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Léa Sprunger – Über Umwege in die Weltspitze

Sie war Gold-Favoritin bei der Hallen-EM über 400 Meter. Doch auf den letzten 100 Metern war Léa Sprunger in Belgrad stehend k.o. Der Schweizerin blieb als Nummer eins der Welt nur Platz fünf. Doch trotz dieser Niederlage hat sich die 27-Jährige zuletzt enorm verbessert und das Potenzial, über 400 Meter Hürden mit den Besten der Welt mitzuhalten. Dabei lief sie erst mit 25 Jahren ihr erstes ernsthaftes Rennen über diese Strecke.
Martin Neumann

16 Sekunden. Eine kurze Zeitspanne. Eigentlich. Für Léa Sprunger wurden diese (rund) 16 Sekunden bei der Hallen-EM Anfang März in Belgrad zu einer Ewigkeit. Souverän hatte die Schweizerin das 400-Meter-Finale in Serbiens Hauptstadt angeführt (23,95 sec für die erste Runde). Die Sprinterin von Cova Nyon eilte als Nummer eins der Welt ihrem ersten internationalen Titel entgegen. Doch dann wurde der Laufschritt eckig, sie wankte förmlich. Und so zogen auf der Zielgeraden noch vier Finalistinnen klar an der 27-Jährigen vorbei. Eben diese 16 Sekunden hatte Léa Sprunger in etwa für die finalen 100 Meter gebraucht. Die Titelfavoritin „schlich“ nach 53,08 Sekunden ins Ziel – ihrer schlechtesten Zeit der Hallensaison. Und das ausgerechnet im wichtigsten Rennen des Winters.

Während sich die Hallen-Europameisterin Floria Guei (51,90 sec) mit der französischen Fahne um die Schultern im Ziel feiern ließ, war Léa Sprunger im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört. Doch als die Mischung zwischen Erschöpfung und Enttäuschung überwunden war, stellte sich die 1,83 Meter große Langsprinterin den wartenden Journalisten. „Ich habe mich gut vorbereitet gefühlt und habe mich auf dieses Rennen gefreut. Meine Beine waren gut, mein Kopf war gut, aber 100 Meter vor dem Ziel fühlte ich mich leer“, sagte Léa Sprunger. „Ich habe keine Ahnung, was hier mit mir passiert ist. Das war einfach schlecht.“

22,38 Sekunden über 200 Meter

Die 27-Jährige hatte genauso wie die Schweizer Fans in der Kombank Arena in Belgrad auf Gold gehofft. (Selina Büchel sollte es am Tag darauf über 800 Meter gewinnen). Schließlich hatte Léa Sprunger vier Wochen zuvor mit 51,46 Sekunden den Schweizer Hallenrekord von Anita Protti aus dem Jahr 1991 nur um fünf Hundertstelsekunden verpasst und mit dieser Top-Leistung die Meldeliste für die Hallen-EM klar angeführt. Zum Vergleich: Seit knapp anderthalb Jahrzehnten war keine Deutsche schneller.

Gleiches gilt übrigens für die 200 Meter im Freien. Dort steigerte sich Lea Sprunger 2016 auf 22,38 Sekunden und lief Schweizer Rekord. Ein exzellenter Zubringerwert für ihre Spezialstrecke, die 400 Meter Hürden. Um eine Deutsche zu finden, die auf der halben Stadionrunde schneller war, muss man bis ins Jahr 1999 zurückgehen und findet Andrea Philipps (LG Olympia Dortmund) 22,26-Sekunden-Sprint (Halbfinale: 22,25 sec) zu WM-Bronze in Sevilla (Spanien).

2009 Siebenkampf-Bronze bei der U20-EM

Dabei ist die Athletin aus Lausanne gar keine „gelernte“ Sprinterin: Ihre Karriere begann Léa Sprunger als Mehrkämpferin. 2009 gewann sie mit 5.552 Punkten sogar Siebenkampf-Bronze bei der U20-EM. Nur Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt; 5.697 Punkte) und Katerina Cachova (Tschechien; 5.660 Punkte) waren damals in Novi Sad (Serbien) besser. Die spätere 200-Meter-Europarekordlerin Dafne Schippers (5.507 Punkte) und die Fünfkampf-Hallenweltmeisterin von 2014, Nadine Broersen (beide Niederlande; 5.456 Punkte) hielt Lea Sprunger hingegen auf Distanz.

Da die Schweizerin aber immer Probleme mit den Würfen – speziell der Speer wurde nie ihr Freund – und den 800 Metern hatte, konzentrierte sie sich nach der Saison 2011 auf den Sprint. Erfolge stellten sich schnell ein. Der Olympia-Start 2012 in London über 200 Meter und der Einsatz als Schlussläuferin der 4x100-Meter-Staffel waren die erste Belohnung. Den Staffelstab nahm sie von ihrer drei Jahre älteren Schwester Ellen entgegen, die dem Mehrkampf treu geblieben ist und in London auch im Siebenkampf startete.

Erster Langhürden-Test ging daneben

Schon seit den Mehrkampf-Zeiten trainiert Léa Sprunger bei Laurent Meuwly. Der Coach hatte auch schon früh die Idee, seine großgewachsene Athletin auf die 400-Meter-Hürden-Distanz zu schicken. 2010 ging ein erster Versuch mit 62,29 Sekunden noch richtig daneben. So schulte das Duo weiter die Technik und die Grundschnelligkeit. Mit Erfolg. Schon 2015 – ihrem ersten Jahr auf der Langhürden-Distanz – lief Léa Sprunger 55,60 Sekunden. Vergangenes Jahr steigerte sie sich auf 54,92 Sekunden und gewann EM-Bronze in Amsterdam. Dazu kamen Starts in der Diamond League. Das lässt nach so kurzer Zeit ihr Potenzial auf der anspruchsvollen Strecke erahnen.

Mit ihrer Größe hat Léa Sprunger auf der Stadionrunde einen gewaltigen Vorteil, zumal die zehn Hürden nur 76 Zentimeter niedrig sind: Als momentan wohl einzige Athletin der Welt kann sie einen 15er-Rhythmus bis ins Ziel durchziehen. Diesen Trumpf zog die 27-Jährige auch in Amsterdam aus dem Ärmel und stürmte auf der Zielgeraden von hinten noch aufs Podest. So soll es auch im August bei der WM in London laufen. Setzt sie ihre Hallen-Bestzeit von 51,46 Sekunden im Sommer auf der Hürdenrunde um, ist sie in London eine klare Kandidatin fürs WM-Finale. Nur 16 Sekunden sollte Léa Sprunger in London für die letzten 100 Meter dann unter keinen Umständen benötigen.

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