre eine Option gewesen. Aber nur, wenn ich eine Siegchance gehabt hätte. Doch die Strecke mit den heftigen Steigungen war nicht für mich geeignet. Das haben mein Mann und ich nach einer Besichtigung eingesehen. Meine Strecken waren die flachen in Berlin, London oder Chicago.

In Berlin haben Sie mit Anna Hahner eine neue Läufergeneration gesehen. Wie hat Ihnen der Auftritt der 24-Jährigen mit 2:26:44 Stunden gefallen?

Irina Mikitenko:

Ich mag ihre offene und fröhliche Art. Sie arbeitet engagiert und hart für den Erfolg. Auch ihre Steigerung um nun etwas mehr als eine Minute geht vollkommen in Ordnung. Man muss sich nicht gleich um fünf oder sechs Minuten verbessern. Außerdem schaut sie nach links und rechts, nimmt Ratschläge an. Das ist eine wichtige Fähigkeit, um sich weiterzuentwickeln.

Dabei ist sie für eine gute Marathonläuferin noch sehr jung …

Irina Mikitenko:

... das stimmt. Ich habe ihr gesagt, dass ein Marathonleben nicht sehr lange dauert. Wenn sie sich steigern möchte, soll sie es in diesen jungen Jahren nicht mit den Marathons übertreiben.

Also raten Sie ihr ab, zwei Marathons im Jahr zu laufen?

Irina Mikitenko:

Vielleicht ist es manchmal besser, im Frühjahr auf die kürzeren Distanzen zu gehen, um das Tempo zu entwickeln. Oft haben Läufer nur drei gute Marathonjahre. Bist du draußen, bist du ein Niemand. Ich hatte Glück mit sieben Marathonjahren. Mir haben wohl die Grundlagen geholfen, die ich über Jahre auf der Bahn gelegt habe.

Sind Sie im Training eigentlich mal 45 Kilometer am Stück gelaufen wie Anna Hahner in der Berlin-Vorbereitung?

Irina Mikitenko:

Nein, aber dann gibt es ja auch keine Steigerung mehr. Du kannst ja keine 60 Kilometer laufen.

Viele Japaner laufen solche Strecken …

Irina Mikitenko:

… und darum sind sie nach zwei Jahren auch weg vom Fenster. In Japan rücken nur immer wieder neue schnelle Läufer nach. Da fällt es nicht so auf. Man muss im Training an Stellschrauben drehen können, sonst gibt es keinen Fortschritt.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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