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Absagen, Abbrüche und Plan B: So erleben DLV-Athleten die Corona-Krise

Vorsicht und Rücksicht – entscheidend in Zeiten der Corona-Pandemie. Auch unzählige Veranstaltungen und Maßnahmen in der Leichtathletik sind zuletzt gemäß dieser Prämisse abgesagt, verschoben oder umgeplant worden. Wir haben uns unter den DLV-Athleten umgehört, wie sie von diesen veränderten Rahmenbedingungen betroffen sind und wie sie damit umgehen.
Silke Bernhart

Christopher Linke (SC Potsdam)
WM-Vierter 20 km Gehen
Motivation und Moral sind bei mir komplett weggebrochen, ich konnte in den vergangenen vier, fünf Tagen gar nicht trainieren. Ich bin kein Athlet, der gerne ohne Ziele trainiert. Ich gehe nicht zum Training, weil es mir so besonders viel Spaß macht, sondern weil ich weiß, dass es zu einer Topleistung dazugehört. Jetzt weiß ich nicht mehr, wofür ich trainieren soll. Mein erstes Ziel war der Saison-Einstieg in Dudince, dann zwei Wochen später Podebrady, danach ein Trainingslager in den USA und dann der Geher-Weltcup in Minsk. Alles wurde abgesagt. Wir Geher haben nur ganz wenige Meetings, daher trifft uns das extrem. Klar, mit der WM-Platzierung bin ich schon für die Olympischen Spiele qualifiziert, dafür habe ich schon im November das erste Trainingslager gemacht und noch mal etwas mehr investiert. Aber ich schaue immer von Station zu Station, um mich über einen längeren Zeitraum zu motivieren, und jetzt weiß ich nicht, ob die Spiele stattfinden – und dann wären sie mein erster Wettkampf. Die Situation ist für alle im Team hier im Trainingslager in Potchefstroom sehr, sehr schwer. Besonders für die Athleten, die sich über 50 Kilometer noch für Olympia qualifizieren wollten und nun keine Chance mehr darauf haben. Dienstag fliegen wir planmäßig wieder nach Deutschland, immerhin hatten wir das Glück, dass wir schon vor dreieinhalb Wochen angereist sind und wenigstens das Trainingslager durchziehen konnten. Jetzt kommt es mir vor, als würden wir in eine ungewisse Zukunft reisen. Die Gefahr durch das Corona-Virus ist mir bewusst, und trotzdem ist es für uns alle der absolute Ausnahmezustand.

Pamela Dutkiewicz (TV Wattenscheid 01)
WM-Dritte 100 Meter Hürden 2017
Anfang der Woche war ich noch ganz relaxed. Aber mittlerweile ist der Ton ja doch ein anderer. Ich denke, um das Ganze zu verlangsamen oder in eine andere Richtung zu lenken, muss man alle Hinweise hören, die von den Experten kommen. Unser Trainingslager wurde abgesagt – wir brauchen nicht darüber zu sprechen, dass das für die Vorbereitung nicht optimal ist. Aber ich war ganz froh, dass wir nicht irgendwo hingeflogen sind und im schlimmsten Fall nicht zurückkommen! Andererseits schließen jetzt viele Olympiastützpunkte. Das ist eine ganz schwierige Phase. Im Sport sind Ziele klar definiert, mit einem konkreten Tag und sogar einer konkreten Uhrzeit verbunden. Plötzlich weiß man nicht, ob Qualifikationswettkämpfe stattfinden, Deutsche Meisterschaften ausgetragen werden – die Olympischen Spiele stattfinden. Auch für die Trainer ist das wahnsinnig schwierig. Die haben ja ganz konkrete Berechnungen, in Trainingswochen und -phasen bis zum Höhepunkt. Ich glaube, ich bin ein Typ, der gelernt hat, Dinge anzunehmen, wie sie sind, und das Beste draus zu machen. Mir ist es sehr wichtig, dass wir achtsam miteinander umgehen. Daher halte ich die Vorgaben ein. Für einen bestimmten Zeitraum können wir draußen trainieren oder unseren Trainingsplan anderweitig umsetzen. Aber das Ziellose, nicht konkret zu wissen, was wann oder überhaupt stattfinden wird, das ist wirklich schwierig.

