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Patrick Schneider – Später Einstieg, schneller Aufstieg, mühsamer Optimierungs-Prozess

Sieben DLV-Athletinnen und Athleten haben sich bei der Hallen-DM erstmals in die Siegerliste eingetragen. Unter ihnen neue Gesichter, sowie Athletinnen und Athleten, die schon mehrere Medaillen auf nationaler Ebene zu Hause haben und in Leipzig endlich ganz oben standen. Wir stellen sie vor, heute den deutschen Hallenmeister über 400 Meter Patrick Schneider (TV Wattenscheid 01).
Jan-Henner Reitze

Patrick Schneider
TV Wattenscheid 01

Bestleistungen:

400 Meter: 45,82 sec (2018); Halle: 46,44 sec (2022)
800 Meter: 1:49,54 min (2016)

Erfolge:

Achter EM 2016 & 2018 (Staffel)
Deutscher Hallenmeister 2022

Als Quereinsteiger ist Patrick Schneider nach nur zwei Jahren Training 2016 in die EM-Staffel des DLV über 4x400 Meter gelaufen. Diesen Erfolg wiederholte er 2018 bei der Heim-EM in Berlin, wo der inzwischen 29-Jährige auch im Einzel das Halbfinale erreichte. Nach dem unerwarteten Aufstieg folgten Jahre der Suche nach dem für ihn optimalen Umfeld. Einiges spricht dafür, dass er dieses nun in der Trainingsgruppe von Mittelstrecken-Bundestrainer Georg Schmidt gefunden hat.

In seiner ersten ernsthaften Hallensaison und nach gerade erst auskurierter Verletzung lief der Athlet des TV Wattenscheid 01 in Leipzig zu seinem ersten deutschen Meistertitel über 400 Meter sowie der ersten WM-Teilnahme der Karriere. Und das, obwohl das Training auf ein um die 800 Meter erweitertes Wettkampf-Repertoire ausgerichtet ist.

Im Sommer sollen nach den starken Hallenrennen zuerst wieder die 400 Meter im Mittelpunkt stehen. Der berufstätige Student möchte aber auch herausfinden, ob seine Leistungen über 800 Meter genauso gut oder vielleicht sogar noch besser sind. „Ich möchte insgesamt in meiner Karriere alle Möglichkeiten zur Optimierung ausprobiert haben“, erzählt Patrick Schneider, der neue Motivation geschöpft hat, dass ein weiterer Entwicklungsschritt erreichbar ist.

Jugend als Fußballer

Der in Ansbach in Bayern geborene heutige Leichtathlet spielte in seiner Jugend Fußball, zuerst auf dem Bolzplatz und dann im Verein beim TSV Geiselwind und TSV Abtswind. „Ich habe davon geträumt, einmal Profi zu werden. Aber dazu hat die nötige technische Ausbildung gefehlt." Auf der Suche nach neuen sportlichen Herausforderungen nahm der läuferisch starke Fußballer im Alter von 16 Jahren, ohne dafür trainiert zu haben, an den Meisterschaften des Kreises Neustadt an der Aisch über 1.500 Meter teil. In seiner Altersklasse war er in 4:58 Minuten der Schnellste, blieb aber doch vorerst noch dem Fußball treu.

Erst im Alter von 21 Jahren kam der Gedanke auf: „Sportlich kann das noch nicht alles gewesen sein.“ Mit der Idee einmal Landesmeister werden zu wollen, nahm er beim TSV Burghaslach unter Siegfried Finster und Friedrich Weichlein das Training auf und lief in seiner ersten Saison 2014 die 200 Meter auf Anhieb in 22,58 Sekunden und die 400 Meter in 48,60 Sekunden, was Silber bei den Süddeutschen U23-Meisterschaften brachte.

Das Jobangebot eines Sportartikel-Herstellers führte den gelernten Industriekaufmann nach Nürnberg, wo er seine neu gewonnenen sportlichen Ambitionen in der Trainingsgruppe von Harald Schmaus beim LAC Quelle Fürth weiterverfolgte. Da im damals folgenden Sommer des Jahres 2015 die Deutschen Meisterschaften in Nürnberg ausgetragen wurden, war mit der dort angestrebten Teilnahme auch schnell ein Ziel anvisiert.

Ein Jahr wie im Rausch

Damit klappte es dank der Steigerung der Bestzeit auf 47,76 Sekunden auch. „Ich habe schnell in die Leichtathletik-Familie hineingefunden und mich in meiner Trainingsgruppe sehr wohl gefühlt“, so der Spätstarter in den Leistungssport. Das Training unter Harald Schmaus war dabei eher ausdauerorientiert. Im Wettkampf standen auch Ausflüge auf die 800 Meter auf dem Programm.

