| Interview der Woche

Merlin Hummel: „Es beginnt eine neue Ära“

© Jan Papenfuß
Zum Saisonauftakt über 80 Meter: Hammerwerfer Merlin Hummel (LG Stadtwerke München) übertraf bei den Halleschen Werfertagen erstmals die magische Marke, die seit 18 Jahren kein deutscher Athlet mehr überbieten konnte. Nach diesem denkwürdigen Wettkampf sprachen wir mit dem 23-Jährigen über seinen Saisonauftakt, sein Trainingslager in Kroatien mit anschließender "Blaupause" und den Beginn einer neuen Ära.
Sandra Arem

Merlin Hummel, herzlichen Glückwunsch zu diesem „Hammer“-Auftakt. Ist es nicht gleichzeitig auch etwas beängstigend, zu diesem Zeitpunkt bereits über 80 Meter zu werfen?

Merlin Hummel:
Es war schon im Training beängstigend zu sehen, dass es auf jeden Fall in diese Richtung geht. Das war keine Leistung, die ich auf gar keinen Fall erwartet hätte. Sie hat sich schon angekündigt – und dann war es für mich fast ein wenig zu schön, um wahr zu sein. Vor knapp vier Wochen sind wir aus dem Trainingslager gekommen. Dort lief es richtig gut, alles perfekt sowie die Technik auf den Punkt. Nach der Rückkehr ging erstmal gar nichts. In dieser Zeit hieß es: Nerven bewahren und diese Phase als Chance zu sehen. Ich habe noch kleinere Verbesserungen vornehmen können – das Ergebnis hat sich jetzt im Wettkampf gezeigt.

In welchen Bereichen haben Sie mit Ihrem Trainer an den Stellschrauben gedreht?

Merlin Hummel:
Insbesondere an der Technik. Uns ging es darum, die schweren Geräte weit zu werfen – und das mit der richtigen Technik. Das Interessante ist, dass ich mich beim Hammerwerfen immer mehr in einen Zen-Modus begebe. Du musst wirklich eins mit dem Hammer werden. So blöd, wie es sich auch anhören mag: Der Hammer muss mit wenig Kraft richtig weit fliegen, und daran haben wir gearbeitet.

Das hat dann im zweiten und dritten Versuch richtig gut funktioniert. Der Hammer flog in der Spitze auf 80,11 Meter. Sicherlich ein Auftakt nach Maß?

Merlin Hummel:
Ich fand den Wurf nach meinem 80er sogar noch besser. Der wäre vielleicht sogar noch weiter gewesen, der ist besser durchgekommen. Nur war er leider ungültig. Das sind Würfe, bei denen ich merke, dass ein Riesenpotenzial da ist. Es waren trotzdem zwei Würfe über 79 Meter sowie ein 80er. Das war schon mega.

Hat zu diesen Top-Weiten auch die enorm starke Konkurrenz beigetragen?

Merlin Hummel:
Auf jeden Fall! Halle hat wirklich ein krasses Feld geboten. Es war letztes Jahr schon geil, aber dieses Jahr gab es drei Leute, die über 80 Meter geworfen haben, und die haben sich die ganze Zeit gebattled. Der US-Amerikaner Rudy Winkler war immer nah an meiner Weite dran. Ich habe die 79 Meter geworfen, dann war er zehn Zentimeter hinter mir. Dann habe ich die 80,11 Meter vorgelegt und er ist mir wieder nähergekommen. Gerade nach dem Jetlag ist das eine Hammer-Leistung von ihm. Man konnte sich gut batteln, und das pusht einem natürlich immens.

Zur Ihrer Top-Weite von 80,11 Metern zählt auch ein weiteres Detail: Nach 18 Jahren sind Sie der erste deutsche Hammerwerfer, der wieder über 80 Meter geworfen hat. Wussten Sie im Vorfeld davon, dass der letzte deutsche 80-Meter-Wurf so weit zurückliegt?

Merlin Hummel:
Das war mir nicht bewusst. Ich habe es tatsächlich hier das erste Mal gehört. 18 Jahre? Das ist schon krass lange. Es beginnt jetzt eine neue Ära – und ich bin sehr glücklich, dass ich diese mit diesem Wettkampf ein wenig anstimmen konnte. Ich hoffe, dass wir in Deutschland bei zukünftigen Wettkämpfen ohne internationale Starter so ein solides Niveau wieder sehen. Nicht nur bei mir, sondern bei allen so ein bisschen im Durchschnitt. Nicht, dass ich der Einzige bin, der da komplett heraussticht. Ich gehe jetzt mit Stolz voran – und das freut mich sehr.