Philipp Pflieger (LT Haspa Marathon Hamburg)
Olympia-Teilnehmer im Marathon
Wir Straßenläufer sind mit die Ersten, die ihre Olympia-Qualifikation abhalten wollten. Jetzt werden nach und nach alle Rennen abgesagt. Und wir haben keine Möglichkeit, die Qualifikation unbegrenzt nach hinten zu schieben. Ich wollte in Hamburg laufen. Mit den Veranstaltern stehe ich in engem Austausch, weil ich ja jetzt für das Laufteam starte – sie haben mir schon signalisiert, dass die Absage absehbar ist, sobald das Gesundheitsamt eine entsprechende Vorgabe macht. Bis Donnerstag war ich noch in Kenia, das Training lief seit Januar sehr, sehr gut, eigentlich hatte ich am Sonntag einen 10er in Dresden geplant und wollte da Richtung Bestzeit laufen. Jetzt habe ich ehrlich gesagt die letzten zwei Tage gar nicht trainiert. Die Situation ist ultra frustrierend. Und die Kommunikation vom Weltverband und vom IOC dürftig: Wenn an den Olympischen Spielen festgehalten wird, dann muss auch aufgezeigt werden, wie man sich qualifizieren kann. Eine Lösung, die ich mir zum jetzigen Zeitpunkt noch vorstellen kann, wäre ein Eliterennen auf kleinem Kurs, an dem alle Athleten teilnehmen können, die bei Olympia starten wollen. Aber das muss man zeitnah entscheiden, wenn für die Spiele Chancengleichheit gewahrt werden soll. Einen Marathon muss man gut vorbereiten, die Zeit rennt. Im Moment hängen wir komplett in der Luft.

Gina Lückenkemper (SCC Berlin)
Vize-Europameisterin 100 Meter
Aufgrund des Einreise-Stopps für Europäer und der Absage unseres Trainingslagers kann ich jetzt nicht mit meinem Coach Lance Brauman unter der Sonne Floridas trainieren. Das ist eine neue Herausforderung, der wir uns stellen müssen, daraus müssen wir einfach das Beste machen. Wo ich stattdessen trainieren kann? Das ist eine gute Frage! Da, wo man mich aktuell überhaupt noch trainieren lässt. Die Leichtathletik-Hallen in Deutschland und Fitnessstudios wurden größtenteils geschlossen. Ich bin momentan in einigen Gesprächen, was die Nutzung diverser Anlagen allein betrifft und hoffe, schnellstmöglich eine Lösung zu finden. Für die Nationalstaffel befürchte ich durch die Trainingslager-Absage keine negativen Auswirkungen. Wir sprechen hier von einer Einzelsportart, da trainiert eh jeder für sich mit seinem Coach. Mit einer Komplett-Absage der Olympischen Spiele möchte ich mich aktuell noch nicht zu stark auseinandersetzen. Ich will mich bestmöglich vorbereiten. Wenn eine Komplettabsage erfolgt, kann ich daran eh nichts ändern.

Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt)
Vize-Weltmeisterin im Siebenkampf 2017
Mein zweiwöchiges Trainingslager in Stellenbosch lief wie geplant, ich konnte nach Wunsch erfolgreich trainieren. Aufgrund der räumlichen Distanz und auch, weil wir kein deutsches Fernsehen geschaut haben, hatten wir dort noch etwas Abstand zu den Entwicklungen in Deutschland. Aber wir haben natürlich online die Nachrichten verfolgt und viel darüber gesprochen, wie es jetzt wohl weitergeht. Dass sich die Lage zuspitzt haben wir erst bewusst wahrgenommen, als sich die Frage stellte, was mit den Athleten passiert, die eigentlich drei Wochen in Südafrika bleiben sollten. Wir haben viel mit dem medizinischen Team gesprochen und darüber, wie lange man noch zurückreisen kann, da gab es fast stündlich neue Informationen und es herrschte viel Unruhe und Unsicherheit. Ich habe gemerkt, dass sich währenddessen die Verantwortlichen zuhause schon darum bemüht haben zu klären, wie es dann weitergeht. Vom Hessischen Landesverband haben wir die Info, dass die Bundeskader-Athleten zunächst weiter in Frankfurt-Kalbach trainieren können. Trotzdem steht die weitere Saison für alle erstmal in den Sternen. Aber es heißt zurzeit: Die Olympischen Spiele sollen stattfinden. Dementsprechend ist das Training weiter drauf ausgerichtet. Wir versuchen, uns bestmöglich darauf vorzubereiten und wo nötig kreativ zu sein. Dass in so einem Jahr eine solche Pandemie ausbricht ist unglücklich, damit kann keiner rechnen. Aber sie betrifft alle und das Wichtigste ist jetzt die Gesundheit.

