Ein Jahr mit vielen Leichtathletik-Höhepunkten neigt sich seinem Ende entgegen. Auf nationaler Ebene waren die Deutschen Meisterschaften in Berlin das Highlight des Sommers, bei denen acht Athletinnen und Athleten erstmals in ihrer Karriere ganz oben standen. Wir stellen sie vor. Heute: Hürdensprinter Martin Vogel (LAC Erdgas Chemnitz).
Martin Vogel
LAC Erdgas Chemnitz
Bestleistung:
110 Meter Hürden: 13,47 sec (2021)
Erfolge:
Sechster Universiade 2017
Sechster U20-EM 2011
Deutscher Meister 2022
Der Hürdensprint der Männer mit seinen gut 1,06 Meter hohen Hindernissen stellt höchste Ansprüche an einen Athleten. Nur wer körperlich und mental topfit ist, kann eine Spitzenleistung abrufen. Eine akribische Vorbereitung ist nötig, um bereit zu sein, das Bestmögliche auf die Bahn zu bringen.
Bei Martin Vogel blitzte schon mehrfach auf, dass in ihm ein Hürdensprinter von internationaler Klasse steckt. Immer wieder wurde er aber auch durch Verletzungen, auch bedingt durch seine Ungeduld, ausgebremst. Der ganz große Durchbruch blieb bislang aus. Dass der 30-Jährige immer noch daran glaubt und arbeitet, hat viel mit seinem Trainer Alexander John zu tun.
Unter dessen Anleitung gelang es dem Athleten des LAC Erdgas Chemnitz erstmals seit Langem, den gesamten Sommer über fit zu sein. Das führte 2021 zu einer Steigerung bis auf 13,47 Sekunden. Das Jahr 2022 war dann wieder von verletzungsbedingten Rückschlägen geprägt. Nur zwei Wettkämpfe konnte Martin Vogel zu Ende bringen. Einer davon waren die Deutschen Meisterschaften in Berlin. Dort gelang in 13,74 Sekunden der erste nationale Titelgewinn der Karriere. Wieder so ein Fingerzeig, dass mehr möglich ist.
Internationaler Einsatz in der U20
In seiner Kindheit fuhr Martin Vogel in seiner Heimat in Chemnitz sportlich erst einmal zweigleisig, neben der Leichtathletik spielte er in seiner Grundschulzeit auch Fußball. „Mir wurde dann gesagt, dass ich durch meine körperlichen Voraussetzungen die Chance hätte, mal echt gut in der Leichtathletik zu werden“, erinnert sich der heutige Leistungssportler. „Im Fußball lief es nicht so gut, deshalb habe ich mich in der fünften oder sechsten Klasse entschieden, damit aufzuhören.“
Der Hürdensprint entwickelte sich zur besten Disziplin. In der Altersklasse M15 gehörte der damalige Schüler mit 11,01 Sekunden über 80 Meter Hürden zu den 30 besten Nachwuchsathleten dieser Altersklasse im DLV. Das war im Jahr 2007. Viele seiner gleichaltrigen Vereinskameraden beim LAC Erdgas Chemnitz waren zu diesem Zeitpunkt sogar noch erfolgreicher.
Unter der Anleitung von Jörg Bretschneider konnte sich auch Martin Vogel weiter verbessern. Bei seinem ersten Einzelstart bei einer Jugend-DM verpasste er 2008 in Berlin in der U18 noch knapp den Zwischenlauf, ein Jahr später ging es mit der Steigerung auf 13,94 Sekunden ins Finale und dort auf Rang vier (14,15 sec). Auch in seinem ersten U20-Jahr hatte der Hürdensprinter ein Abo auf den vierten Platz, den er bei der Jugend-Hallen-DM in Halle (8,07 sec) und im Freien in Ulm (13,75 sec) belegte.
Im Jahr 2011 dann der nächste Schritt nach vorne. Bei der U20-EM in Tallinn (Estland) durfte der damals 19-Jährige ins Nationaltrikot schlüpfen und belegte den sechsten Rang (13,92 sec). Bei der Jugend-DM in Jena gab es mit Bestzeit über die 99,1 Zentimeter hohen Hürden Silber (13,63 sec), hinter seinem heutigen Trainingspartner Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen).