Sie waren im Trainingslager in Kroatien. Und hatten erwähnt, dass sich diese Topweite dort schon angekündigt hat. In welcher Phase?

Merlin Hummel:
Jetzt kann ich es ja sagen: Am letzten Tag habe ich dort schon die 80 Meter geworfen. Da haben mir die Würfe aber noch nicht so gefallen. Dazu kamen einige Würfe im Bereich der 78 und 79 Meter, was schon auf ein sehr gutes Niveau hindeutete. Anschließend kam diese zweiwöchige Blaupause, in der erstmal gar nichts ging, in den letzten zwei Wochen hat es sich glücklicherweise wieder einbalanciert.

Worauf lässt sich diese Blaupause zurückführen?

Merlin Hummel:
Vielleicht auf einen "Overload" – vom entspannten Kroatien ins wechselhafte Deutschland. Manchmal ist es so. Es kann perfekt laufen, aber dann kann es wiederum ein oder zwei Wochen geben, wo gar nichts funktioniert. Das macht auch die Profis aus, die sehen darin eine Chance, besser zu werden.

Zugleich haben Sie die WM-Norm abgehakt. Ein beruhigendes Gefühl, oder?

Merlin Hummel:
Natürlich. Bei der WM in Tokio will ich angreifen. Jetzt kann ich die Wettkämpfe genießen. Es ist auch noch extrem lang hin bis zur WM [Anm. d. Red: 13. bis 21. September], da kann man nochmal komplett in die Vorbereitung gehen. Wir werden bis dahin noch ein paar internationale Meetings mitnehmen. Vielleicht komme ich mit meinen 80 Metern sogar in das eine oder andere Diamond League Meeting rein. Ich will auch Erfahrungen sammeln, indem ich eine Stresswoche einbaue oder spezielle Wettkämpfe mitmache. Einen davon werde ich in Budapest bestreiten. Dort ist es immer relativ heiß. Ich komme mit diesen Temperaturen nicht so zurecht, und es geht darum zu lernen, dass man auch bei diesen Extremzuständen Leistung abliefern kann.

Was bedeutet Stresswoche?

Merlin Hummel:
Zwei, drei Wettkämpfe in einer Woche. Das hat [Olympiasieger] Ethan Katzberg im vergangenen Jahr ebenfalls gemacht. Für ihn war damals der Wettkampf in Halle der dritte innerhalb von einer Woche – und er hat trotzdem nochmal 80 Meter geworfen.

Welche Weite trauen Sie sich im Saisonverlauf noch zu?

Merlin Hummel:
Es ist auf jeden Fall noch mehr Potenzial vorhanden. Wir haben noch nicht einmal ein wirkliches Schnellkrafttraining durchgemacht, sondern nur so ein wenig angeteasert. Dort sehe ich noch sehr viel Potenzial. Das Hauptding ist die Technik. Schaffe ich es, diese Stille, Entspanntheit und Lockerheit aus dem Training in den Wettkampf mitzunehmen, bei 110 Prozent mit Adrenalin im Wettkampf, dann kann da noch ordentlich was kommen.  

Nach dem Wettkampf in Halle wurden Sie von Autogrammjägern regelrecht umlagert. Ein Genussmoment?

Merlin Hummel:
Das gehört einfach dazu – und wird von Jahr zu Jahr immer mehr. Ich genieße das sehr, auch wenn ich den Wettkampf noch mehr genossen habe. Aber ich mache das mittlerweile auch sehr gerne, die Interviews, selbst wenn meine Stimme kaum noch vorhanden ist, weil ich zuvor im Ring so viel geschrien habe. Das alles war einfach mega und wird für immer in meinem Kopf bleiben.

Wie sieht die weitere Wettkampfplanung aus?

Merlin Hummel:
Für mich gibt es Anfang Juni den ersten Stresstest mit einem Silber-Meeting in Bergen [Norwgen: Trond Mohn Games; 3. Juni]. Drauf folgt das Hammerwurf-Meeting in Fränkisch-Crumbach [7./8. Juni]. Danach die Deutschen Meisterschaften im Rasenkraftsport [14./15. Juni], es sei denn ich komme ich die Diamond Leage Oslo [Norwegen; 12. Juni] rein.

Mehr:
Merlin Hummel feuert ersten 80-Meter-Wurf ab

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets