| Interview

Julian Reus: „Das Schlimmste wäre, wenn ich jetzt zufrieden wäre“

Er ist der schnellste Mann Deutschlands. Julian Reus hat sich am Wochenende nicht nur zum zweiten Mal in Serie den Deutschen Meistertitel über die vielbeachtete 100 Meter Distanz geholt, sondern auch in 10,05 Sekunden einen Uralt-Rekord ausgelöscht. Im Interview spricht der Wattenscheider über die Schallmauer von 10,00 Sekunden, Medaillenträume bei der EM und warum er keine Grenzen mag.
Alexandra Neuhaus

Video: <link video:10343>Julian Reus spintet Deutschen Rekord
Video: <link video:10340>Julian Reus und Lucas Jacubczyk rennen bei ungültigem Wind 10,01

Julian Reus, haben Sie schon verstanden, was Sie am vergangenen Wochenende überhaupt geleistet haben?

Julian Reus:

So richtig habe ich das noch nicht geschafft. Wahrscheinlich werde ich erst am Ende der Saison realisieren, was da am Samstag passiert ist. Denn in zwei Wochen steht ja auch noch die EM in Zürich an. Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, wäre, wenn ich jetzt zufrieden wäre. Denn der wichtigste Wettkampf des Jahres kommt ja erst in Zürich und da muss ich auf den Punkt Top-Leistung abrufen. Erst danach kann ich die Saison Revue passieren lassen und dann sicher auch begreifen, was ich geleistet habe.

Es war ja auch nicht irgendein Rekord, den Sie gebrochen haben. Immerhin hielt der Magdeburger Frank Emmelmann den Rekord von 10,06 Sekunden seit dem Jahr 1985. Kann man einen Angriff auf solch einen Rekord planen?

Julian Reus:

Nein, auch wenn viele immer wieder danach gefragt haben und wir deutschen Sprinter ja auch schon vorher nahe dran waren. Ich war davon überzeugt, dass ich das Potential habe, wenn alle Faktoren zusammen passen, da die letzten Jahre auch schon gut liefen. Martin Keller und Lucas Jakubczyk sind beide an einer Hundertstel gescheitert. Als ich am Samstag dann aber vorm Zwischenlauf stand, kam dann schon der Gedanke ‚wenn nicht jetzt, wann dann‘. So ein bisschen plant man dann doch schon. Denn ich war top in Form, die Bedingungen waren gut und im Zwischenlauf läuft man doch etwas lockerer, da kann man sich dann auch trauen, mal etwas zu probieren. Aber dass es dann am Ende tatsächlich geklappt hat, macht mich sehr stolz und glücklich.

Sie erwähnen die anderen deutschen Sprinter, wie so oft. Die Stimmung unter den deutschen Sprintern scheint gut zu sein, es klingt nach einem funktionierenden Team aus eigentlichen Individualsportlern. Aber wie sehr ist es dennoch Konkurrenz? Immerhin ging es am Wochenende um den Deutschen Meistertitel.

Julian Reus:

Wenn ich im Startblock sitze, ist jeder ein Konkurrent, da gibt es keine Freundschaften. Aber es ist wirklich so, dass wir uns alle gegenseitig extrem respektieren, einander schreiben und auch in der Freizeit telefonieren. Wir profitieren auch sportlich sehr voneinander. Und dass der ein oder andere nach einem Rennen mal enttäuscht ist, oder sauer, das ist vollkommen okay, dafür sind wir alle doch noch Einzelsportler. Wir sind im Team stark geworden und übertragen das jetzt auf die Einzelleistungen. Es funktioniert super unter uns.

Nicht nur in der Spitze ist der deutsche Männersprint stark, auch in der Breite. Schnell wie heute war der deutsche Männersprint noch nie. Wo sehen Sie die Gründe?

Julian Reus:

Auch das ist eine Team-Leistung. 2011 hat der Verband mit seinen Bundestrainern und Biomechanikern analysiert, was andere schnelle Sprinter machen, wo wir noch Potential haben und die Ergebnisse versucht, auf uns zu übertragen. Dazu kommen gemeinsame Trainingslager in der Wärme, etwa in Florida, wo wir super Bedingungen haben. Man regeneriert in der Wärme einfach viel besser, kann intensiver trainieren und davon profitieren wir alle. Und dann kam sicher hinzu, dass ich 2012 10,09 Sekunden gelaufen bin. Das war wie eine Art Dosenöffnern, weil es uns gezeigt hat, dass man unter guten Bedingungen tatsächlich schnell laufen kann. Wir sind alle im Schnitt gut dabei und können das Bild im Männersprint gut prägen.

Das bedeutet im Klartext: Ihr Potential ist noch nicht ausgeschöpft.

Julian Reus:

Ich habe für mich gelernt, dass man sich keine Grenzen setzen darf. Wenn mir jemand vor vier Jahren gesagt hätte, dass man unter 10,10 Sekunden laufen kann, da hätte ich mit dem Kopf geschüttelt. Heute weiß ich, es geht. Wichtig ist, dass man, auch wenn es gut läuft, sich nicht ausruht, sondern sich auch dann traut, noch ein, zwei Dinge zu verändern, um noch besser zu werden. Denn das ist natürlich das Ziel, aber man kann jetzt nicht davon ausgehen, dass es von Jahr zu Jahr kontinuierlich steil bergauf geht. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns in den kommenden Jahren stabil und gut verkaufen können.

Ist eine Zeit unter zehn Sekunden möglich?

Julian Reus:

Davon hängen so viele Faktoren ab, wie alleine schon die Bedingungen. Aber im deutschen Männersprint schlummert es und wenn der Tag X kommt, kann diese Barriere fallen. Aber man sollte die Tage darauf jetzt nicht zählen.

Welche ein, zwei Dinge können Sie denn bei sich selber noch optimieren?

Julian Reus:

Das sind technische Details, etwa mein Schrittverhalten auf den letzten Metern. Da verliere ich im internationalen Vergleich noch ein bisschen. Aber in die genaue Analyse dieser Details werde ich mich nach der Saison stürzen. Ich bin ohnehin so der Typ, der immer kleine Veränderungen im Training braucht, damit ich nicht drei Jahre lang stupide das gleiche Raster abspule.

In dieser Saison werden wir diese Veränderungen aber nicht mehr erleben. In zwei Wochen beginnen die Europameisterschaften in Zürich. Welches Gefühl nehmen Sie aus Ulm mit in die Schweiz?

Julian Reus:

Ein sehr gutes. Aber vor allem das Ziel, die Leistung aus Ulm dort zu bestätigen, mich im Wettkampfmodus eins gegen eins zu behaupten und so schöne Rennen wie in Ulm zu zeigen.

Dort wartet jedoch eine ganz andere Rennkonstellation auf Sie. Im Zwischenlauf können Sie dort eher nicht locker laufen.

Julian Reus:

Damit kann ich auch umgehen, das habe ich in Ulm im Finale gezeigt. Lucas Jakubczyk und ich sind vom ersten Schritt voll angegangen und haben es dennoch geschafft, unser eigenes Ding zu machen und voll durchzuziehen. Das war schon eine gute Generalprobe für Zürich. Denn wenn wir es bei der EM genauso machen, können wir dort sehr weit kommen.

Wie weit ist ‚sehr weit‘?

Julian Reus:

Das wäre auf jeden Fall im Einzel bis ins Finale und da ist dann alles drin. Was ich da dann erreichen möchte, diese Zielsetzung kann ich mir erst nach dem Halbfinale überlegen. Und mit der Staffel wollen wir um den Sieg mitlaufen.

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