| Interview der Woche

Julian Weber: „Weil sich die Leute mit mir freuen, ist es noch schöner“

© Helge Schwarzer
Er hat so lange darauf hingearbeitet und war viele Jahre so nah dran. Am Freitag in Doha (Katar) war er endlich fällig – der erste 90-Meter-Wurf von Julian Weber (USC Mainz)! Wir haben mit dem Speerwerfer über diesen „magischen Moment“ gesprochen und mehr erfahren darüber, wie der 30-Jährige ihn erlebt hat, mit wem er ihn teilen konnte, was er ihm bedeutet und warum er dafür in die Schuhe einer Teamkollegin schlüpfen musste.
Silke Bernhart

Julian Weber, herzlichen Glückwunsch zum Wurf in den 90-Meter-Club! Man sieht in Videos, dass Sie schon gejubelt haben, als der Speer noch in der Luft war. Haben Sie wirklich in dem Moment gewusst: Das war er jetzt?

Julian Weber:
Auf diesen Moment habe ich so lange gewartet! Auf einen Wurf, bei dem ich merke: Genau das ist es. Und das war der Moment, das merkt man dann sofort. Viele Leute, die das Video gesehen haben, haben kommentiert, dass es für sie ein Gänsehautmoment war. Und das war er für mich auch. Ich selbst habe mir das Video schon hundert Mal angeschaut und bin immer wieder kurz vor den Tränen. Es war ein sehr emotionaler Moment! Und einfach ein geiles Gefühl. Ich will jetzt nicht zu theatralisch werden, aber nach so vielen Jahren, nach so vielen Schmerzen, durch die man gegangen ist, war das jetzt schon etwas ganz Besonderes.

Sie sprechen den Zuspruch der Fans an. Auch wir können auf den sozialen Medien mitverfolgen, dass es unglaublich viele Menschen gibt, die Ihnen diesen Erfolg von Herzen gönnen. Wie erleben Sie das gerade?

Julian Weber:
Das nehme ich auch so wahr, und das macht mich mega glücklich. Weil sich die Leute mit mir freuen, ist es noch schöner. That’s what it’s all about – das ist es, worum sich alles dreht. Ich freue mich nicht nur für mich, sondern auch darüber, dass ich den Leuten diesen Moment geben konnte.

Irgendwie hat sich der Wettkampf in Doha genau auf diesen Showdown zugespitzt: Olympiasieger Neeraj Chopra aus Indien wirft im dritten Versuch zum ersten Mal 90 Meter. Und dann stehen Sie für Ihren sechsten Versuch am Anlauf, nach Bestleistung von 89,84 Metern im fünften Wurf. Und stehen unter Zugzwang?

Julian Weber:
Ich habe mir da gar keinen Druck gemacht. Es hat einfach nur unfassbar viel Spaß gemacht, wieder einen Wettkampf zu bestreiten. Die Stimmung war geil und ich habe mich gut gefühlt. Ich hatte ja schon eine krasse Serie hingelegt. Klar habe ich gewusst, dass noch mehr geht, wenn ich den Speer noch ein bisschen besser treffe. Es dann im letzten Versuch genauso umzusetzen, wie ich es mir vorgestellt habe, war perfekt. Neeraj Chopra und ich kennen uns so lange, wir verstehen uns richtig gut und gönnen uns das gegenseitig. Dass er jetzt auch die 90 Meter geschafft hat, hat das Ganze nur noch magischer gemacht.

Mit wem konnten Sie Ihre Freude in dem Moment in Doha teilen?

Julian Weber:
Es war schade, dass mein Coach Burkard Looks nicht dabei war. Boris Obergföll hat mich betreut, wir waren vorher zusammen im Trainingslager in Belek, auch Max Dehning war dabei, wir haben uns die ganze Zeit sehr gut verstanden. Ich war auch euphorisch, die anderen Speerwurf-Kollegen wiederzusehen, sie sind mittlerweile Freunde geworden. Sie haben gesehen, dass ich gut drauf bin, und haben vor den letzten Versuchen richtig mit mir mitgefiebert. Ich kann mich an Walcott, Peters und Chopra erinnern, die mir vor dem letzten Versuch gesagt haben: „Go get 'em!“ – "Hol' sie dir!"