Thomas Röhler (LC Jena)
Speerwurf-Olympiasieger
Unser Flieger von Belek nach Leipzig sollte am Samstag um 7:30 Uhr starten – dann hieß es auf einmal am Abend zuvor, ab 8:00 Uhr gehen keine Flüge aus der Türkei mehr. Da haben wir sofort unsere Taschen gepackt und sind zum Flughafen gefahren, wo wir die Nacht verbracht haben. Die allgemeinen Entwicklungen in Europa und der Welt haben wir natürlich auch in Belek verfolgt, aber von diesen Neuigkeiten sind wir ehrlich gesagt doch komplett überrumpelt worden. Zum Glück konnten wir den geplanten Flieger dann nehmen, und auch alle anderen Athleten und Betreuer scheinen noch bis Freitag aus Belek zurück nach Deutschland reisen zu können. Sie bringen wohl auch unsere Speere mit, die wir dort gelassen haben, weil wir uns auf eine kleine Europa-Tournee eingestellt hatten. Jetzt bin ich erstmal froh, wieder in unserem Land zu sein, zurück zur Familie und ins gewohnte, geregelte Umfeld zu kommen. Was uns hier jetzt erwartet? Wir dürfen nicht die Augen vor der Realität verschließen. Nicht nur wir Sportler werden uns auf weitere Einschränkungen gefasst machen müssen.

Christina Hering (LG Stadtwerke München)
Deutsche Meisterin und WM-Halbfinalistin 2017 über 800 Meter
Die Situation ist sehr komisch. Wir haben am Donnerstag früh erfahren, dass der Einreisestopp in die USA verhängt wurde. Wir hatten schon damit gerechnet, dass es mit dem Trainingslager in Flagstaff nicht klappen könnte, im ersten Moment waren wir trotzdem sehr enttäuscht. Aber in Absprache mit unserem Bundestrainer haben wir entschieden, dass wir nicht auf Teufel komm raus versuchen, in die USA zu kommen, und lieber auf Nummer sicher gehen. Ich hoffe für uns Athleten, dass die Wettkämpfe und insbesondere Olympischen Spiele wie geplant stattfinden können. Wir sollten jetzt nicht den Kopf hängenlassen. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich mir mit dem Training noch ein Stück Normalität in dieser Zeit bewahren kann. Uns bleibt ohnehin nichts Anderes übrig, auch wenn nun nach und nach unsere ganzen Trainingsstätten geschlossen werden. Als Läufer sind wir da noch ziemlich gesegnet, weil wir unabhängig sind von irgendwelchen Krafträumen und Stadien. Ich hoffe, dass wir unser Training irgendwie durchziehen können. Das Wichtigste für uns alle ist aber: Die Gesundheit geht vor!

Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen)
Olympia-Halbfinalist 110 Meter Hürden
Bis Mitte letzter Woche war die Situation für uns noch relativ entspannt. Dann hat US-Präsident Donald Trump den Einreisestopp verhängt, sodass das Trainingslager dort nicht stattfinden kann. Jetzt wurde alle Maßnahmen abgesagt – und wir sind jetzt auch von der Situation betroffen. Aber was noch viel entscheidender ist: Die vielen Hallenschließungen in Deutschland, von denen wir unmittelbar betroffen wären. Bei uns in Leipzig ist das zwar noch nicht passiert, aber das kann sich schon am Montag ändern, und dann könnten wir unsere Trainingsstätten nicht mehr nutzen. Diese Ungewissheit darüber, wie es weiter geht, ist schon nervig. Wir Sportler sind alle heiß auf die Olympischen Spiele und wollen dort performen. Nichtsdestotrotz bleibe ich entspannt, nehme es, wie es kommt und bin weiterhin voll fokussiert.

Die Corona-Krise und der Sport

Aktuelle Einschätzungen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

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