| Disziplin-Check 2020

SIEBENKAMPF FRAUEN | Carolin Schäfer spielt Erfahrung aus

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Siebenkampf der Frauen.
Alexandra Dersch

Fazit des Bundestrainers

Wolfgang Kühne, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt  – als Bundestrainer und als Heimtrainer?

Wolfgang Kühne:

Das Jahr war sehr kompliziert, da keiner wusste, wie es weitergeht. Die Absage der Olympischen Spiele war darin der Tiefpunkt, da das einiges an Motivation gekostet hat. So eine Situation wünsche ich keinem Top-Athleten. Einige sind schier verzweifelt, sie haben sich so lange darauf vorbereitet und dann das...

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Siebenkämpferinnen?

Wolfgang Kühne:

Die Herausforderung war der Umgang mit dieser Unsicherheit. Können Wettkämpfe stattfinden? Und wenn ja, wie? Umso glücklicher waren wir, dass es für uns Deutsche Meisterschaften in Vaterstetten gab. Das war der Höhepunkt des Jahres. Die Meisterschaften waren toll organisiert und die Athletinnen haben es mit guten Resultaten gedankt.

Welche Athletinnen haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Wolfgang Kühne:

Da gab es einige und das finde ich unter diesen Bedingungen enorm. Zunächst einmal hat sich Carolin Schäfer gut präsentiert, mit ihr rechne ich auch im kommenden Jahr ganz fest bei den Olympischen Spielen und bin mir sicher, dass sie dort eine gute Rolle spielen kann. Aber der Nachwuchs rückt nach und das ist ganz wichtig. Da haben wir eine Vanessa Grimm, die erstmals die 6.000 Punkte knacken konnte. Da haben wir in der U20 eine Lucie Kienast, die sich toll entwickelt. Leider hat sie sich in Braunschweig verletzt, so dass sie nicht mehr in Vaterstetten antreten konnte. Aber sie ist jetzt wieder auf einem guten Weg. Und auch in der U18 gab es tolle Resultate, wenn ich etwa an Serina Riedel und ihre 5.800 Punkte denke. Im Nachwuchs schlummern schon einige Talente.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Wolfgang Kühne:

Die aktuelle Lage ist nicht einfach und wird es auch in absehbarer Zeit nicht. Eigentlich wollten wir bereits eine Maßnahme abhalten in Halle, das war aber aus den bekannten Gründen nicht möglich. Wir haben uns im Mehrkampf in Kleingruppen unterteilt und versuchen so, Maßnahmen umzusetzen. Aber die Hoffnungen ruhen auf dem Frühjahr und dem dann geplanten Trainingslager in Belek. Aber wenn uns dieses Jahr eine Sache gelehrt hat, dann ist das die Erkenntnis, dass Dinge sich ganz schnell ändern können. Wir stecken einfach nicht drin. Aber die Hoffnungen auf Wettkämpfe in Götzis und Ratingen im Frühjahr sind groß.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Siebenkämpferinnen?

Wolfgang Kühne:

Mit Carolin Schäfer haben wir eine Athletin, die seit Jahren in der Weltspitze mitmischt. Und auch im kommenden Jahr ist sie eine heiße Kandidatin auf die Top Sechs bei den Olympischen Spielen – alles andere ist das Tagesform abhängig. Aber nach ihr haben wir noch zwei weitere Plätze zur Verfügung und dafür auch einige Kandidatinnen. Ich denke da an Sophie Weißenberg, an Anna Maiwald oder auch Mareike Arndt.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021

Wolfgang Kühne:

Die Hoffnung ist natürlich, dass die Olympischen Spiele stattfinden. Aber davon gehen wir jetzt einmal aus. Dieses Ereignis wird alle anderen überstrahlen. Und dort wollen wir mit den deutschen Siebenkämpferinnen eine gute Rolle spielen. Neben den Olympischen Spielen haben wir aber auch einige Großereignisse für unseren Nachwuchs und ich hoffe sehr, dass diese Meisterschaften auch stattfinden können.
 

Unser "Ass des Jahres"

Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt)

Deutsche Meisterin 2020
Jahresbeste 2020
Drittbeste Mehrkämpferin der Welt in diesem Jahr

Unser "Talent des Jahres"

Lucie Kienast (SV Halle)

Deutschlands punktbeste U20-Athletin des Jahres im Siebenkampf und 5. bei der DM der Aktiven im Weitsprung
Deutsche U20-Hallenmeisterin im Fünfkampf
Weltjahresbeste in der Klasse U20
Erstmals über 6.000 Punkte
 

Die Deutschen Top Ten 2020

Höhe Name Jahrgang Verein
6.319 Carolin Schäfer 1991 LG Eintracht Frankfurt
6.112 Anna Maiwald 1990 TSV Bayer 04 Leverkusen
6.047 Vanessa Grimm 1997 Königsteiner LV
6.009 Lucie Kienast 2001 SV Halle
5.830 Janina Lange 1997 MTV Lübeck
5.755 Sophie Hamann 1996 TUS Metzingen
5.715 Anna-Lena Obermaier 1996 SWC Regensburg
5.574 Isabel Mayer 1993 SWC Regensburg
5.545 Lara Siemer 2002 Rukeli Trollmann e.V.
5.430 Lilian Tösmann 2001 BV Teutonia Lanstrop

