| Interview der Woche

Jana Becker: "Ich muss noch realisieren, dass mein Traum jetzt Wirklichkeit ist"

© Jan Papenfuß
Für gleich zwei Highlights bei der U20-EM in Tampere (Finnland) hat am Sonntag Jana Becker gesorgt. Die Athletin vom Königsteiner LV triumphierte am Abschlusstag mit einem furiosen Finish über 800 Meter und verhalf nur eine Stunde später der deutschen 4x400-Meter-Staffel zu Silber. Im Interview erzählt die 19-Jährige, wie es zum Doppel-Einsatz kam, was sie die vergangenen Jahre gelehrt haben und warum sie in Tampere reif für den großen Coup war.
Svenja Sapper

Jana Marie Becker, herzlichen Glückwunsch: Du hast dir über 800 Meter den Traum vom U20-EM-Titel erfüllt. Ist im Rennen alles genau so aufgegangen, wie du es dir vorher vorgestellt hattest?

Jana Becker:
Ich glaube, man konnte sich gar nicht komplett auf das Rennen einstellen. Über 800 Meter muss man bereit sein, auf das zu reagieren, was die Gegnerinnen machen. Ich hatte mich im Vorfeld mit meinem Coach [Benjamin Stalf; Anm. d. Red.] auf alle Optionen eingestellt: auf ein schnelles Rennen, oder auch auf ein taktisches. Man muss die Felder lesen und schauen, was man in diesen Rennen bekommt. Das habe ich heute perfekt hinbekommen: Ich bin ziemlich lang Ideallinie gelaufen, habe mich innen bedeckt gehalten und wusste, dass es nur auf die letzten 100, 120 Meter ankommt. In der Kurve bin ich dann nach außen gegangen, das war auch wichtig, damit ich den Schwung aus der Kurve raus mitnehmen konnte. 

Beim Klang der Glocke lagst du auf Rang drei, auf der letzten Gegengeraden haben dann einige Gegnerinnen das Tempo verschärft – eine Schlüsselszene …

Jana Becker:
Ich dachte einfach: Jana, nimm deine Beine in die Hand und renn! Es ist egal, wenn jetzt Leute vorbeigehen, die Zielgerade kommt noch, da kann man immer noch Plätze gutmachen. Ich hatte ja die ganze Zeit Anschluss nach vorn, also wusste ich: Es ist alles möglich. Daher habe ich versucht, alles in die letzten 100 Meter zu packen, die ganze Power, die ganzen letzten Wochen Training, die ganze harte Arbeit. Alles, was ich mir für heute vorgenommen hatte.

Du zähltest schon im Vorfeld der Meisterschaften zu den Favoritinnen über 800 Meter und hast dich auch im Vorlauf sehr souverän präsentiert. Wie groß war der Druck vor dem Finale?

Jana Becker:
Es ging eigentlich. Ich war den ganzen Tag über relativ locker und habe versucht, das auch mit ins Warm-up zu nehmen. Ich brauche die Lockerheit. Sobald ich im Callroom bin, bin ich total in meinem Modus und voll fokussiert. Druck kann pushen, aber auch hemmen, deshalb habe ich versucht, mir so wenig Druck wie möglich zu machen. Ich wollte mich selbst stolz machen, meine Familie, meinen Coach, alle, die mich auf meinem Weg unterstützt und ihren Teil dazu beigetragen haben. Das hat eher beflügelt.

Nur eine Stunde nach dem 800-Meter-Finale standest du über 4x400 Meter wieder auf der Bahn. Wie kam es dazu?

Jana Becker:
Ich habe heute Morgen erfahren, dass eventuell nach dem 800-Meter-Finale noch ein Staffelstart ansteht. Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass mein Fokus erst mal auf den 800 liegt und ich mich danach dann auf den Staffel-Einsatz einstelle. Nachdem ich den Titel gewonnen hatte, hatte ich so viel Adrenalin, dass ich das mit in die Staffel genommen habe und alles für die Mädels geben wollte. Ich bin einfach überglücklich und wir können stolz auf uns sein.

Zwei Rennen in so kurzer Zeit – eine Herausforderung für den Körper. Wie haben sich deine Beine nach der kurzen Regenerationszeit im Staffelrennen angefühlt?

Jana Becker:
Um ehrlich zu sein, habe ich meine Beine gar nicht gespürt, das lag sicher am Adrenalin. Die Physios haben nach dem 800-Meter-Lauf einen super Einsatz geleistet. Ich durfte mich hinlegen, sie haben meine Beine kalt abgeschrubbt und mich super vorbereitet. Ich dachte mir: Ich bin Europameisterin über 800 Meter, ich habe auf jeden Fall die allerbeste Ausdauer aller Schlussläuferinnen hier! Ich kann 4x400 Meter laufen, das haben wir letztes Jahr in Lima gesehen, es war also kein Neuland für mich. Das alles hat mich um die Bahn getragen.

Die letzten 200 Meter des Staffelrennens waren fast wie ein Déjà-Vu: Wie im 800-Meter-Finale hast du deinen Kick ausgepackt und bist an den Konkurrentinnen vorbeigestürmt. Wie hast du den Moment erlebt, als du über die Ziellinie gelaufen bist und klar war, dass ihr zusammen eine Medaille gewonnen habt?

