In diesem Jahr erwies sich Stuttgart als Hochburg der deutschen Kugelstoß-Talente. Zu diesem Schluss kommt man unweigerlich, wenn man die Erfolge der dort trainierenden Athletinnen und Athleten betrachtet. Gleich vier internationale Medaillen räumten die Schützlinge von Trainer Artur Hoppe innerhalb eines Monats ab. Die größte Stärke der Wurf- und Stoß-Trainer am Bundesstützpunkt Stuttgart ist eine ganz besondere Zusammenarbeit.
Es war ein erfolgreiches Jahr für die deutschen Nachwuchs-Kugelstoßerinnen und -stoßer. Im Juli sorgten Tizian Lauria und Eric Maihöfer (beide VfL Sindelfingen) bei der U23-EM in Espoo (Finnland) mit einem Doppelsieg für Begeisterung. Wenige Wochen später holte U18-Talent Kelson de Carvalho (LG Steinlach-Zollern) Bronze beim Europäischen Olympischen Jugendfestival (EYOF) in Maribor (Slowenien). Und bei der U20-EM in Jerusalem (Israel) gingen gleich vier Medaillen, darunter zwei aus Gold, aufs Konto der DLV-Talente. Herausragend präsentierte sich vor allem Nina Ndubuisi (SG Schorndorf), die ihr vier Kilogramm schweres Arbeitsgerät auf 17,97 Meter wuchtete.
Was dieses talentierte Quartett verbindet? Alle trainieren am Bundesstützpunkt Stuttgart unter Trainer Artur Hoppe. Der 35-Jährige betreut eine starke Trainingsgruppe, der neben den Genannten auch der WM- und Olympia-Teilnehmer im Diskuswurf David Wrobel (VfB Stuttgart) und Kugelstoßer Silas Ristl (LAC Essingen) angehören. Darüber hinaus lassen sich andere Kugelstoß-Asse, darunter die WM-Zehnte Yemisi Ogunleye (MTG Mannheim), beim Technik- oder Krafttraining von Artur Hoppe beraten. Hoppe, einst selbst Kugelstoßer, gelang es, seine Schützlinge pünktlich zum Saisonhöhepunkt in Top-Form zu bringen.
Trainerlaufbahn dank eigenem Coach
Als Trainer profitiert der Baden-Württemberger von den Erfahrungen seiner aktiven Karriere – wenngleich er manche Erlebnisse eher als „Erfahrungen, wie man es nicht macht“, verbucht. „Ich habe viel falsch gemacht als Athlet“, reflektiert er, „vor allem trainingstechnisch. Ich denke, der Vorteil, den meine Athleten mit mir haben, ist, dass ich schon vieles ausprobiert habe.“ In seiner Jugend war der heutige Bundesstützpunkttrainer auch ein guter Diskuswerfer, gewann Silber beim EYOF 2005 in Lignano (Italien) und wurde Sechster bei der U20-EM zwei Jahre später in Hengelo (Niederlande).
Später setzte er auf das Kugelstoßen, wurde jedoch häufig von Verletzungen ausgebremst. Artur Hoppe praktizierte selbst die Drehstoßtechnik, die er vom 2022 verstorbenen „Drehstoß-Papst“ Rolf Oesterreich erlernte. Nun gibt er sein Wissen an seine Athletinnen und Athleten weiter, die Trainingsgruppe besteht ausschließlich aus Drehstoßern. „Ich würde auch einen Angleiter trainieren“, meint der Coach, „aber beim Drehstoß besitze ich das größere Know-how. Fürs Angleiten gibt es andere Trainer, die mehr Erfahrung mitbringen.“ Mit Alina Kenzel (VfL Waiblingen), die ebenfalls in Stuttgart trainiert, unterstützt er eine Angleiterin im Krafttraining.