Das strukturierte Training brachte schon im Jahr 2016, also erst zwei Jahre nach dem Start in die neue Sportart, den Anschluss an die deutsche Spitze und Starts auf internationaler Bühne. Die ersten 46er-Zeiten bis hin zur Bestzeit von 46,07 Sekunden als Bayerischer Meister in Erding bescherten mit Bronze die erste DM-Medaille und die Staffel-Teilnahme bei der EM in Amsterdam (Niederlande), die mit Rang acht endete.

„Dort bin ich auf Position zwei einen Split von 45,1 gelaufen. Insgesamt war es ein Jahr im emotionalen Rausch. Ich bin befreit gelaufen und gefühlt in jedem Rennen Bestzeit. Plötzlich kamen der Bundestrainer und mediale Aufmerksamkeit auf mich zu. Es war klasse, was mir der Sport plötzlich gegeben hat, der zu diesem Zeitpunkt eher ein ambitioniertes Hobby war.“ Ganz nebenbei gelang zum Saisonabschluss auch noch eine 800-Meter-Zeit unter 1:50 Minuten (1:49,54 min).

Druck wächst, Leichtigkeit schwindet

In den Jahren 2017 und 2018 gelang es, das Leistungsniveau zu bestätigen und etwas zu steigern. Bei den Deutschen Meisterschaften gewann Patrick Schneider jeweils Silber, steigerte seine Bestzeit bis auf 45,82 Sekunden und qualifizierte sich neben der Staffel auch im Einzel für die Heim-EM in Berlin, wo er ins Halbfinale einzog und mit dem DLV-Quartett über 4x400 Meter wieder Rang acht belegte.

„Aber die Leichtigkeit des Jahres 2016 ist ein wenig verloren gegangen. Erwartungen von mir selbst und von außen wurden größer.“ Als das Jahr 2019 durchwachsen lief, verstärkten sich die Fragen, welche Veränderungen die Leistung optimieren könnten. „Ich habe mein Leben auf den Sport ausgerichtet und war mit dem Ergebnis nicht zufrieden.“

Findungsprozess mit mehreren Stationen

Gemeinsam mit 400-Meter-Kollege Marc Koch (LG Nord Berlin) schloss sich Patrick Schneider im britischen Birmingham der Trainingsgruppe von Tony Hadley an, der unter anderem den späteren Europameister Matthew Hudson-Smith (Großbritannien) trainiert hatte. Die Corona-Pandemie erschwerte allerdings das Pendeln zwischen Deutschland und Großbritannien, das schließlich gar nicht mehr tragbar war. So musste nach einer „Late Season“ mit 46,12 Sekunden als Saisonbestzeit und DM-Bronze eine neue Lösung her.

Die fand sich mit der Trainingsgruppe in Chemnitz von Jörg Möckel, der den Fokus mehr auf die Sprint- und Unterdistanzfähigkeiten legte. Wohin das führen kann, zeigt unter anderem der Aufstieg von Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz) zur aktuell besten DLV-Athletin über 400 Meter.

Obwohl Trainer und Neuzugang in der Trainingsgruppe diesen Ansatz voller Motivation und Überzeugung gemeinsam verfolgten, spielte der Körper von Patrick Schneider dabei nicht mit. Er zog sich zwei Muskelfaserrisse und schließlich einen Teilriss der Achillessehne zu, was Wettkämpfe im Jahr 2021 unmöglich machte. Schon wieder war eine Veränderung nötig.

Frankfurt neue Wahlheimat

Mit der Idee, sich auch ernsthaft über 800 Meter zu versuchen – die er schon länger im Hinterkopf mit sich rumgetragen hatte – kam es zum nächsten Neuanfang in der Trainingsgruppe von Georg Schmidt in Frankfurt. Zu dieser zählen vor allem die 800-Meter-Spezialisten Marc Reuther, Marvin Heinrich, Dennis Biederbick (alle Eintracht Frankfurt) und Oskar Schwarzer (TV Groß-Gerau). „Dort bin ich super aufgenommen worden“, erzählt Patrick Schneider.

Konstante in seinem Leben blieben über die Jahre mit immer neuen sportlichen Trainingsstandorten sein Arbeitgeber und seine Freundin in Nürnberg, inklusive regelmäßiger Aufenthalte dort. Seine Arbeit kann der DLV-Athlet allerdings größtenteils standortunabhängig vom Laptop aus erledigen. Im vergangenen Herbst nahm er außerdem ein Fernstudium auf. „Ein eng getakteter Alltag hilft mir, sonst komme ich nicht in die Pötte. Mein Leben ist aktuell auf den Sport ausgerichtet, aber ich bin auch Angestellter, Student, Freund oder Sohn. Das hat mir insbesondere im Jahr meiner Verletzung geholfen.“

Erste Hallensaison führt zurück in die Erfolgsspur

Obwohl wegen der Folgen seiner Achillessehnen-Verletzung in der zurückliegenden Vorbereitung noch einige Einheiten auf den Crosstrainer statt auf die Bahn verlagert wurden, kamen Belastungsfähigkeit und Fitness rechtzeitig für Starts in der Hallensaison. Auf die hatte Patrick Schneider in seiner Karriere bisher immer bewusst verzichtet oder er war nicht in Form gekommen.

