| Wissenschaftliche Kooperation II

Erfolgs-Geheimnis: Stabhochspringer brauchen viel Energie

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat viele trainingswissenschaftliche Partner, die mit ihren Analysen einen Beitrag zum Erfolg der Top-Athleten leisten. In einer dreiteiligen Serie stellen wir die Arbeit einiger Trainingswissenschaftler genauer vor. Heute: Dr. Falk Schade. Der Biomechaniker vom Olympiastützpunkt (OSP) Rheinland berechnet am Leverkusener Messplatz die Energie-Bilanz von Deutschlands besten Stabhochspringern.
Pamela Lechner

Der Stabhochsprung-Messplatz in Leverkusen war in Sachen wissenschaftlicher Trainingsbegleitung eine kleine Revolution. Seit seiner Einweihung 2014 können Bewegungsanalysen in Echtzeit durchgeführt und für den laufenden Trainingsprozess genutzt werden. Früher dauerte es dagegen teilweise Wochen, bis die Trainingswissenschaftler komplexere Ergebnisse ausgewertet hatten.

An der Mechanik des Stabhochspringens selbst hat sich dagegen in den vergangen Jahren wenig verändert. „Jeder Athlet springt anders und jeder Athlet bringt andere Voraussetzungen mit“, sagt Biomechaniker Dr. Falk Schade, der die besten deutschen Stabhochspringer zusammen mit seinem OSP-Team seit 1998 trainingswissenschaftlich betreut. Die Athleten unterscheiden sich in ihren Kraftvoraussetzungen, Größen, Anlauf-Längen, Anlauf-Geschwindigkeiten, Absprung-Winkeln und gewählten Stab-Härten.

Der Springer als Avatar

Für die Analyse am Messplatz werden die Körper der Athleten mit reflektierenden Markern beklebt, so dass mittels Infrarot-Kameras die Bewegung aufgezeichnet werden kann. Dieses Vorgehen beschreibt der Wissenschaftler mit Video-Spielen. Für die Entwicklung von Playstation-Spielen wie FIFA schlüpfen reale Fußballer in Anzüge mit Markern. Ihre Bewegung wird damit quantifiziert und in ihrer Spezifik auf den Avatar im Game übertragen.

„Am Messplatz kann jeder Bewegungsteil, jedes Körpersegment des Stabhochspringers digital erfasst werden“, vergleicht Falk Schade. Der Körper und seine Bewegung wird anhand von Achsen dreidimensional beschrieben. Dazu kommen Kraftmessungen im Einstichkasten, am Absprung-Punkt und an den beiden vorletzten Bodenkontakten. Auf Grundlage dieser Daten kann man alle relevanten biomechanischen Parameter berechnen.

Allein sich aus verschiedenen Perspektiven als animiertes Strichmännchen im Video zu sehen, hat für die Springer einen Mehrwert (<link https: www.youtube.com _blank>siehe dieses Youtube-Video des TSV Bayer 04 Leverkusen). Eingezeichnete Kraftvektoren zeigen, wie groß die Bremskräfte beim Absprung oder beim vorletzten Schritt sind. Dies wäre mit bloßem Auge nur schwer erkennbar. Richtig wissenschaftlich wird es aber erst mit weiteren Berechnungen.

Möglichst wenig Energie verlieren

Die Leistung im Stabhochsprung wird stark durch die Energie-Bilanzen an drei Punkten beeinflusst – beginnend mit dem Absprung. „Grundsätzlich verlieren alle Springer Energie, es geht also darum, den Energie-Verlust beim Absprung zu minimieren.“ Der zweite entscheidende Abschnitt ist die Passage zwischen dem Verlassen des Bodens bis zur maximalen Stabbiegung, der dritte Teil die Bewegung von dieser Biegung bis zur Latten-Überquerung. In den Zahlen spiegelt sich die Antwort auf folgende Frage wider: „Wieviel arbeiten die Athleten am Stab, wieviel Energie fügen sie dem System hinzu?“

Ziel ist es, die Energie-Bilanz der Athleten zu optimieren: „Je mehr Energie, desto höher fliegt der Athlet“, sagt der Trainingswissenschaftler und ehemalige Zehnkämpfer. Ein Joule pro Kilogramm entspricht etwa zehn Zentimeter mehr Sprunghöhe, lautet die einfache Formel. Der Energieverlust beim Absprung variiert bei Athleten trotz gleicher Anlauf-Geschwindigkeit und ähnlicher Stäbe zwischen zwei und vier Joule. Sprich einige Stab-Artisten verlieren schon beim Absprung 20 Zentimeter.