Coach von Alina Kenzel ist der Mann, der einst auch Artur Hoppe unter seinen Fittichen hatte – und für den heute 35-Jährigen vom Trainer zum Mentor und schließlich zum Kollegen wurde: Peter Salzer. Er war es, der Artur Hoppe an den Trainerberuf heranführte, als sich der damals noch aktive Athlet in einer Verletzungsphase befand. „Peter wollte mich bei Laune halten und hat mich ermutigt, trotzdem in die Halle zu kommen und ihm zu helfen“, erzählt Artur Hoppe. So betreute er zunächst Diskuswerfer Michael Salzer mit, den Sohn seines Trainers und späteren erfolgreichen Bob-Anschieber. Damit war der Grundstein für die Trainerlaufbahn gelegt.
Vier Coaches, eine Mission
Zwar hatte Artur Hoppe auch eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker abgeschlossen. „Aber ich wusste, dass ich das nicht mein Leben lang machen will.“ Die Freude am Trainerberuf war geweckt, sodass er, statt seinen Meister zu machen, Trainerlizenzen ablegte. Seine letzten Wettkampf-Stöße absolvierte der Sindelfinger 2015, ein Jahr später übernahm er mit dem mittlerweile mehrmaligen Deutschen Meister Simon Bayer (VfL Sindelfingen) seinen ersten Athleten, den er fünf Jahre lang betreute und zu einem 20-Meter-Stoßer formte.
Inzwischen trainiert Simon Bayer bei Artur Hoppes Kollegen Markus Reichle, der auch das Training eines weiteren erfolgreichen Nachwuchs-Kugelstoßers leitet: Lasse Schulz (TV Plieningen), wie Nina Ndubuisi Goldmedaillengewinner der U20-EM. Markus Reichle, zugleich stellvertretender Geschäftsführer des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes (WLV), ist ebenfalls ein früherer Schützling von Peter Salzer, ebenso wie die weitere Stuttgarter Wurftrainerin Carolin Streipart. Alle Coaches arbeiten Hand in Hand.
„Diese Zusammenarbeit ist unsere größte Stärke“, meint Artur Hoppe. „Wir haben alle einen anderen Hintergrund: Markus ist eigentlich Lehrer, Peter kommt aus der Biomechanik, ich habe Kfz-Mechatroniker gelernt. Jeder hat einen anderen Blick darauf, obwohl die Herangehensweise ähnlich ist.“ Peter Salzer sitzt ihm im Büro genau gegenüber und steht daher auch immer mit Rat und Tat zur Seite. Einmal im Monat sitzen alle vier Trainer zusammen und tauschen sich aus. Neue Ideen und Erkenntnisse werden geteilt und diskutiert. Gelegentlich vertreten sie sich auch gegenseitig.
Von den Schützlingen mittlerweile übertrumpft
Im Training nimmt Artur Hoppe ab und an noch selbst die Kugel in die Hand. „Solange ich noch fit bin, mache ich gerne auch Sachen mit oder vor“, erzählt er. Messen lässt er die Stöße jedoch schon lange nicht mehr. Seine Bestleistung aus seiner aktiven Zeit steht bei 19,64 Metern, erzielt im Dezember 2010 unter dem Hallendach. Diese Weite haben alle seine Athleten mittlerweile übertroffen. Zuletzt überbot Tizian Lauria als Zweiter der Deutschen Meisterschaften in Kassel (19,65 m) und anschließend als U23-Europameister mit 19,80 Metern die Bestmarke seines Trainers.
