| Nach Achillessehnenriss

Tobias Dahm auf dem Weg zu neuer Stärke

Achillessehnenriss mit 29 Jahren: Als diese Nachricht von Tobias Dahms Verletzung Ende 2016 die Runde machte, schwang unterschwellig das Wort Karriereende mit. Ein Wort, von dem der Betroffene selbst nichts hören wollte. „Ich bin noch längst nicht fertig mit der Kugel“, sagt der Sindelfinger. 2018 – das soll sein Jahr werden.
Alexandra Dersch

„War’s das jetzt?“ Diese Frage hörte Tobias Dahm (VfL Sindelfingen) von seinem Trainer Peter Salzer so ziemlich als erstes, als am 30. Dezember 2016 während der letzten Sprinteinheit des Jahres die linke Achillessehne mit einem lauten Knall riss. Doch die Antwort kam prompt: „Auf keinen Fall.“

Dennoch: Die Verletzung brachte den Hünen, der sich trotz seiner 2,03 Meter Körpergröße plötzlich ganz klein fühlte, kurzzeitig aus der Balance. Ausgerechnet nach diesem Sommer. Ausgerechnet nach dieser Vorbereitung. Es war der Sommer, in dem er als EM- und Olympiateilnehmer endlich den Durchbruch geschafft hatte, endlich festes Mitglied der Nationalmannschaft war, sich einen Namen gemacht und seinen Platz gefunden hatte. Hinzu kam: „Das Wintertraining lief so gut wie nie. Meine Werte waren noch besser als vor Olympia.“

Doch es war auch eben dieser Schwung, die Gewissheit „ich kann das“, die den Deutschen Hallenmeister des Jahres 2016 vom Aufgeben bewahrte. „Ich habe 2016, sowohl in den Wettkämpfen im Sommer als auch im Training im Herbst und Winter gemerkt, dass noch viel mehr in mir steckt.“ Viel mehr, das er noch zeigen will. Wohlwissend, dass der Weg zurück hart werden würde. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. So hart gar, dass er im letzten Sommer jeden Wettkampf, in dem Kugeln gestoßen wurden, mied. „Ich habe auch bei der WM den Fernseher nicht angemacht.“

Balanceakt zwischen Sport und Beruf

Lieber quälte er sich selber bei der Reha in Stuttgart oder Berlin, stürzte sich in die Arbeit, denn was angesichts seiner professionellen Einstellung oft in Vergessenheit gerät: Tobias Dahm ist strenggenommen ein Kugelstoßer im Nebenberuf, der in Vollzeit bei einem Automobilbauer in Sindelfingen arbeitet. „Training ist erst nach Feierabend möglich.“ Der Alltag – auch ohne Verletzung schon ein Balanceakt, der Organisation in Perfektion erfordert. „Ich habe da einen guten Weg für mich gefunden, in dem ich Sport und Beruf vereinbaren kann.“

Die Balance im Körper – sie war auch der Schlüssel auf dem Weg zurück. Raus aus dem Verletzungsloch, wieder rein in die nationale und erweiterte internationale Spitze. Denn neben dem Wiederaufbau der gerissenen Sehne, war es die Kunst, die anderen Körperteile weiter zu trainieren und keine Dysbalancen aufzubauen. Ein Kunststück, das funktioniert zu haben scheint.

Fuß wird nie wieder so beweglich wie zuvor

„Es waren die kleinen Schritte, aus denen ich meine Motivation gezogen habe“, sagt Tobias Dahm heute. Schon die Operation war erstaunlich gut verlaufen, und dass obwohl der Abriss der Sehne recht nahe an der Wadenmuskulatur gewesen war. „Die Wunde hat auch recht wenig nachgeblutet, so dass ich mit meinen Physiotherapeuten früh wieder anfangen konnte.“

Trotz des guten Heilungsverlaufs: Der linke Fuß wird nie wieder so beweglich werden wie der rechte. „Das ist aber völlig normal“, sagt Tobias Dahm. Überhaupt, inzwischen kann er dem Achillessehnenriss sogar etwas Positives abgewinnen. „Ich hatte durch die lange Pause die Chance, in der Technik wieder neu zu starten und so kleine Fehler, die sich vorher eingeschlichen haben und die ich durch die tägliche Routine nur schwer rausbekommen hätte, loszuwerden.“

Berlin als Motivator

Wie gut er durch die Reha gekommen ist, zeigte der inzwischen Dreißigjährige in der Hallen-Saison. 19,60 Meter und Platz zwei bei den Deutschen Meisterschaften in Dortmund – ein beachtliches Comeback. „Darauf lässt sich aufbauen“, findet der Kugelstoßer auch selber, der sich in den vergangenen Wochen im Trainingslager auf Zypern auf den EM-Sommer vorbereitet hat.

Ganz klar, mit Blick auf die kommenden Aufgaben, will er im Vergleich zur Halle noch einige Zentimeter drauflegen. Glatte 20 Meter sind für die Teilnahme bei der EM in Berlin (7. bis 12. August) gefordert. „Berlin – da habe ich richtig Bock drauf“, sagt er. „Allein der Gedanke daran pusht mich so sehr, dass ich jede Einheit mit noch mehr Motivation angehe als in den vergangenen Jahren.“

Doch Tobias Dahm ist nicht der Typ, der Dinge im Voraus zerredet. „Über Details will ich jetzt noch nicht nachdenken“, sagt der Siebte der vergangenen Europameisterschaften in Amsterdam (Niederlande), wo er mit 20,42 Metern seine aktuelle Bestleistung aufstellte und sein bestes internationales Ergebnis feierte. Ob die Familie schon Karten hat? Wer ihn im Olympiastadion anfeuern wird? Welche Weite auf der Anzeigetafel stehen soll? „Alles zu seiner Zeit“, sagt er. „Mein Fokus liegt jetzt erstmal darauf, die Norm überhaupt abzuhaken.“ Am besten bei seinem Saisoneinstand in Halle (26./27. Mai). Alles hat eben auch seine Zeit – und seine Zeit soll jetzt, nach dem Achillessehenriss erst noch kommen.  

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