| Für Weltcup qualifiziert

Marius Broening ist beim Bobfahren angekommen

Marius Broening hat in diesem Winter die Kunststoffbahn mit dem Eiskanal getauscht. Am vergangenen Wochenende qualifizierte sich der Tübinger in St. Moritz beim Europacup im Viererbob für den Weltcup am 14. und 15. Februar in der russischen Olympiastadt Sochi.
Ewald Walker

Ein dunkelhäutiger Sprinter beim Bobfahren? Klar, da denkt man an Jamaika. Wenn der Anschieber dann bäuchlings hinter dem Bob den Eiskanal hinunterrutscht, muss es "Cool Runnings" sein. Jene skurrile Geschichte, bei der sich karibische Bob-Anfänger im Eiskanal mit Höchstgeschwindigkeiten in die Herzen des Publikums und der Konkurrenz fahren.

Für den Sprinter Marius Broening (LAV Stadtwerke Tübingen), der bereits an vier Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen teilgenommen hat, ist Bobfahren aber keine Lachnummer. Der Bronzemedaillen-Gewinner der 4x100-Meter-Staffel bei der EM in Barcelona (Spanien) 2010 (Bestleistung 10,24 sec) hat zu Beginn der Wintersaison die Kunststoffbahn mit dem Eiskanal getauscht – mit ernsthaften Zielen vor Augen.

Im Sommer 2014 hatte ihn Manuel Machata, Weltmeister von 2011 und Pilot vom Bobclub Solitude Stuttgart, angerufen und gefragt, ob er nicht seinen Bob anschieben möchte. „Ich war nach zwölf Jahren mental müde von der Leichtathletik“, sagt der fünfmalige Deutsche Vizemeister Broening und damit bereit für einen Wechsel.

Neustart im Bob seit letztem Sommer

Es war ein Neustart: Verstärktes Krafttraining für Beine und Arme, drei Kilo Gewichtszunahme, Bürstenschuh statt Spikes, fünffache Erdbeschleunigung in den Kurven statt Geradeauslaufen. „Man kann sich in den Kurven im Bob überhaupt nicht bewegen, so groß sind die Kräfte“, beschreibt der Anschieber und Bremser seine Gefühle. Kam der Sunnyboy früher mit der Tasche über der Schulter mit Spikes und Trikot ins Stadion, um sich eine Stunde lang warmzulaufen und dann für zehn Sekunden Gas zu geben, muss sich Broening für die rund eine Minute dauernde Bobfahrt mächtig ins Zeug legen.

Bei fünf Rennen in Winterberg, Altenberg, Oberhof, Königssee und La Plagne gab es einen Sieg im Europacup für Broening, am Königssee gab es eine Bauchlandung. Nach dem ersten Schritt aus der Startposition hat Broenings Bürstenschuh im Eis nicht so gegriffen wie er sollte. „Ich stand quer in der Luft, die Arme vorneraus, die Beine hinterher, ich musste loslassen“, hat er diesen traumatischen Moment genau vor Augen.

Bauchlandung schnell vergessen

Der Bob war als Dreier-Bob vorneweg in die Eisrinne eingetaucht, Broening rutschte bäuchlings hinterher. „Der Bob Machata hat den Bremser verloren“, dröhnte es durch den Lautsprecher. Der Albtraum eines Anschiebers.  

„Klar“, gesteht Broening mit einem Lachen, „die Parallelen zu Cool Runnings sind offensichtlich." Doch längst ist das Malheur ernsten Zielen gewichen. Zum Jahresende gab es Bronze bei den Deutschen Meisterschaften im Zweierbob von Hansi Lochner. „Das war eine große Herausforderung“, betont Broening.

Minus zehn Grad und Neuschnee sind nicht gerade Traumbedingungen für sonnenverwöhnte Sprinter. Die erfolgsverwöhnten deutschen Bobs kämpfen nach der Olympiapleite von Sochi international um ihre Reputation.  Weltcupsiege von Francesco Friedrich (im Zweier), Maximilian Arndt (Vierer) und Nico Walther (Zweier) sind Silberstreife.

Keine Zweifel trotz unklarer Perspektive

Trotz des holprigen Fehlstarts und der noch unklaren Perspektiven zweifelt Marius Broening, der ein Sport-Management-Studium hinter sich hat und als Personal Trainer arbeitet, keinen Moment an seiner Entscheidung für den Eiskanal.

St. Moritz am vergangen Wochenende: Wetterkapriolen mit einem dreiviertel Meter Neuschnee binnen 36 Stunden verhindern den ersten Tag beim Europacup auf der einzigen Natureisbahn der Welt. „Hier gleitest du ganz sanft hinunter“, schildert Newcomer Broening seine Erfahrungen.

Stimmung wie in der Sprintstaffel

Morgendämmerung hoch über dem Moritzer See. 18 Bobs sind neben der Bahn aufgestellt. Die Sonne lockt die Akteure zu zwei Europacupläufen. Marius Broening ist Anschieber im Bob des Berchtesgadeners Hansi Lochner, der ganz großen Hoffnung im deutschen Boblager. „Die Leichtathleten sind die Verwöhnten“, sagt der 24 Jahre alte Elektrotechnik-Student. Bobfahren sei Knochenarbeit: morgens um sechs raus, den 200 schweren Kilo-Schlitten verladen, Kufen montieren und präparieren.

„Bobfahren ist 90 Prozent Schrauben, der Rest fahren“, sagt Lochner. Lochner montiert, Broening poliert. „Marius ist schon ein Guter, da siehst du gleich, dass er ein Sprinter ist“, lobt Lochner seinen neuen Anschieber. Die Stimmung ist gut im Team. „Hier herrscht Teamgeist wie in einer Sprintstaffel“, ist auch Broening von seiner neuen Umgebung angetan.   

Mit 130 km/h durch den Eiskanal

Die letzte halbe Stunde vor dem Start: Mehr als 70 Bobfahrer haben sich in eine Tiefgarage zurückgezogen. Aufwärmen, Abläufe, Sprints zwischen Autos und Müll in einer fast skurrilen Atmosphäre. Action statt Chillen wie am Vortag. Die Blicke der Fahrer werden plötzlich starrer, mit dem Überziehen der Helme wird die Nervosität spürbar.

„Beschleunigen, reinspringen, beten“, heißt für Marius Broening jetzt die Devise. Klatschende Hände, Schlachtrufe aus den Kehlen der fast 100 Kilo schweren Athleten – und schon sind sie weg, donnern den Eiskanal hinunter mit bis zu 130 Stundenkilometer.

Schnellste Startzeit

5,07 Sekunden - Broening hat die schnellste Startzeit aller Bobs angeschoben und wird später bei der Siegerehrung ausgezeichnet. Am Ende verpasst sein Team Platz drei um fünf Hundertstel. Für den Zweierbob ist er zu leicht.

Am Montag hat der Verband den Sprinter unter den Bobfahrern für den Weltcup (14./15. Februar) nominiert. In fünf Sekunden ist Broening in die Olympiastadt Sochi durchgestartet. Vielleicht gibt es für Broening irgendwann mal eine Triumphfahrt wie für die Jamaikaner. Es wäre ein Märchen für den Tübinger Farbtupfer im Bobsport.

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