Statistik – Das sagen die Zahlen

Jahr Athletinnen > 6.200 * Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005 1 6.205 6.181 6.026
2006 4 6.389 6.301 6.080
2007 2 6.333 6.254 6.045
2008 4 6.427 6.328 6.039
2009 3 6.389 6.241 5.986
2010 2 6.412 6.203 5.969
2011 2 6.409 6.272 6.106
2012 4 6.446 6.340 6.118
2013 2 6.359 6.182 5.839
2014 3 6.378 6.255 6.037
2015 3 6.437 6.296 6.070
2016 3 6.422 6.275 5.988
2017 2 6.507 6.319 6.003
2018 1 6.312 6.243 5.991
2019 2 6.298 6.210 5.966
2020 1 6.159 6.036 5.834

Entwicklung der Jahresbestleistungen

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 6.221 (S. Kesselschläger) 6.889 (Barber/FRA) 668 6.889 (Barber/FRA) 668
2006 6.420 (L. Schwarzkopf) 6.740 (Klüft/SWE) 320 6.740 (Klüft/SWE) 320
2007 6.439 (L. Schwarzkopf) 7.032 (Klüft/SWE) 593 7.032 (Klüft/SWE) 593
2008 6.536 (L. Schwarzkopf) 6.733 (Dobrynska/UKR) 197 6.733 (Dobrynska/UKR) 197
2009 6.493 (J. Oeser) 6.731 (Ennis/GBR) 238 6.731 (Ennis/GBR) 238
2010 6.683 (J. Oeser) 6.823 (Ennis/GBR) 140 6.823 (Ennis/GBR) 140
2011 6.663 (J. Oeser) 6.880 (Chernova/RUS) 217 6.880 (Chernova/RUS) 217
2012 6.649 (L. Schwarzkopf) 6.955 (Ennis/GBR) 306 6.955 (Ennis/GBR) 306
2013 6.462 (C. Rath) 6.623 (Chernova/RUS) 161 6.623 (Chernova/RUS) 161
2014 6.426 (L. Schwarzkopf) 6.682 (Johnson-Thompson/GBR) 256 6.682 (Johnson-Thompson/GBR) 256
2015 6.547 (C. Schäfer) 6.669 (Ennis-Hill/GBR) 122 6.808 (Theisen-Eaton/CAN) 261
2016 6.557 (C. Schäfer) 6.810 (Thiam/BEL) 253 6.810 (Thiam/BEL) 253
2017 6.836 (C. Schäfer) 7.013 (Thiam/BEL) 177 7.013 (Thiam/BEL) 177
2018 6.602 (C. Schäfer) 6.816 (Thiam/BEL) 214 6.816 (Thiam/BEL) 214
2019 6.426 (C. Schäfer) 6.981 (Johnson-Thompson/GBR) 555 6.981 (Johnson-Thompson/GBR) 555
2020 6.319 (C.Schäfer) 6.419 (Dadic/AUT) 100 6.419 (Dadic/AUT) 100

Das fällt auf:

  • Carolin Schäfer hat ihre Knieprobleme überstanden, die sie im Vorjahr noch zur WM-Absage gezwungen hatten. Im ersten Jahr nach einem Trainerwechsel in die Gruppe von Stefanie und Michael Kaul knüpfte sie direkt an alte Leistungsstärke an. Der DM-Titel in Vaterstetten war ihr wichtig, gab er ihr doch weiter Zuversicht, auf einem guten Weg gen Tokio zu sein.
  • Auch Anna Maiwald präsentierte sich in diesem so speziellen Sommer stark: Die zweifache Deutsche Meisterin lieferte den drittbesten Siebenkampf ihrer Karriere ab und zeigte im Training noch Potenzial für mehr.
  • Viele andere deutsche Top-Mehrkämpferinnen nutzen das Corona-Jahr für eine Siebenkampfpause: Louisa Grauvogel, Mareike Arndt oder auch Sophie Weißenberg traten nur in vereinzelten Disziplinen an.
  • Eine Entscheidung, die sie mit den Topstars in der Welt eint. Denn auch Weltmeisterin Katarina Johnson-Thompson (Großbritannien) und Olympiasiegerin Nafissatou Thiam (Belgien) absolvierten in diesem Sommer keinen Siebenkampf. Während die Britin im Freien zumindest in Einzeldisziplinen testete, startet die Belgierin zuletzt in der Halle.
  • Das Fehlen der absoluten Top-Stars spiegelt sich entsprechend auch in den Statistiken wieder. Die Österreicherin Ivona Dadic lieferte mit 6.419 Punkten den besten Siebenkampf weltweit ab – eine derart niedrige Punktzahl gab es in diesem Jahrtausend noch nicht im globalen Vergleich.
  • National rückt der Siebenkampf-Nachwuchs nach: Allen voran die Hallenserin Lucie Kienast. Die 19-Jährige, die in diesem Jahr in die Trainingsgruppe von Wolfgang Kühne wechselte, knackte in diesem Sommer erstmals die 6.000 Punkte und ist damit die stärkste Siebenkämpferin der Welt in ihrer Altersklasse.
  • Stark aber auch: Lara Siemer (Rukeli Trollmann e.V.). Nach U18-Gold in der Halle gewann sie im Sommer Gold in der U20.
  • In der U18 gab es gar eine neue Bestleistung in diesem Jahr zu feiern: Serina Riedel (TSV Zeulenroda) überbot bei der Mehrkampf-DM mit 5.818 Punkten die Marke, die seit 1999 von Maren Freisen gehalten worden war.

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Speerwurf Frauen
Speerwurf Männer

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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