Auf den Spuren der Turner
von Stefanie Pietsch
Leichtathleten sind zwar keine Turner – bei der Betrachtung der konditionellen und koordinativen Anforderungen vieler leichtathletischer Disziplinen ist jedoch festzustellen, dass turnerische Grundfertigkeiten zum Erlernen einer stabilen Technik oft sehr nützlich sind. Das Turnen als technisch-kompositorische Sportart hilft dem Sportler nicht nur, seinen eigenen Körper besser zu beherrschen, sondern ihn auch bewusster wahrzunehmen, seine Signale zu verstehen und seine Reaktionen einschätzen zu lernen.
Ein hoher Ausprägungsgrad der koordinativen Fähigkeiten hat einen großen Einfluss auf die Qualität und Geschwindigkeit des Bewegungslernens und ermöglicht eine optimale Anpassung an wechselnde Bedingungen. Durch die räumlich, zeitlich und dynamisch neuen Bewegungserfahrungen, die das Turnen bietet, können in diesem Bereich große Verbesserungen erzielt werden. Auch zur Verbesserung des stabilen und labilen Gleichgewichts kann eine große Auswahl an Übungsformen gefunden werden.
In Bezug auf die konditionellen Fähigkeiten, stehen beim Turnen eindeutig die Maximal- und Schnellkraft sowie die Kraftausdauer im Vordergrund. Auch die Bewegungsfreiheit in den Gelenken spielt eine entscheidende Rolle, sodass ein turnerisches Grundprogramm in der Leichtathletik in keiner Vorbereitungsphase und in keinem Kinder- und Jugendtraining fehlen sollte.
Trotzdem scheuen sich viele Trainer, mit ihren Sportlern zu turnen – häufig aus Angst vor zu großen Verletzungsgefahren und wegen geringer Kenntnisse von richtiger Methodik und Hilfestellungen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn bereits turnerische Grundkenntnisse bei den Sportlern vorhanden sind und schwierigere Übungen erlernt werden sollen.
Dieser und weitere Beiträge zeigen Wege auf, wie die wichtigsten Elemente im Turnen auf unkomplizierte und sichere Weise erlernt werden können. Der folgende Übungskatalog beschäftigt sich zunächst mit den grundlegenden Elementen am Boden, wobei zum Teil einfache Geräteaufbauten den Lernprozess unterstützen. Die vorgestellten Übungen sollten ab dem späten Schüleralter zum Repertoire eines jeden Leichtathleten gehören.
Beim Erlernen aller Übungen liegt der Schwerpunkt nicht auf einer turnerisch korrekten Ausführungsweise – schließlich werden keine Haltungsnoten vergeben –, sondern auf dem Erleben neuer Bewegungen und dem sicheren Umgang mit dem eigenen Körper.
Übungskatalog
1. Rolle vorwärts und rückwärts
Ausführungshinweise
- Zum Erlernen der Rollen rückwärts und vorwärts (s. Bild) eignet sich eine schiefe Ebene. Diese kann mit Hilfe zweier Bänke an der Sprossenwand oder an einem Kasten aufgebaut und mit Matten abgesichert werden.
- Die schiefe Ebene unterstützt gerade bei der Rückwärtsrolle die Drehbewegung mit dem nötigen Schwung. Wichtig sind die richtige Stellung der Hände neben dem Kopf mit aktivem Stütz und eine runde Rollbewegung, die mit Hilfe der Rückenschaukel geübt werden kann.
Varianten
- Flugrollen/Rollen auf der Bank, auf dem Balken/synchrones Rollen
Hilfestellung
- Rolle vorwärts: Griff am oberen Rücken bzw. Nacken und am Bauch zur Erleichterung der Drehung
- Rolle rückwärts: mit einer Hand am Rücken, mit der anderen auf Schulterhöhe Schubhilfe leisten
2. Scherhandstand
Ausführungshinweise
- Zunächst sollten Stützkraft und Körperspannung geschult bzw. geprüft werden, dann wird der Scherhandstand erlernt. Dabei befinden sich die Hände von Anfang an am Boden, das Schwungbein wird gestreckt nach oben geschlagen, sodass das Standbein vom Boden abhebt
- Anschließend wird der Scherhandstand auf einem Kastenteil ausgeführt, sodass der Athlet mit sehr viel Schwung arbeiten kann, ohne in Gefahr zu geraten, sich zu überschlagen. Bei dieser Übung ist eine Hilfestellung nicht nötig.
3. Kletterhandstand
Ausführungshinweise
Um das Gefühl des Stehens auf den Händen kennenzulernen, setzen die Athleten die Hände etwa 60 Zentimeter vor einer Wand oder Matte auf und klettern dann mit den Füßen an der Wand hoch (s. Bild), sodass sie mit angehockten Beinen leicht schräg im Handstand stehen bleiben können.
4. Schwingen in den Handstand
Ausführungshinweise
Der Sportler schwingt auf Boden- oder Turnmatten oder gegen eine aufgestellte Matte aus dem Stand in den Handstand. Im Handstand ist auf die Körperspannung zu achten – die Beine sind geschlossen, keine Hohlkreuzbildung!