Verletzungen bremsen Entwicklung
Zu diesem Zeitpunkt steckte der Nachwuchsathlet schon mitten in einer Vollzeit-Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik, die er nach seinem Realschulabschluss begonnen hatte. „Ich habe von 7:30 Uhr bis 15:30 Uhr gearbeitet, für Trainingslager wurde ich freigestellt“, erzählt Martin Vogel. „Ich war hin- und hergerissen zwischen Beruf und Leistungssport. Auch was Verzicht angeht, zum Beispiel aufs Feiern, war ich in meinen jungen Jahren von der Einstellung her nicht komplett beim Sport.“ Das setzte sich nach Abschluss der Ausbildung und dem Start in eine Teilzeitstelle fort.
Mit einer Jahresbestzeit von 13,93 Sekunden und dem deutschen U23-Titel in Kandel (14,04 sec) verlief das erste Jahr über die Männerhürden noch vielversprechend. Doch danach geriet die kontinuierliche Entwicklung ins Stocken, auch durch immer wieder neue Verletzungen.
Um bessere Rahmenbedingungen fürs Training zu schaffen, entschied sich der Sachse für eine Bewerbung bei der Landespolizei. Er wurde in die Sportfördergruppe aufgenommen und begann 2013 in Leipzig eine Ausbildung, Trainingsmittelpunkt blieb aber vorerst noch Chemnitz.
So richtig nach vorne ging es dennoch nicht. Hoffnungsvolle Trainingsergebnisse wechselten sich weiterhin mit Leistenzerrung, muskulären Problemen oder anderen Rückschlägen ab. Wenn überhaupt Wettkämpfe möglich waren, klappte es nicht mehr mit Zeiten unter 14 Sekunden.
2016 blitzt Potenzial auf
Auf der Suche nach neuen Impulsen erfolgte im Herbst 2015 der Umzug nach Leipzig und der Wechsel in die Trainingsgruppe von Jan May, wo auch der damals noch aktive Alexander John an seiner Form arbeitete. Zuerst deutete sich eine Wirkung an. Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften 2016 steigerte sich Martin Vogel als Dritter überraschend auf 7,67 Sekunden und durfte bei der Hallen-WM in Portland (USA) nach fünf Jahren wieder die DLV-Farben vertreten.
„Ich brauchte dieses Resultat auch, um in der Sportfördergruppe zu bleiben. Da stand ich unter Druck und war vielleicht hungriger“, erzählt der Hürdensprinter. „Bei der Hallen-WM konnte ich wegen fehlender Erfahrung meine Leistung allerdings leider nicht bestätigen.“
Und auch im Freien reichte es nicht für einen entscheidenden Schritt nach vorne. Immerhin gelang im Jahr 2017 nach fünf Jahren mit 13,79 Sekunden wieder eine Bestzeit. Ähnliche Zeiten standen am Ende der Jahre 2018 (13,84 sec) und 2019 (13,74 sec) zu Buche.
Schwere Verletzung, Corona, Neuanfang
Ende 2019 drohte eine große Verletzung der Karriere ein Ende zu setzen. Nach einem Abriss eines vorderen Oberschenkelmuskels sahen die behandelnden Ärzte kaum Chancen, jemals wieder zur alten Leistungsfähigkeit zurückzufinden. Auch die Freistellung für den Sport nach der inzwischen beendeten Polizeiausbildung stand wieder einmal auf der Kippe.
„Dann kam Corona und ich war einer der wenigen Profiteure. Bei der Förderung gab es eine Kulanzregel und ich wollte unbedingt den Ärzten und mir selbst beweisen, dass ich zurückkommen kann“, so Martin Vogel, der schon über so viele Jahre für seinen Durchbruch gekämpft hatte.
Seinen Glauben, dass dies nach wie vor nicht unmöglich war, stärkte Alexander John, der ihm inzwischen nicht mehr als Konkurrent und Kollege auf der Bahn, sondern als Trainer zur Seite stand. Und so arbeitete der Athlet an seinem Comeback.
Bestes Jahr der Karriere
Und das mit Erfolg. Die Rückkehr in den Wettkampf im Jahr 2021 brachte die lang erhoffte Steigerung. Eine Saison auf einem noch nie erreichten Niveau, mit den bisher acht schnellsten Zeiten seiner Laufbahn, sieben davon unter 13,70 Sekunden.
Am letzten Tag des Qualifikationszeitraums für die Olympischen Spiele in Tokio (Japan) steigerte Martin Vogel seine Bestzeit in Leverkusen auf 13,47 Sekunden. Die direkte Qualifikationszeit für Olympia (13,32 sec) war allerdings noch etwas schneller, und auch im Rankingsystem reichte die eine gute Freiluftsaison nicht, um genug Punkte für die Qualifikation zu sammeln. Dennoch bewies das Jahr, dass mehr möglich ist, wenn eine störungsfreie Vorbereitung und Saison durchgezogen werden kann.
