| Neue Meisterin

Skadi Schier – Endlich im richtigen Trainingsumfeld

Zehn Athletinnen und Athleten, die noch nie einen Titel bei Deutschen Hallenmeisterschaften gewonnen haben, standen Ende Februar in Dortmund ganz oben auf dem nationalen Podium. Einige von ihnen sind schon länger Teil der DLV-Spitze, die meisten dagegen neue Gesichter. Wir stellen sie vor. Heute: 400-Meter-Sprinterin Skadi Schier (SCC Berlin).
Jan-Henner Reitze

Skadi Schier
SCC Berlin

Bestleistungen: 

200 Meter: 23,97 sec (2022); 23,69 sec (Halle; 2023)
400 Meter: 54,13 sec (2022); 52,93 sec (Halle; 2023)

Erfolge:

Deutsche Hallenmeisterin 2023

Überzeugung und Konsequenz sind zwei Charaktereigenschaften von Skadi Schier, die sie durch Sonnen- und Schattenseiten ihrer Karriere begleitet haben. Niemals verlor die 23-Jährige dabei ihre Leidenschaft für den Sport und wurde im vergangenen Winter erstmals so richtig dafür belohnt, auch in schwierigen Zeiten dran geblieben zu sein.

Zum Start in ihr erst zweites Jahr auf der 400-Meter-Strecke steigerte sich die Athletin des SCC Berlin in der zurückliegenden Hallensaison bis auf 52,93 Sekunden und holte in Dortmund ihren ersten deutschen Meistertitel. Dass Potential vorhanden ist, deuteten schon Medaillen auf nationaler Ebene in der Schüler- und U20-Zeit an.

Andererseits kämpfte die Sprinterin über Jahre darum, den für sie geeigneten Platz im Leistungssport zu finden. Sie trainierte unter verschiedenen Konzepten in Cottbus und Potsdam. Aber weder Kopf noch Körper ließen sich davon vollständig überzeugen. Die Konsequenz waren Verletzungen, Standortwechsel und Jahre ohne Nachweis des Potentials in den Ergebnislisten.

Feuer für den Sprint früh entfacht

Die Wende begann im vergangenen Jahr, als sich die Modemanagement-Studentin doch davon überzeugen ließ, es mal über 400 Meter zu probieren. Im Training lief es noch immer nicht reibungslos, dennoch fand die Sprinterin Gefallen an dieser Strecke und im Herbst mit Sven Buggel endlich einen Trainer, der zu ihr passt. Obwohl die Zusammenarbeit erst drei Monate andauerte, stellte sich schon im Winter ein echter Leistungsschub ein. An den möchte die gebürtige Brandenburgerin im Sommer anknüpfen und den Anschluss an die internationale Spitze herstellen.

Aufgewachsen ist Skadi Schier in Lübbenau in Brandenburg. Ihr Interesse an der Leichtathletik wurde einerseits in der Schule durch Staffelwettkämpfe oder den Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ geweckt. „Da wurde ich angesprochen, ob ich in einen Verein komme möchte.“ Anderseits war die damalige Grundschülerin von Sprintlegende Usain Bolt begeistert. „Es war einfach toll, mit welcher Ausstrahlung er die Leute unterhalten hat. Das hat mich als kleines Mädel gepackt und in mir das Verlangen geweckt, auch Menschen mit meiner Performance zu begeistern.“

Mit Spaß und einmal die Woche Training begann die damals 10-Jährige bei der TSG Lübbenau ihre Karriere. In der siebten Klasse wechselte sie nach einer Sichtung auf die Sportschule Cottbus. Alle Disziplinen machten ihr Freude, so richtig Feuer entfachte aber der Sprint. „Ich hatte schon damals große Ziele und bin deshalb anderthalb Jahre später auf die Sportschule nach Potsdam gewechselt.“ Dort blitzte das Potential erstmals so richtig auf: Bei den Deutschen Schülermeisterschaften in Köln 2015 lief die damals für den SC Potsdam startende Athletin über 300 Meter in 39,95 Sekunden zu Bronze in der Altersklasse W15.