Jana Becker:
Das war unfassbar toll. Es war von Anfang an mein Ziel, die Medaille ins Ziel zu laufen. Marco [Staffel-Trainer Marco Kleinsteuber; Anm. d. Red.] hat mich schon vorher darauf eingestellt, dass ich wahrscheinlich relativ weit vorne den Stab bekommen werde und dann einfach versuchen soll, die Medaille klarzumachen. Gleichzeitig war ich natürlich auch etwas erleichtert, dass ich das jetzt so auf die Bahn bringen konnte.

Jetzt stehst du als zweifache Medaillengewinnerin hier. Wie lange wird es dauern, bis das in deinem Kopf angekommen ist?

Jana Becker:
Es ist einfach unglaublich. Wenn ich mir diese Meisterschaft hätte erträumen können, dann wäre genau das herausgekommen. Es ist unfassbar krass, dass dieser Traum jetzt Wirklichkeit geworden ist, und ich kann es nicht in Worte fassen. Das muss ich sicher noch ein paar Tage realisieren. Das ist die Belohnung für die Jahre seit meiner letzten internationalen Medaille.

Es ist drei Jahre her, dass du bei der U18-EM in Jerusalem mit Silber über 800 Meter deine erste internationale Medaille gewonnen hast. Danach hast du deine Bestzeiten stetig gesteigert, musstest aber bei internationalen Meisterschaften auch Rückschläge hinnehmen – heute ist dann alles zusammengekommen. Wie viel Arbeit, wie viele Tränen stecken in dieser Goldmedaille?

Jana Becker:
Unfassbar viel Arbeit und viel Geduld und Vertrauen in das, was ich täglich in das Training investiere. Jedes Rennen, das ich gemacht habe, hat irgendwie dazu beigetragen, dass ich heute die Goldmedaille gewonnen habe. Auch wenn in den letzten Jahren nicht alles so lief, wie ich es mir erhofft habe, muss ich sagen, dass jede einzelne Erfahrung so unglaublich wertvoll war. Wir haben vor dem Finale gesagt, dass ich eine der erfahrensten Läuferinnen in diesem Feld bin. Das konnte ich natürlich auch ausspielen.

Wenn du noch einmal drei Jahre zurückblickst: Wie viel hat sich seither für dich verändert – wie hast du dich verändert?

Jana Becker:
Die letzten Jahre haben mich unfassbar geprägt. Ob es Niederlagen waren wie bei der U20-EM in Jerusalem oder der verpasste 800-Meter-Start bei der U20-WM im letzten Jahr – daran bin ich so viel gewachsen, das hat mir so viel mentale Stärke verliehen. Körperlich bin ich die letzten Jahre auch viel stärker geworden, wir haben mich ausdauertechnisch und auch von der Schnelligkeit her weiterentwickelt. Ich bin viel stabiler geworden. Auch mein Umfeld habe ich mir optimal aufgebaut, das ganze Team, was dahintersteckt. Dazu gehört mein Coach Benni, ich arbeite seit neuestem auch mit einem Mentalcoach zusammen. Das sind alles Faktoren, die man über die Jahre perfektioniert, und das hat alles heute seinen Teil dazu beigetragen, dass ich diesen Titel gewinnen konnte.

Schon vor der U20-EM stand eigentlich fest: Das ist dein Jahr. Du hast in dieser Saison so viele Rennen auf konstant hohem Niveau bestritten wie noch nie. Ob als Deutsche Hallenmeisterin bei den Frauen oder in Silber-Label-Meetings wie zuletzt beim ISTAF in Berlin gegen erfahrene und starke Konkurrenz. Wie viel konntest du daraus für die U20-EM lernen?

Jana Becker:
Das war ein ganz wichtiger Faktor. Wir haben im Vorfeld gesagt: Die Gegnerinnen, gegen die ich heute laufe, sind unfassbar stark. Aber es sind keine Gegnerinnen dabei, die ich in dieser Saison nicht schon geschlagen hätte. Ich habe ja bewusst in den letzten Wochen viele Rennen gemacht, in denen ich gegen starke internationale Konkurrenz laufe und mich hintenraus durchsetzen muss. Ich konnte immer auf der Zielgeraden gut mitfighten, egal ob ich gegen Majtie [Kolberg; Anm. d. Red.] gelaufen bin oder gegen andere starke Athletinnen. Das hat mir für heute unglaublich viel gebracht. Dass ich diesen Schritt dieses Jahr schon gegangen bin mit den internationalen Rennen, war perfekt – und zugleich die optimale Vorbereitung auf den Übergang in die U23, der nächstes Jahr ansteht. Besser hätten wir das Jahr nicht planen können.

Wie geht es nach der U20-EM für dich weiter – ist die Saison beendet oder steht noch ein Rennen an?

Jana Becker:
Jetzt wird erst mal ein bisschen gefeiert. Die nächste Woche werde ich ruhig angehen, und dann habe ich tatsächlich noch mal vor, am 20. August in Pfungstadt zu laufen. Das ist ja sozusagen mein „Wohnzimmer“ direkt um die Ecke, da soll noch mal ein richtig schnelles Rennen auf die Bahn gebracht worden. Vielleicht geht es ja schon in Richtung EM-Norm für nächstes Jahr [1:59,80 min]. 

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