| Mentales Training

Sportpsychologen: Das leise Team im Hintergrund

Kopf und Körper zur Höchstleistung bringen: Immer mehr Athleten optimieren neben dem sportlichen Training auch ihre mentalen Prozesse. Dass sie sich dazu psychologische Unterstützung holen, beschreiben zum Beispiel Speerwurf-Weltmeisterin Christina Obergföll oder die Deutsche Dreisprung-Meisterin Kristin Gierisch. Nur zwei Bundeskader-Athleten, die für den Erfolg an ihrer Gedankenwelt feilen. Die DLV-Psychologen um Dr. Michael Gutmann sind da, wenn jemand Unterstützung sucht.
Pamela Ruprecht

Wer Hochleistungssport betreibt kommt um die Rolle der Psyche nicht herum. Um die Jahrtausendwende waren es noch vereinzelte Sportpsychologen, die im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) Sportler begleitet haben. Seit 2005 läuft der Einsatz systematisch, seit 2010 ist Dr. Michael Gutmann Leitender Verbandspsychologe eines etablierten Kompetenzbereiches. Fünf feste Psychologen stehen den Athleten als Ansprechpartner zur Verfügung.

Eine davon ist Tanja Damaske. Die ehemalige Speerwurf-Europameisterin war bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm im Einsatz, ebenso Gutmann, Prof. Dr. Heike Kugler und Walter Wölfle. Der Fünfte im Bunde, Sebastian Debnar-Daumler, war zum gleichen Zeitpunkt bei den U20-Weltmeisterschaften in Eugene (USA).

An den Rädchen der Psyche drehen

Im Vorfeld war Tanja Damaske mit Kaderathleten zu Gesprächen vor oder nach dem Wettkampf verabredet. Daneben ergeben sich Spontangespräche mit Sportlern oder Trainern, die auf sie zukommen. Auch die Beobachtung des Verhaltens auf dem Erwärmungsplatz ist Teil ihres Arbeitstages. „Einige Athleten wollen darüber gerne ein Feedback haben." Gleiches gilt für das Wettkampfverhalten oder auch die Kommunikation zwischen Trainern und Athleten.

Bei Kleinigkeiten, die aus dem Ruder laufen, „versuchen wir dezent im Hintergrund an den Rädchen zu drehen und Einfluss zu nehmen“. Wie der Einfluss der Psychologen wirkt, können nur die Athleten beantworten. Das kann ein entscheidender Hinweis in einem wichtigen Moment sein, der geholfen hat, oder ein kleiner Anteil am Gesamterfolg. „Trainer versuchen Trainingsabläufe zu korrigieren, wir versuchen in die Gedankenabläufe und das Verhalten einzugreifen“, beschreibt Tanja Damaske.

In ihrer Zeit als aktive Sportlerin in den 90er Jahren war sportpsychologisches Coaching eher unüblich. Als Studentin der Psychologie hat sie sich früh mit der Materie befasst und davon auch selbst profitiert. Ihr Wissen ist gerade dann gefragt, wenn Wettkämpfe vor der Tür stehen. „Bis zur Wettkampfsaison läuft es im Training und dann ist bei den Athleten auf einmal Alarm angesagt." In solchen Fällen ist Spontanität gefragt. „Das sind die Feuerwehreinsätze, in denen schnell gehandelt werden muss." Die Leistung muss bald auf den Punkt abgerufen werden.

Service für TopTeam und Junior-EliteTeam

Die Sportpsychologen sind zuständig für das TopTeam und das Junior-EliteTeam, insgesamt rund 150 Athleten. Dabei reicht die sportpsychologische Unterstützung von eben der Anwesenheit bei Wettkämpfen, der Begleitung in Trainingslager („das ökonomischste, weil viele zusammen sind“) über Skype-Kontakte bis zu Einzelgesprächsterminen außerhalb von Training und Wettkampf.

In Zahlen ausgedrückt: „Ungefähr mit einem Drittel der Athleten arbeiten wir intensiver zusammen, ein weiteres Drittel ist in irgendeiner Form aufgeschlossen gegenüber der Sportpsychologie und ein Drittel erreichen wir eher nicht“, ordnet Gutmann ein.

Als Trainer mit besonderen Aufgaben wie es Gutmann nennt, verhelfen sie Athleten dazu, ihre Psyche wettkampfklar zu machen. Philosophie ist: Die Athleten sollen ihre Wettkämpfe eigenständig gestalten können. Selbststeuerung ist daher der Bereich, von dem Sportler am meisten profitieren können. Der Zeitraum der Zusammenarbeit ist meist begrenzt. „Manchmal arbeitet man jedoch auch über einen längeren Zeitraum zusammen“, beschreibt Gutmann. 

Klassiker Wettkampfangst

Ein Thema gerade bei jungen Athleten ist der Weg zum Profi, auf dem es Dinge zu klären gibt. Dr. Michael Gutmann hakt dann nach: „Bist du dir im Klaren, was du erreichen möchtest und bist du bereit darin zu investieren?“ Eine weitere typische Frage, auf Seiten der Athleten: Wie kann ich meine Leistung im Wettkampf bringen? Beispielsweise läuft es im Training, aber wenn der Läufer die Konkurrenz links und rechts neben sich sieht, funktioniert es nicht.

Ein anderer Klassiker ist die Wettkampfangst. Vor dem Wettkampf schleicht sich ein flaues Gefühl ein. „Das Lampenfieber ist so stark, dass die Leistung darunter leidet.“ Der Glaube, dass man es nicht schafft, dominiert die Gedankenwelt.