Hilfestellung
Zunächst werden mit dem seitlichen Klammergriff an den Oberschenkeln zwei Hilfen gegeben, später erfolgt nur noch eine bzw. keine Hilfestellung mehr.
5. Handstandabrollen vom Kasten
Ausführungshinweise
- Der Sportler liegt bäuchlings auf einem fünfteiligen Kasten, der mit Matten abgesichert ist und rutscht so weit nach vorne, dass sein Oberkörper senkrecht nach unten hängt und er sich mit den Händen (Arme gestreckt) am Boden abstützen kann.
- Dann wird er vom Helfer in den Handstand gehoben und kann langsam nach vorne abrollen.
Hilfestellung
Die Hilfestellung erfolgt mit dem seitlichen Klammergriff an den Oberschenkeln.
6. Handstandvarianten
Methodik
Wird das Handstandschwingen und -abrollen sicher beherrscht, können anspruchsvollere Varianten zum Einsatz kommen:
- Handstandschwingen gegen die Wand
- Handstandgehen
- Handstand mit halber/ganzer Drehung
- Handstandspringen
- Handstand auf kleinen Barrenholmen
Hilfestellung
Die Hilfestellung erfolgt nach Bedarf mit dem seitlichen Klammergriff an den Oberschenkeln.
7. Vorbereitende Übungen für das Rad
Alle vorbereitenden Übungen sollten von beiden Seiten ausgeführt werden:
- beidbeinige Hockwende über die Langbank
- einbeinige Hockwende über die Langbank mit in der Luft gegrätschten Beinen
- Hockwende über die Langbank aus dem Angehen mit kleinem Hindernis auf der Bank
8. Rad über den Kasten
Ausführungshinweise
- Das Rad wird über ein querstehendes Kastenteil (Kastendeckel) geturnt.
- Durch die im Vergleich zur Langbank niedrigere und verbreiterte Stützfläche wird die Bewegung der Endform angenähert.
9. Rad mit Markierungen
Ausführungshinweis
Legen Sie am Boden Markierungen für die Position der Hände und Füße fest (eventuell farbig kennzeichnen), die der Sportler möglichst genau treffen sollen (s. Bild).
Hilfestellung
- Der Turner wendet seinem Helfer den Rücken zu.
- Der Helfer greift mit dem Klammergriff an die Hüfte des Sportlers.
Beachte
- Das Rad (auch Handstützüberschlag seitlich) gehört zur Strukturgruppe der Überschlagsbewegungen und ist gekennzeichnet durch eine Drehung um die Körpertiefenachse mit Stütz der Hände. Beine und Hände setzen nacheinander auf dem Boden auf, der Körper befindet sich mit gegrätschten Beinen senkrecht über den Armen.
- Probleme, die beim Erlernen des Rades auftreten können, sind ein möglicher Orientierungsverlust bei Drehbewegungen, mangelndes Vertrauen in den Stütz der Arme, eine falsche Bewegungsvorstellung und Probleme mit dem Aufsetzen der Arme in der richtigen Reihenfolge.
10. Rad an der Wand
Ausführungshinweis
Stellen Sie eine Weichbodenmatte auf. Der Sportler turnt das Rad mit dem Bauch zur Matte zuerst mit großem, dann mit immer kleiner werdendem Abstand. So nähert er sich immer mehr der Senkrechten, ohne sich einer Verletzungsgefahr auszusetzen.
11. Rad-Varianten
Methodik
Werden die Übungen sicher beherrscht, können anspruchsvollere Varianten zum Einsatz kommen:
- Rad mit Vierteldrehung in oder gegen die Bewegungsrichtung
- einarmiges Rad
- Rad synchron mit Partner, Bauch (s. Bild) oder Rücken zueinander
12. Radwende
Übungen/Ausführungshinweise
- Radwende vom dreiteiligen Kasten: Um die Flugphase nach dem Abdruck zu verlängern und somit dem Turner mehr Zeit für die neu zu erlernende Bewegung zu gewähren, wird zunächst ein Rad, dann die Radwende mit erhöhter Stützfläche geturnt. Dazu werden zwei dreiteilige Kästen längs hintereinander aufgestellt, als Landefläche dient eine Weichbodenmatte.
- Radwende aus dem Stand und mit Anlauf und Anhopser
Varianten
- Radwende mit Strecksprung (oder Strecksprung mit halber Drehung und Flugrolle)
- Radwende mit Hock-, Grätsch-, Grätschwinkelsprung
Hilfestellung
Die Hilfestellung erfolgt wie beim Rad am Boden.
Beachte
- Die Radwende gehört wie das Rad zur Gruppe der gestützten Überschläge, beinhaltet jedoch neben der bereits bekannten Tiefenachsendrehung auch noch Drehungen um die Körperlängs- und Körperbreitenachse.
- Eine korrekte Bewegungsausführung erfordert ein schnelles Schließen der Beine und einen rechtzeitigen und kräftigen Abdruck beider Hände vom Boden bei gleichzeitiger Drehung um die Körperachsen.