Gina Lückenkemper (SCC Berlin) ist Deutschlands schnellste Frau und „wahnsinnig stolz“ darauf. Am Samstag hat sie bei den Weltmeisterschaften in Doha ihren ersten Auftritt im Vorlauf. Bei der WM 2017 sprintete sie im Vorlauf 10,95 Sekunden. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht die Vize-Europameisterin über den perfekten Lauf, Olympia 2020 und Usain Bolt.
Es war eine lange Vorbereitung auf die WM. Gehen Sie in Topform an den Start – mit Ziel Halbfinale und einer Zeit unter elf Sekunden?
Gina Lückenkemper:
Ich denke, dass wir mich bestmöglich auf diese WM vorbereitet haben. Da meine Akkus nach den letzten Rennen so extrem leer waren, habe ich mir tatsächlich gar kein konkretes Ziel gesteckt. Fest steht aber: Ich bin im Training deutlich frischer unterwegs als beim letzten Rennen in Brüssel. Die Beine fühlen sich gut an, das macht wirklich Lust auf mehr bei der WM.
Mit der 4x100-Meter-Staffel sind Sie beim ISTAF in Berlin eine Weltjahresbestzeit gelaufen: Gibt das Rückenwind für das Ziel, eine Medaille zu gewinnen?
Gina Lückenkemper:
Beim ISTAF haben wir unser Potenzial gezeigt, die Zeit hat uns Selbstvertrauen gegeben. Jedoch müssen wir auch in Doha erst einmal wieder eine solche Leistung gemeinsam auf die Bahn bringen. Wenn wir das schaffen, können wir im Finale um eine Medaille mitlaufen. Allerdings gibt es weitere Länder, die unter 42 Sekunden laufen können. Allen voran die USA, Jamaika und Großbritannien.
Sie sind die schnellste Frau Deutschlands ...
Gina Lückenkemper:
Mich macht das wahnsinnig stolz, dass ich meinen Job einfach sehr, sehr gut mache. Für mich ist es nicht nur einfach ein Job, sondern ich mache ihn mit Leidenschaft. Das ist etwas, was ich liebe.
Sie sind die 100 Meter dreimal unter elf Sekunden gelaufen, ihre Bestzeit ist 10,95 Sekunden. Dennoch haben Sie gesagt: Der perfekte Lauf war noch nicht dabei!
Gina Lückenkemper:
Es waren für mich besondere Läufe, der perfekte war noch nicht dabei. Ich wünschte, ich könnte mich an das Finale und die 10,98 Sekunden bei der EM in Berlin erinnern. Ich weiß aber bis heute nichts mehr, außer, dass ich mich ins Ziel geworfen habe. Das habe ich vorher in der Form noch nie erlebt. Ich hoffe, solche Rennen häufiger noch zu erleben.
Wie die 100 Meter in 10,95 Sekunden im Vorlauf bei der WM 2017 in London?
Gina Lückenkemper:
Das Rennen war nicht perfekt, aber es war relativ nahe dran. Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass es noch nicht perfekt war. Wenn es so gewesen wäre, hatte ich so ziemlich alles ausgereizt, was ich in petto habe. Ich habe noch Möglichkeiten, die 10,95 sind noch nicht das Ende der Fahnenstange.
In diesem Jahr sind zwei Läuferinnen schon 10,73 Sekunden gelaufen. Diese Zeit ist doch auch schon ziemlich weit entfernt.
Gina Lückenkemper:
Ich weiß nicht, wo meine Grenzen sind. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Der Weltrekord ist utopisch. Den wird keine Frau mehr laufen. Nicht ohne Doping. Eigentlich will ich mir kein Limit setzen, wo ich sage, bis dahin komme ich und nicht weiter. Ich weiß, dass es schneller gehen kann und ich es in mir habe. Eine 10,80er Zeit halte ich für realistisch, eine 10,70er vielleicht mit dem perfekten Rennen. Aber, wer weiß das schon.
Im WM-Halbfinale 2017 sind Sie mit 11,16 Sekunden Sechste geworden und ausgeschieden.
Gina Lückenkemper:
Da haben viele Leute gesagt, wie kann das sein. Es war ein neuer Tag und neue Bedingungen. Ich finde es schwierig, wenn an junge Athleten solche Ansprüche gestellt werden. Man darf nicht vergessen: Bei der WM 2017 war ich 20 Jahre alt.
Der Sprint ist zu Recht ein Synonym für Doping gewesen. Wie gehen Sie mit dem Thema um? Wäre es eine Versuchung wert?
Gina Lückenkemper:
Nein, aus dem simplen Grund, weil ich meinen Körper dafür viel zu sehr liebe. Dazu muss man auch sagen: Mit Doping allein gewinnst du trotzdem nichts. Das beste Doping der Welt bringt auch nur etwas, wenn du arbeitest. Es versetzt einen in die Lage, dass du ganz anders arbeiten kannst im Training. Ich könnte es mit meinem Gewissen niemals vereinbaren, meinen Körper mutwillig zu zerstören. Da muss ich ganz ehrlich sagen, das sind mir Medaillen nicht wert.
In Tokio 2020 werden Sie, wenn alles gut läuft, Ihre zweiten Olympischen Spiele erleben. Ist die Ehrfurcht weg?
Gina Lückenkemper:
Ja. Die Freude ist aber da. Faszination Olympia ist bei mir absolut präsent. Ich freue mich wahnsinnig auf den Trubel in Tokio.
Sie sind als Sportlerin Vollprofi?
Gina Lückenkemper:
Von Usain Bolt bin ich weit entfernt. Ich kann momentan davon leben und kann mich nicht beschweren. Aussorgen kann ich damit nicht, aber ich zahle in die Rentenkasse ein, seitdem ich 18 Jahre alt bin und mein erstes Geld verdient habe. Das Ganze kann ja von heute auf morgen auch vorbei sein.
Sie sind 22 Jahre alt und könnten noch zehn Jahre so arbeiten…
Gina Lückenkemper:
Ob Kopf und Körper da mitmachen... Zehn Jahre sind schon eine Hausnummer.
Ist Usain Bolt ein Vorbild für Sie?
Gina Lückenkemper:
Ich habe mir noch nie etwas aus Vorbildern gemacht. Usain war eine Marke. Ich möchte aber meinen eigenen Weg gehen, es so machen, wie ich bin und authentisch bleiben. Es ist anstrengend, aber auch schön, weil ich viele interessante Menschen kennenlerne. Und ich habe das Glück, Menschen mit kleinen Gesten glücklich zu machen – zum Beispiel mit einem Selfie mit ihnen im Supermarkt.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)