Einen großen Anteil daran hat Alexander John. „Ich habe endlich verstanden, wie ich Hürden laufen muss. Ich bin weniger auf die Hürden zugelaufen, sondern habe gelernt, mehr Abstand zu halten, um danach schnell weiterrennen zu können“, so Martin Vogel, zu dessen Trainingsgruppe in Leipzig etwa auch Gregor Traber oder Deniz Almas (VfL Wolfsburg) gehören.
2022 wieder eher nach dem alten Muster
Umso ärgerlicher, dass es 2022 unterm Strich eher wieder einen Schritt rückwärts ging. Einmal mehr stand auch die Euphorie im Wege, nach verschiedenen kleineren Problemen möglichst schnell wieder durchstarten zu wollen. „Wenn ich nicht voll mittrainieren kann, fühle ich mich wie auf der Auswechselbank. Wenn ich dann wieder dabei bin, kann ich es nicht abwarten, wieder voll draufzugehen.“
Der Einstieg in die Sommersaison war erst zwei Wochen vor den Deutschen Meisterschaften möglich und verlief mit 14,03 Sekunden bescheiden. Nach dem überraschenden DM-Titel in Berlin (13,74 sec) beendete eine Woche später im Endlauf von La Chaux-de-Fonds (Schweiz) die nächste Verletzung die kurze Saison.
„Da wäre ich gern wenigstens die Norm für die Heim-EM in München gelaufen. Das war auch drin. Natürlich war ich traurig, dass es wieder nicht mit einem internationalen Start geklappt hat.“
WM-Start das große Ziel
Im kommenden Jahr soll es wieder etwas werden mit einem Start im Nationaltrikot bei der WM in Budapest (Ungarn; 19. bis 27. August). Möglichst verletzungsfrei durchtrainieren und geduldig bleiben, bis der Körper bereit ist, einer Vollbelastung standzuhalten. Das sind die Ziele für die angelaufene Saisonvorbereitung.
„Ich arbeite jetzt auch mit Psychologin Tanja Damaske zusammen, vielleicht bringt das noch einmal einen Schritt nach vorne“, so Martin Vogel. „Ich merke, dass ich etwas auf dem Kessel habe. Dass diese 13,47 nicht das Ende der Fahnenstange sein muss. Das möchte ich gern noch zeigen.“
Video: Martin Vogel schiebt sich an der Konkurrenz vorbei
Video-Interview: Martin Vogel: "Wenn ich in dieser Schlabberhose renne, dann gewinne ich das Ding"
Das sagt Bundestrainer Alexander John: |
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Martin bringt sehr viele Voraussetzungen mit, die für den Hürdensprint wichtig sind. Er hat großes Potenzial. Leider konnte er das noch nicht hundertprozentig und auch nicht über eine ganze Saison zeigen. 2021 hatten wir einen guten Schritt nach vorne gemacht. Eigentlich wollten wir 2022 an diese Leistung anknüpfen. Schon in der Hallensaison wurde Martin von Corona ausgebremst. Später konnte deshalb auch das Trainingslager in Clermont erst eine Woche später beginnen. Dort haben wir dann drei Wochen gut trainiert, bis wieder eine kleine muskuläre Verletzung dazwischen kam. Diese hat auch den Saisoneinstand verzögert. Ich war dann froh, dass Martin bei DM einigermaßen gesund am Start stand. Quasi aus dem Nichts hat er eine solide Leistung zu Stande gebracht. Toll, dass es mit dem Titel geklappt hat, aber eigentlich steckt mehr drin als 13,74 Sekunden.
Martin ist ein Vollgasathlet. Beim ihm geht nur Schalter an oder Schalter aus. Er muss es schaffen, im Training auch weniger intensiv zu arbeiten. In den Einheiten, in denen hundert Prozent nötig sind, erreicht Martin diese oft schon nicht mehr, weil er vorher zu viele Prozente verbraucht und übertrieben hat. Dadurch ist die Verletzungsgefahr hoch.
Wenn er das in den Griff bekommt, traue ich Martin noch schnellere Zeiten als seine bisherige PB von 13,47 Sekunden zu. Damit hat er das Potenzial, sich mindestens über das Ranking-System für die WM zu qualifizieren. Ein Ziel ist natürlich auch, den DM-Titel zu verteidigen.