Trotz Rückschlägen Zielstrebigkeit bewahrt

Obwohl der weitere Erfolgsweg Richtung 400 Meter geplant werden sollte, wollte Skadi Schier danach die 200 Meter in Angriff nehmen und die Unterdistanzleistung ausbauen. Aber die Frage nach der Streckenauswahl sollte erst einmal in den Hintergrund rücken. Denn das Wachstum machte ihr zu schaffen, es verursachte vor allem Rückenschmerzen. „Ich bin teilweise innerhalb eines Jahres 15 Zentimeter gewachsen.“ An Wettkämpfe war nicht zu denken. Mit den Problemen kam auch der Wunsch auf, wieder in die Heimat zurückzukehren. So ging es wieder nach Cottbus und dort zu Trainerin Andrea Schieskow.

Es dauerte, bis die Belastbarkeit wieder hergestellt war und die Leistung langsam zurückkam. 2017 lief die damalige U18-Athletin mit der Staffel des LC Cottbus auf Platz drei bei der Jugend-DM in Ulm (47,87 sec). Als U20-Athletin gelang dann die Rückkehr in die nationale Nachwuchs-Spitze über 200 Meter, unter anderem mit Silber bei der Jugend-Hallen-DM 2018 (24,26 sec) in Halle, der Steigerung der Bestzeit bis auf 23,98 Sekunden sowie Bronze bei der Jugend-DM 2019 in Ulm (24,48 sec).

Nichts geht mehr durch Pfeiffersches Drüsenfieber

Dabei ging es im letzten U20-Jahr schon nicht mehr voran. Ohne Vorwarnung brach die Leistung immer wieder ein, Skadi Schier litt unter Fieberschüben. „Ich habe internationale Wettkämpfe an mir vorbeirauschen sehen.“ Das wurde auch zur mentalen Belastung. Dann wurde endlich der Grund diagnostiziert: Das Epstein-Barr-Virus. „Es hat Zeit in Anspruch genommen, mich davon zu erholen. Meine Familie war in dieser Zeit eine besonders große Unterstützung.“ Im ersten Corona-Jahr 2020 nahm sie an keinem Wettkampf teil.

Die Überzeugung, im Sport etwas erreichen zu können, war aber trotz der verschiedenen Rückschläge ungebrochen. So sah es auch der Potsdamer Trainer Frank Möller, Olympia-Vierter 1988 mit der 4x400-Meter-Staffel, bei dem die Athletin ab dem Sommer 2020 zu alter Stärke zurückfinden wollte. Dieser Versuch wurde 2021 und in der Hallensaison 2022 durch eine Corona-Infektion beziehungsweise zwei Muskelfaserrisse ausgebremst.

Erste Erfolge im Aktivenbereich

Erst im vergangenen Sommer war das einstige Leistungsniveau wieder hergestellt. Über 200 Meter gelang nach vier Jahren im DM-Vorlauf in Berlin in 23,97 Sekunden wieder eine Bestzeit und erstmals der Einzug in ein nationales Finale in der Frauenklasse. Mit einer Bestzeit von 54,13 Sekunden verlief auch die Debüt-Saison über 400 Meter überraschend positiv. „Nachdem ich lange gegen diese Strecke war, hat sie mir dann doch Spaß gemacht.“

Obwohl es sportlich wieder aufwärts ging, war die Erkenntnis gereift, dass auch mit dem Training bei Frank Möller noch immer nicht das optimale Trainingskonzept gefunden war. Einvernehmlich beschloss das Gespann aus Athletin und Trainer, in Zukunft getrennte Wege zu gehen. Mit einem weiteren Neuanfang wollte Skadi Schier ein letztes Mal probieren, doch noch den Durchbruch zu schaffen. Mit dieser Einstellung nahm sie Ende Oktober das Training in der Berliner Trainingsgruppe von Sven Buggel auf. Ihre Wohnung in Potsdam behielt sie.

