Benjamin Stalf hat in den vergangenen Jahren die leistungsstärkste Nachwuchs-Läufergruppe Deutschlands aufgebaut. Die Krönung seiner bisherigen Trainerlaufbahn: mehrere internationale Nachwuchsmedaillen seiner Schützlinge in diesem Jahr. Dafür wurde der Cheftrainer Lauf des Hessischen Leichtathletik-Verbandes am Samstag als Deutschlands „Nachwuchstrainer des Jahres“ ausgezeichnet. Im Interview spricht der 32-Jährige über seine Entwicklung vom Landeskader-Athleten zum Trainer und verrät, was er von seinen Athletinnen und Athleten gelernt hat.
Benjamin Stalf, das muss für Sie ein ganz besonderer Samstag gewesen sein: Erst wurden Sie vom Hessischen, dann vom Deutschen Leichtathletik-Verband als „Nachwuchstrainer des Jahres“ geehrt…
Benjamin Stalf:
Es war schon überwältigend, das alles an einem Tag zu erleben. Angefangen mit der bewegenden Laudatio meiner Athletin Jana Becker bei der HLV-Ehrung – und gefolgt von den Worten, die Georg Schmidt in seiner Laudatio beim DLV-Trainerabend gefunden hat. An seiner Seite habe ich als Trainer angefangen, er hat mich immer unterstützt und aufgebaut. Das hat mir viel bedeutet.
Welchen Stellenwert hat die Auszeichnung als „Nachwuchstrainer des Jahres“ für Sie?
Benjamin Stalf:
Ich war schon vor sechs Jahren mal bei dieser Ehrung dabei und habe miterlebt, wie Trainer geehrt wurden, deren Schützlinge außergewöhnliche Leistungen erbracht haben. Damals war der Gedanke, dass ich selbst mal auf dieser Bühne stehen könnte, ganz weit weg. Was wir dieses Jahr erreicht haben, fühlt sich ein bisschen surreal an. Es zeigt aber auch den Weg, den wir in den vergangenen vier, fünf Jahren gegangen sind.
Georg Schmidt hat in seiner Laudatio die Entwicklung angesprochen, die Sie vom Nachwuchsläufer in der Gruppe von Wolfgang Heinig bis hin zum erfolgreichen Trainer gegangen sind. Können Sie Ihren Werdegang aus Ihrer Sicht kurz beschreiben?
Benjamin Stalf:
Mit 13 Jahren bin ich als Läufer in den Landeskader gekommen, mit 14 hat mich Wolfgang Heinig, der damals Landestrainer war, in seine Trainingsgruppe aufgenommen. Georg war damals auch schon als Nachwuchs-Landestrainer mit involviert, wir kannten uns von gemeinsamen Trainingslagern. Mit Anfang 20 hat es sich dann ergeben, dass ich aufgrund von Verletzungen und meinem Studium den Sport nicht mehr so intensiv weiterbetrieben habe, weil zudem der Erfolg ausgeblieben ist. Meine ersten Schritte als Trainer habe ich 2015 beim SV Fun-Ball Dortelweil gemacht. Ich war Sportstudent und mir hat das einfach total Spaß gemacht. Durch einen Wink von Wolfgang Heinig habe ich dann das Gespräch mit Georg Schmidt gesucht, der mich sofort eingebunden hat in das Trainerteam. So kam eins zum anderen.
Demnach haben Sie nicht von Anfang an den Plan verfolgt, nach der eigenen sportlichen Karriere Trainer zu werden?
Benjamin Stalf:
Ich hatte trotz meines Sportstudiums nie vor, Trainer zu werden. Eigentlich wollte ich eher in Richtung Sportpsychologie gehen. Als ich angefangen habe, beim Training zu unterstützen, habe ich schnell gemerkt, wie viel Freude es mir bereitet. Gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten, die Kommunikation mit den Menschen, mit denen ich arbeiten durfte – ich habe festgestellt, dass mir das einfach liegt.
Was ist für Sie das Schönste am Trainerberuf?
Benjamin Stalf:
Die soziale, zwischenmenschliche Ebene, die man mit den Athleten hat, ist für mich etwas Besonderes. Die menschlichen Beziehungen, die man aufbaut, mit den Athleten, mit den Trainerkollegen. Das ist anders als in allen anderen Berufen. Ich war schon immer sehr gesellschaftlich und sozial orientiert, deshalb ist das ein Aspekt meines Jobs, der mir besonders gut liegt.
Sie haben in den vergangenen Jahren die leistungsstärkste Nachwuchs-Läufergruppe in Deutschland aufgebaut…
Benjamin Stalf:
Vanessa [Mikitenko] und Jana [Becker] haben vor fünf, sechs Jahren angefangen, bei mir zu trainieren. Von da an hat sich die Gruppe schrittweise entwickelt. Wir haben in der U16 angefangen, damals mit dem Ziel, bei Deutschen Meisterschaften dabei zu sein, später dann bei internationalen Meisterschaften. Die Ziele wurden größer. Ich selbst habe mich gemeinsam mit meinen Athletinnen und Athleten als Trainer weiterentwickelt. Natürlich lernt man als Athlet viel von einem Trainer, aber auch ich kann viel von meinen Athleten lernen. Gerade als junger Trainer gibt es viel, was man mitnehmen und reflektieren kann.
Was war für Sie das bisher wichtigste „Learning“?