Weiß man dies als Trainer – dank der Analyse am Messplatz, kann man reagieren und versuchen, die Athletik oder den Bewegungsablauf des Athleten auf ein höheres Niveau zu bringen. Es geht darum, eine möglichst hohe kontrollierbare Anlauf-Geschwindigkeit in einen guten Absprung umzusetzen (Energieverlust minimieren) und dann gut am Stab zu arbeiten (Energiegewinn maximieren).

Berater für Trainer und Athlet

Die Kontrollierbarkeit ist wichtig, um den komplexen Bewegungsablauf beim Absprung mit dem parallelen Einstich des Stabes koordinieren zu können. „Die Komplexität macht es auf der einen Seite so schwierig, auf der anderen Seite hat man im Stabhochsprung ganz viele Kompensationsmöglichkeiten, viel mehr als in den anderen Disziplinen der Leichtathletik“, weiß der 51-Jährige.

Am Standort Leverkusen konnte auch der Deutsche Meister Bo Kanda Lita Baehre in den letzten Jahren vom Messplatz-Training profitieren. „Bei Bo sind durchaus ein paar Sachen sehr deutlich aufgefallen, an denen er arbeitet und die sich entwickeln“, sagt der Trainingswissenschaftler, betont aber auch, dass das Springen mit Vermessung „kein Zaubertrank“ sei. Die Ergebnisse geben eine Richtung vor, in die im Techniktraining gearbeitet werden kann und die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Leistungsverbesserung führt. Falk Schade versteht sich dabei als Berater von Trainer und Athlet. Bis zu viermal jährlich findet Messplatztraining statt, das ein Baustein von vielen auf dem Weg zum Erfolg ist.

Während früher eher der Trend galt, einem idealen Technik-Vorbild nachzueifern, gibt es mittlerweile unter den Weltklasse-Springern verschiedene technische Ansätze. „Im Nachwuchsbereich ist es durchaus in Ordnung, wenn man Leitbilder hat, im Top-Bereich arbeiten wir mit Bewegungsprinzipien“, erklärt der Biomechaniker, der auch die internationalen Leistungsträger beobachtet und vermisst.

6,35 Meter sind möglich

Den höchsten Energie-Gewinn am Stab bei mittelprächtiger Anlauf-Geschwindigkeit kann demnach der Überraschungs-EM-Zweite Timur Morgunov aus Russland vorweisen. Bei dessen ersten Sechs-Meter-Sprung (6,00 m) hatte Dr. Falk Schade im EM-Finale von Berlin eine Körperschwerpunkt-Höhe von 6,23 Meter festgestellt – das heißt er hätte locker 6,20 Meter meistern können.

Ähnlich hohe Energie-Gewinne hatte auch einst der deutsche Olympia-Vierte von 2000 Michael Stolle, aber bei deutlich niedrigerer Anlauf-Geschwindigkeit. Je höher die Anlauf-Geschwindigkeit ist, desto höher ist der Energie-Verlust beim Absprung und desto schwieriger ist es dann, mehr Energie dazu zu packen. Aber je schneller man anläuft, desto höher ist auch das energetische Ausgangsniveau, so dass man in der Summe bei einer ähnlichen Endenergie landet.

Kann der Athlet durch seine Arbeit am Stab aber deutlich mehr Energie hinzufügen, springt er einfach zehn bis 20 Zentimeter höher als der Rest. „Und da fragen wir uns tatsächlich wie der Russe das macht.“ Springbar sei aus der Sicht des Wissenschaftlers eine Höhe von 6,30 bis 6,35 Meter. „Ich habe Sergey Bubka bei der WM 1997 mit einer Schwerpunkt-Höhe von 6,31 Meter gemessen, da ist er 6,01 Meter gesprungen“, erinnert sich Falk Schade. Es sind den Springern also noch lange keine Grenzen gesetzt.

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