Diesmal waren die Rennen auch als Wiedereinstieg ins Wettkampfgeschehen gedacht. Dieser verlief mit dem Titel bei der Hallen-DM und der Qualifikation für die Hallen-WM in Belgrad (Serbien) dank der Steigerung auf 46,44 Sekunden erfolgreicher als erwartet. Dass es in Belgrad dann trotz solider 46,76 Sekunden um eine Hundertstel nicht fürs Halbfinale reichte, war ärgerlich, der erste Start bei einer WM aber dennoch eine wertvolle Erfahrung.

Mit zwei Rennen standen auch die 800 Meter schon auf dem Wettkampfplan, allerdings mit Zeiten (1:51,32 min; 1:51,35 min) noch unter dem Leistungsniveau der 400 Meter. Dass auch die „natürliche Schnelligkeit“ nicht vernachlässigt wurde, zeigte der Angang von 21,57 Sekunden auf den ersten 200 Metern des DM-Finals.

Wettkampf-Fokus bleibt erstmal bei den 400 Metern

„Ich bin aus einer Verletzung gekommen und hatte im dritten Jahr den dritten Trainerwechsel. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zufrieden mit meiner Hallensaison und davon überzeugt, das für mich passende Konzept gefunden zu haben“, so der 29-Jährige. „Für die 800 Meter fehlen mir noch spezifische Einheiten.“ Die Zuversicht ist da, dass es in der Sommersaison erfolgreich weitergeht.

Geplant sind erst einmal vor allem Starts über 400 Meter, auch weil der terminlich eng getaktete Sommer kaum Möglichkeiten zum Ausprobieren und Ankommen auf der doppelten Distanz zulässt. „Dass ich über 800 Meter auf Anhieb die WM-Norm von 1:45,20 Minuten laufe, ist nicht realistisch. Genauso wenig wie genug Rennen auf hohem Niveau zu absolvieren, um sich über die Weltrangliste für Eugene zu qualifizieren“, blickt Patrick Schneider auf die WM (15. bis 24. Juli) voraus. „Aber ich möchte auf jeden Fall herausfinden, über welche Strecke ich stärker bin.“

Über 400 Meter liegt die Einzelnorm (45,70 sec) für die Heim-EM in München (15. bis 21. August) nicht weit von der Bestzeit entfernt. Auch die Staffel-Qualifikation ist natürlich ein Ziel. „Das Training oder die Strecke umzustellen, ist natürlich ein Risiko. Dazu gehört auch, ein bisschen verrückt zu sein. Aber ich bin ein Fan davon, alles auszuprobieren. Immer beim Bekannten zu bleiben, führt nicht weiter. Ich sehe mich im letzten Drittel meiner Karriere. Also: Wann sollte ich es sonst versuchen?“

Video: Patrick Schneider krönt Titel mit Ticket nach Belgrad
Video-Interview: Patrick Schneider: "Vor zehn Monaten saß ich noch im Rollstuhl"

 

Das sagt Bundestrainer Edgar Eisenkolb:

Patrick ist ein zielorientierter, offener Athlet und bereit, neue Wege zu gehen. Als Späteinsteiger hat er unter Harald Schmaus eine Grundlagenausbildung erhalten, die auf die Mittelstrecke ausgerichtet war. Seine Erfolge über 400 Meter haben ihn auf dieser Strecke gehalten. Die Mischung mit den sprintorientierten DLV-Trainingslagern hat insbesondere im Jahr 2018 zu seinen bisher besten Leistungen geführt.

In Großbritannien und Chemnitz haben die Trainingsansätze nicht zu seiner Talentstruktur gepasst. Mit dem schnelligkeitsorientierten Mittelstreckentraining bei Georg Schmidt hat sich das jetzt geändert. Dass es jetzt gleich mit dem Deutschen Hallenmeistertitel geklappt hat, war eine Überraschung für mich. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

Die Hallenzeit von 46,4 lässt darauf schließen, dass in der Freiluftsaison eine neue persönliche Bestzeit möglich ist. 45,70 Sekunden und damit die Einzelnorm für die EM sollten mindestens erreichbar sein. Natürlich gehört Patrick auch zu den Kandidaten für die 4x400-Meter-Staffel. Was über 800 Meter möglich ist, wird sich zeigen.

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