Gedankenprozesse und Emotionen

Dagegen haben Sportpsychologen verschiedene Methoden. Beim sogenannten „Reframing“ wird versucht, Gedanken und kognitive Prozesse umzustrukturieren, „Situationen zu beleuchten, in denen der Wettkampf geklappt hat und dadurch im Kopf eine andere Ausgangssituation zu schaffen“, erklärt Gutmann.

Eine zweite Methode setzt bei den Emotionen an. Sport ist mit viel Stress und Emotionen verbunden. „Das ist zum einen gut, weil diese pushen können. Zum anderen können sie aber auch kontraproduktiv sein und den Athleten runterziehen“. Ein gelassenerer Umgang mit negativen Gefühlen bewirkt, dass sich der Athlet wieder mehr auf den Sport als auf die störenden Emotionen konzentrieren kann. Die Kunst der Sportpsychologen ist es, die passende Methode für den Athleten zu finden.

Mentale Anforderungen der Sportart Leichtathletik

Gutmann hat auch schon mit anderen Sportlern wie Nachwuchs-Fußballern, Tänzern und Turnern gearbeitet. Spezielle mentale Herausforderungen der Sportart Leichtathletik sind ihm aufgefallen. „Im Vergleich zu anderen Einzelsportarten gibt es eher wenige Wettkämpfe.“ Tennisspieler reisen von Turnier zu Turnier, Leichtathleten hingegen haben eine begrenzte Zahl an Wettkämpfen im Jahr.

Extrem ist es bei den Mehrkämpfern, die zum Teil nur zwei, drei Auftritte im Jahr haben. „Das heißt, diese Wettkämpfe haben eine besondere Bedeutung. Die Sportler sind noch mehr unter Druck, auf einen Punkt fit zu sein und das Ganze hinzubekommen“. Ob aber Mehrkämpfer, Sprinter oder Werfer, es geht immer darum, das erworbene Leistungspotential zu einem bestimmten Zeitpunkt möglichst ungestört ablaufen zu lassen. „Den Kopf frei und im Griff zu haben ist das bestimmende Element quer durch alle Disziplinen.“

Immer locker bleiben

Mentale Freiheit ist, einen Sprung zu machen ohne darüber nachzudenken, dass es der dritte Versuch ist und ich rausfliege, wenn er nicht glückt. Oder vor einem 200-Meter-Lauf nicht zu denken, ich muss meinen Schritt treffen, locker laufen können, nicht auf die Bahn neben mir schielen und mich davon beeinträchtigen lassen, dass einer nebendran schon einen Meter vor mir ist. „Wenn man anfängt nachzudenken, verkrampft sich alles und es läuft nicht mehr gut“, erklärt Gutmann.

Es kann aber auch der Druck der Gedanken sein, der extra pusht und nochmal alle Kräfte mobilisiert: Die letzte Chance im Hochsprung noch eine Höhe zu überqueren, die letzte Kontermöglichkeit im Diskus. Was für den Einzelnen optimal ist, kann eben sehr unterschiedlich ausfallen.

Man erkennt das Vokabular öffentlicher Statements von Sportlern wieder. Das sagenumwobene Lockerbleiben im Sprintbereich, die Erklärung bei Misserfolg zu verkrampft gewesen zu sein. Der Trend geht dahin, dass sich Sportler mit den Vorgängen im Kopf professionell befassen. Der offenere Umgang erleichtert es, nicht gleich von einem Problem zu sprechen, das man hat. „Wir sind Trainer mit besonderen Aufgaben. Wir versuchen genauso die Leistung zu optimieren und Potentiale zu erkunden“, sagt der Leitende Verbandspsychologe.

Voraussetzungen für den Flow schaffen

Das beginnt weit vor dem Wettkampf. Als erstes mit grundlegenden Fragen an den Sportler: „Wie bin ich eigentlich aufgestellt? Habe ich mir ein Umfeld (Trainer, Trainingsgruppe, Trainingsmöglichkeiten) geschaffen, in dem ein  Erfolg möglich ist? Passen Ziel und Aufwand zusammen?“ Antworten, die besonders bei Nachwuchsathleten manchmal noch geklärt werden müssen, damit der eigene Traum mit Konsequenz verfolgt werden kann.

Im zweiten Schritt geht es darum, das auf den Platz zu bringen. Wie kann ich mich auf den richtigen Moment heiß machen? Wie kann ich meine Nervosität in den Griff bekommen? Die Sportpsychologie will weniger schlummernde Ressourcen aufspüren, sondern 100 Prozent des vorhandenen Leistungsvermögens unter Druck abrufbar machen. „Wenn jemand über sich hinaus wächst, nehmen wir das natürlich gerne mit. Hauptaufgabe ist aber, dass im Wettkampf nicht weniger als möglich rauskommt.“  

Kommt mehr raus, sprich Bestleistung, kann der Flow – die optimale Einheit von Körper und Geist im Moment des sportlichen Höchsterlebnisses – im Spiel sein. Um in den Flow zu kommen, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. „Selbstbewusstsein, die Annahme der sportlichen Aufgabe als Herausforderung und eine gewisse Anspannung, aber keine Panik“, benennt Gutmann den perfekten mentalen Mix. Die fünf DLV-Psychologen versuchen diese Voraussetzungen zu schaffen. „Die Freude in den Augen der Athleten zu sehen über den Erfolg, das ist das Schöne", sagt Tanja Damaske. Und das ist es, was auch ihre Kollegen motiviert.

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