Neuanfang bringt Leistungsschub

Der Neustart brachte viele Veränderungen im Training. „Das ist viel mehr am Sprint orientiert. Technik spielt eine größere Rolle. Ich habe das Gefühl, vorher noch nie wirklich gesprintet zu sein. Auch im Krafttraining habe ich Muskeln trainiert, die ich entweder noch nie oder zumindest lange nicht benutzt hatte.“ Das brachte schnell Fortschritte, lief aber auch nicht ohne Komplikationen ab. Bei körperlichen Beschwerden ließ Skadi Schier die ein oder andere Einheit weg. „Deshalb waren wir im Vorfeld der Hallensaison auch gar nicht sicher, welche Leistungen möglich sind.“

Wichtig für die Athletin ist auch, dass ihr neuer Trainer seine Methoden ausführlich erklärt. „Ich bin eine Perfektionistin und ohne die Theorie funktioniert die Praxis nicht“, erzählt die Athletin, die neben dem Sport per Fernstudium Modemanagement studiert und zweimal die Woche bei Rewe als Kassiererin jobbt. „Dann kommt schon mal eine Fünf-Minuten-Sprachnachricht, in der Sven mir geduldig für alles Argumente liefert. Diese offene Kommunikation ist für mich eine der wichtigsten Punkte der Zusammenarbeit, die ich sehr schätze.“

Ein großer Gewinn ist auch die leistungsstarke Trainingsgruppe. „Wir unterstützen uns gegenseitig und haben einfach Spaß zusammen.“ Ein Nebeneffekt ist, dass Skadi Schier weniger Druck empfindet, weil die anderen Athletinnen ihrer Gruppe die gleichen leistungssportlichen Ziele verfolgen und sie ihre Gedanken, Erfolge und Sorgen teilen.

DM-Titel als Bestätigung

Der DM-Titel in der Halle ist der erste Lohn dafür, dass die 23-Jährige trotz aller Rückschläge an ihrer Leichtathletik-Karriere festhielt. „Es gibt mir Sicherheit und ist eine Bestätigung dafür, dass ich über Jahre an etwas Realistischem gehangen habe.“ Dass dies schon nach nur drei Monaten Training in Berlin möglich war, nährt aber auch die Hoffnung auf mehr.

Im Sommer möchte Skadi Schier an ihr Leistungsniveau aus der Halle anknüpfen und sich von dort aus möglichst weiter steigern. „Meinen deutschen Meistertitel möchte ich natürlich im Freien verteidigen.“ Auch die erste internationale Meisterschaft ist anvisiert: Neben einem Staffel-Einsatz bei der WM in Budapest (Ungarn; 19. bis 27. August) ist auch die Norm (52,35 sec) für die World University Games in Chengdu (China; 28. Juli bis 8. August) ein Ziel. Im Hinterkopf für die Zukunft ist auch ein Einzelstart bei EM, WM oder Olympia.

„Ich bin voller Selbstvertrauen und die Faszination am Sport hat mich so gefangen, dass ich nicht aufgegeben habe, meine Ziele zu verfolgen. Es lohnt sich, an seine Träume zu glauben. Das möchte ich auch gern jungen Athleten mit auf den Weg geben.“ Bei Sven Buggel hat die 400-Meter-Läuferin endlich den Platz gefunden, an dem sie ihre Überzeugung konsequent in Leistung umsetzen kann.

Video-Interview: Skadi Schier: "Ich wollte das Ding mehr als alles andere"
Video: Skadi Schier krönt starke Hallensaison mit Titel

Das sagt Bundestrainer Jörg Möckel:

Schon in der Vorbereitung auf die Halle hat sich bei Skadi gezeigt, dass ihr Weg endlich eine positive Wendung nimmt. Obwohl sie nicht alle Einheiten mitmachen konnte und immer wieder Schwierigkeiten hatte, ist die Wettkampfsaison störungsfrei verlaufen. Sie hat einen großen Schritt nach vorne gemacht und wurde mit dem deutschen Meistertitel belohnt.

Skadi hat mit ihrer Größe und ihrem Kraftpotential außergewöhnliche körperliche Voraussetzungen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits ahnt sie noch gar nicht, welche Leistungen in ihr stecken. Anderseits ist es eine große Herausforderung, dieses Potential auf die Bahn zu bringen. Es gilt, Stabilität und Belastungsfähigkeit herzustellen und Schritt für Schritt weiterzuentwickeln.

Mit Sven Buggel hat Skadi einen Trainer gefunden, der sehr gut zu ihr passt. Ich bin optimistisch, dass sich ihre Leistung in den kommenden Jahren immer weiter verbessert. Ihre Hallenleistung hat ein Freiluftniveau einer niedrigen 52er-Zeit. Daran gilt es, im Sommer anzuknüpfen und die Entwicklung fortzusetzen.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024