„Dass das so schnell geht, hätte ich auch nicht gedacht“, meint Artur Hoppe. Eine Belohnung dafür hatte er für seine Schützlinge nicht ausgelobt. „Aber Sticheleien gab es schon. Es war der Ansporn, den Trainer mal zu schlagen.“ Nun müssen sich die Athleten andere Ziele setzen. Mit Simon Bayer schuftet am Bundesstützpunkt auch ein Athlet, dessen Bestweite von 20,51 Metern für die U23-Asse nicht mehr allzu weit entfernt ist. „Es gibt ja auch noch baden-württembergische und deutsche Rekorde“, sagt Artur Hoppe und vermutet: „Sie werden sich gegenseitig hochpushen.“
Freudenschreie vor dem Livestream
Das glückte Tizian Lauria und Eric Maihöfer, gemeinsam mit dem DLV-Teamkollegen Xaver Hastenrath (LAV Bayer Uerdingen/Dormagen), der Vierter wurde, bei der U23-EM in Espoo optimal. Artur Hoppe erlebte den Doppel-Triumph vor dem Livestream mit. Er hatte sich frühzeitig dagegen entschieden, seine Schützlinge zu den internationalen Meisterschaften zu begleiten. „Wenn ich mit einer Person mitgefahren wäre, hätte ich die restlichen Athleten allein lassen müssen, die noch im Training waren.“
So saß er stattdessen in Trainingspausen mit den Kollegen und der restlichen Trainingsgruppe vor dem Livestream und fieberte mit. „Ich habe ein bisschen rumgeschrien und danach ganz normal weitergearbeitet“, berichtet er mit einem Schmunzeln. Das Coaching vor Ort übernahmen die begleitenden DLV-Trainer, die Zusammenarbeit klappte optimal. In Espoo war Bundestrainer Kugelstoßen Wilko Schaa für die Kugelstoßer verantwortlich, Nina Ndubuisi wurde in Jerusalem von Nachwuchs-Bundestrainer Christian Sperling betreut.
„Wir haben diesen Schritt vorbereitet“, sagt Artur Hoppe. Bereits in den Trainingslagern vor dem Saisonhöhepunkt, beispielsweise im Frühjahr in Albufeira (Portugal), gab er das Coaching zeitweise an die Bundestrainer ab, damit sich seine Schützlinge gut auf deren Anweisungen einstellen konnten. „Das war die richtige Entscheidung.“
Kugelstoß-Truppe als zweite Familie
Artur Hoppe kennt die Kugelstoß-Talente in und auswendig. Das Training von Tizian Lauria und Eric Maihöfer leitet er bereits seit rund fünf Jahren. Kelson de Carvalho begleitet der 35-Jährige seit drei Jahren als Bundesstützpunkt- und seit einem Jahr als Heimtrainer. Und auch Nina Ndubuisi kennt er bereits seit ihrem zwölften Lebensjahr. Die Musterschülerin studiert allerdings seit einigen Wochen an einem College in Texas, ist jedoch mit ihrem Stuttgarter Heimtrainer immer noch in engem Austausch.
„Wir verbringen alle viel Zeit miteinander“, betont Artur Hoppe. „Die Trainingsgruppe ist wie meine zweite Familie. Meine Athleten sehen mich öfter als ihre Eltern oder Freunde. Und ich sehe sie häufiger als meine Frau. Nach so langer Zeit weiß ich, was sie brauchen.“
Eric Maihöfer beispielsweise brauchte vor der U23-EM einige Gespräche mit seinem Coach. „Mit ihm habe ich viel gesprochen und ihn darin bestärkt, dass er weiß, was er kann“, sagt Artur Hoppe. „Ihm muss man Sicherheit vermitteln.“ Ganz anders verhielt es sich bei Tizian Lauria. „Er hat eher mir gesagt: ‚Coach, entspann dich, ich mache das schon.‘“
Olympia-Traum als Trainer verwirklichen
Nina Ndubuisi gab der 35-Jährige mit auf den Weg nach Jerusalem, dass sie konzentriert bleiben solle. Der Jüngste im Bunde, U18-Talent Kelson de Carvalho, war vor seiner Abreise nach Maribor ziemlich nervös. „Bei Kelson war es das Wichtigste, ihm zu vermitteln, dass er seine allererste Meisterschaft genießen und Spaß haben soll, statt sich unter Druck zu setzen.“ Der 17-Jährige ist laut seinem Coach eigentlich im Diskuswurf noch talentierter, die Medaille in der Zweitdisziplin daher eine schöne Zugabe.
Artur Hoppe hat noch Großes vor mit seinen Schützlingen. „Als Athlet wollte ich Olympia-Gold holen, und das will ich auch als Trainer. Das ist doch das Ziel von jedem, der sich tagtäglich im Training quält. Und dieses Ziel verfolge auch ich immer noch, jetzt eben von der anderen Seite aus.“ Bei so viel Talent in seiner Trainingsgruppe hat Artur Hoppe für dieses Unterfangen jedenfalls einige heiße Eisen im Feuer.