Benjamin Stalf:
(überlegt) Ich würde sagen: Man kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn das Umfeld stimmt. Wenn ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Trainer und Athlet besteht, man aber auch Klarheit hat, was man erreichen möchte. Das hat, finde ich, eine hohe Bedeutung, wenn man erfolgreich arbeiten und gesunde, starke Athleten entwickeln möchte.
Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Jahr für Ihre Athletinnen und Athleten das bisher mit Abstand erfolgreichste war: Jana Becker ist U20-Europameisterin über 800 Meter geworden, Vanessa Mikitenko hat bei der U23-EM Silber über 5.000 und Carolina Schäfer Bronze über 10.000 Meter gewonnen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Saison zurück?
Benjamin Stalf:
Vor allem mit ganz viel Dankbarkeit. Ich habe in den vergangenen Jahren auch Rückschläge mit meinen Athletinnen und Athleten hinnehmen müssen. Das ist auch okay. Es zeichnet ein Trainer-Athleten-Gespann auch aus, damit umgehen und daraus lernen zu können. Dadurch weiß man es umso mehr zu schätzen, wenn man es dann schafft, wenn auf den Punkt alles funktioniert und der Athlet fit und in Form ist. Ich erinnere mich daran, wie mich Jana letztes Jahr drei Tage vor den Deutschen Meisterschaften angerufen und mir mitgeteilt hat, dass sie Fieber hat. Da steckt man nicht drin. Carolina Schäfer, die dieses Jahr eine Medaille geholt hat, ist bei ihrer ersten Meisterschaft nicht gut gerannt, einen Tag später hatte sie einen positiven Corona-Test. Solche Rückschläge gehören dazu, man geht als Trainer mit seinen Athleten den Weg gemeinsam und das macht Erfolge wie in diesem Jahr umso besonderer. Dieses Jahr hat alles geklappt.
Zum Beispiel am 10. August in Tampere. Ein aufregender Tag: Es stand nicht nur das 800-Meter-Finale von Jana Becker an, sondern kurzfristig auch noch ein Einsatz mit der 4x400-Meter-Staffel…
Benjamin Stalf:
[Staffel-Trainer] Marco Kleinsteuber hatte mich morgens angesprochen, dass es sein kann, dass noch eine Athletin für die 4x400-Meter-Staffel gebraucht wird. Ob Jana einspringen könnte. Ich habe dann mit Jana besprochen, dass das Staffelteam vielleicht auf sie zurückgreifen möchte. Sie hatte gleich Bock darauf. Da war gar kein Zweifel bei ihr. Und so war das auch für mich kein Problem. Mittags kam dann die Bestätigung, dass das Trainerteam sie gerne in der Staffel einsetzen würde. Es war klar, dass wir uns erst mal auf die 800 Meter konzentrieren, und wenn es danach nicht mehr gegangen wäre, hätte es auch noch eine Ersatzläuferin für die Staffel gegeben.
Wie haben Sie den Abend dann erlebt?
Benjamin Stalf:
Es war sehr intensiv. Das 800-Meter-Finale von Jana war sehr emotional, auf den letzten Metern war das ein unfassbarer Fight. Natürlich war das danach erst mal die pure Emotion, aber man musste sie auch schnell wieder einfangen, damit sie noch zur Physiotherapie kann. Sie war gebrieft, ist schnell durch die Mixed Zone gegangen, die Physios haben einen großartigen Job gemacht. Das Staffelrennen war dann das nächste emotionale Highlight, Jana ist wie schon bei den 800 Metern eine überragende Zielgerade gelaufen.
Die 400 Meter zählen noch zu den Sprint-Distanzen, Sie betreuen in Ihrer Gruppe überwiegend Mittel- und Langstreckenläufer, die Strecken bis 10.000 Meter absolvieren. Wie unterscheidet sich das Training? Bereiten Sie die 400 Meter auch speziell vor?
Benjamin Stalf:
Jana bringt ein unfassbares Leistungsvermögen mit. Sie ist sehr grundschnell, für die 400 Meter machen wir keine spezielle Vorbereitung. Jana trainiert eher ausdauerorientiert für die 800 Meter. Das ist zumindest das, was wir anpeilen, wir haben da auch noch Luft nach oben. Die 400 Meter integrieren wir eher über Unterdistanz-Wettkämpfe, dadurch bekommt sie mehr Spezifik. Ansonsten trainieren die Athletinnen viel zusammen, Jana, Vanessa und Carolina machen viele Tempoläufe gemeinsam, um Grundlagen aufzubauen. Nicht immer in derselben Geschwindigkeit, mal läuft die eine oder andere ein bisschen länger oder kürzer. Aber im Grunde gibt es da viele Gemeinsamkeiten.
Was wünschen Sie sich für das nächste Jahr, gibt es schon eine Zielsetzung?
Benjamin Stalf:
Ich setze mich mit meinen Athleten zusammen, wir besprechen uns und nehmen uns dann Dinge fürs neue Jahr vor, gerade im Hinblick auf die Zeiten, die wir erreichen wollen. Es ist aber nicht so, dass ich jetzt sage: Nächstes Jahr muss wieder etwas ganz Besonderes passieren. Wir befinden uns in einem Prozess, im Grunde ist für alle meine Athleten Olympia 2028 das größte Ziel. Die EM in Birmingham ist nächstes Jahr sicher für einige das erste Ziel und eine Zwischenetappe. Wichtiger ist aber, dass wir gesamtheitlich in allen Bereichen weiterkommen und Jahr für Jahr besser werden.