Ihre Leistung war eine mit Ansage: Sie haben schon im Vorfeld der Saison in Interviews mitgeteilt, dass Sie in sehr guter Verfassung sind und bereit für die 90 Meter… Hat sich dieser Wurf für Sie angebahnt?

Julian Weber:
Hätte ich vor drei Jahren die 90 Meter geworfen, dann hätte man dasselbe fragen können (lacht). Es ist einfach eine große Erleichterung, weil ich schon lange weiß, dass ich das draufhabe. Daher ist auch eine Art Genugtuung dabei, jetzt endlich zum elitären 90-Meter-Kreis zu gehören.

Dabei lief es unmittelbar vor dem Saisoneinstieg alles andere als optimal. Was war da los?

Julian Weber:
Ich hatte einige Probleme, mit einem gezogenen Zahn und einem Magen-Darm-Virus. Ich habe drei Wochen im Bett gelegen. Das zog sich bis eine Woche vor dem Saison-Einstieg, daher war ich auch nur eine Woche im Trainingslager statt der geplanten zwei. Und dann habe ich in Belek auch noch gemerkt, dass ich die falschen Speerwurf-Schuhe mitgenommen habe… Die waren eine Nummer zu klein. Glücklicherweise hat eine Trainingskollegin, die auch im Trainingslager mit dabei war, meine Schuhgröße: Mirja Lukas. Sie hat mir ausgeholfen. Die Schuhe behalte ich jetzt und schicke ihr neue!

Wirkt sich der Ausfall in der Vorbereitung auf die weitere Saisonplanung aus?

Julian Weber:
Den Wettkampf habe ich gut vertragen, obwohl ich ja sechs gute Versuche hatte, in die ich voll reingegangen bin. Ich freue mich jetzt einfach darauf, weiter zu trainieren, weiter Gas zu geben und darauf aufzubauen. Am Freitag starte ich bei einem Meeting in Polen in Chorzów, danach bin ich am 1. Juni in Offenburg am Start. Da ist dann auch die Familie dabei.

… und die deutschen Fans können Sie mal wieder werfen sehen! Auf den sozialen Medien haben Sie mittlerweile eine große Reichweite aufgebaut.

Julian Weber:
Und jetzt habe ich auch noch mit YouTube [Zum Kanal: "Julian Weber: Beyond the line"] angefangen. Das ist richtig cool, das komplettiert das Ganze. Der Videograf war in Doha auch mit dabei! Die erste Episode ist jetzt raus, in der zweiten wird ein Tag im Trainingslager dokumentiert, auch mit einer richtig guten Speerwurf-Einheit. Und die dritte Episode zeigt dann das Diamond League-Meeting in Doha. Da kann man das noch mal komplett verfolgen, das wird, glaube ich, richtig gut!

Lassen Sie uns noch einen Blick voraus werfen, denn wir befinden uns ja erst am Anfang einer langen Saison, an deren Ende die WM in Tokio steht. Bei internationalen Höhepunkten mit Erwartungsdruck zu starten, sind Sie gewohnt. Ändert Ihr 90-Meter-Wurf für Sie etwas an dieser Situation?

Julian Weber:
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen. Natürlich habe ich jetzt erstmal eine Hausmarke stehen. Aber ich hoffe nicht, dass jeder von mir nun 90-Meter-Würfe am Fließband erwartet. Ich hoffe, dass die Leute das einordnen und relativieren können. Im Moment fühlt es sich für mich eher an wie eine Befreiung und eine Erleichterung. Dass mir die 90 Meter Druck genommen haben und dass ich mich jetzt noch mehr auf mich, auf die Vorbereitung und auf den Weg zur WM konzentrieren kann.

Mehr:
91,06 Meter – Julian Weber haut zum Auftakt Bestleistung raus

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