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Aufgeschobene Träume: Wie der Nachwuchs das Corona-Jahr erlebt

Das Coronavirus begrub in den letzten Monaten so manche Träume. Sorgte für Ängste. Absagen. Und manche Tränen. Auch die Nachwuchsathleten des Jahrgangs 2001 blieben nicht davon verschont. Im Gegenteil: Für sie bedeute die Verschiebung der U20-WM auf unbestimmte Zeit, dass ihre Leichtathletik-Jugend ohne internationales Großereignis zu Ende gehen wird. Wie die Talente Paula Schneiders, Leni Freya Wildgrube, Talea Prepens und Fabian Olbert mit dieser Situation umgehen, was ihnen Hoffnung gab und wie sie doch gestärkt aus dieser Zeit kamen, erzählten sie leichtathletik.de.
Alexandra Dersch

Anfang des Jahres, da tickten die Uhren noch im bekannten Takt. Wettkämpfe. Deutsche Hallen-Meisterschaften. Trainingslager. Doch plötzlich, nur wenige Wochen nach den Indoor-Titelkämpfen der Aktiven in Leipzig war alles anders. Trainingsanlagen geschlossen. Überhastete Abreisen aus den Trainingslagern in aller Welt. Corona-Lockdown.

„Eine ganz komische Zeit“, erinnert sich Paula Schneiders (LAZ Mönchengladbach). Die U20-Europameistersterin über die 3.000 Meter Hindernis bereitete sich zu dieser Zeit gerade im Trainingslager in Südafrika auf die Freiluftsaison 2020 vor. Ihr großes Ziel: Die U20-Weltmeisterschaften in Nairobi (Kenia). Doch dann kam alles anders: verfrühte Abreise aus dem Trainingslager, die Stadien schlossen, die Wettkampfplanung war Makulatur – das Coronavirus legte die Welt und mit ihr auch den Sport lahm.

Alleine ist’s viel schwerer

Stattdessen: Wochen ohne feste Trainingszeiten, ohne Trainingsgruppe, ohne Ziel. „Das war hart“, erinnert sich auch Leni Freya Wildgrube (SC Potsdam). Die Jugend-Olympiasiegerin im Stabhochsprung gehört in der Individualsportart der Leichtathletik zum Athletentyp „Teamplayer“, sprich ohne ihr Team um sich herum schwindet die Motivation. „Ich brauche meine Trainingskollegen um mich herum, die mich pushen und mitziehen.“

Als sie sich dann plötzlich im Frühjahr ganz alleine im Wald wiederfand und dort Sprünge machen sollte, fühlte sie sich einsam. Doch die 18-Jährige wusste: „Einen Monat nichts machen, das kann sich keiner leisten.“ Also kämpfte sie sich durch, gegen das Motivationsloch, gegen den inneren Schweinehund, sprang und lief im Wald, turnte zuhause im Garten am Reck.

Turnen am Reck, Läufe im Wald

Auch Fabian Olbert (LG Stadtwerke München) fiel das alleine Trainieren schwer. „Das war ein Schock“, erinnert sich der Sprinter, der sich in der Halle über 60 Meter stark wie nie präsentiert hatte und den bayerischen Landesrekord seiner Altersklasse gleich mehrfach unterbieten konnte. Im Keller baute er sich seinen eigenen kleinen Kraftraum aus. Doch die Läufe auf Asphalt, die der 19-Jährige auf Feldwegen absolvierte, die haben Spuren hinterlassen. „Die Technik leidet darunter“, sagt der U20-Staffel-Europameister. Mehr als zwei Monate lang durfte er in Bayern keine Bahn betreten.

Kreativ musste auch Sprinterin Talea Prepens (TV Cloppenburg) in Zeiten den Lockdowns werden. Die Reckstange im Garten, ausgemessene Wege im Wald und Hanteln in der Garage – so sah für viele Wochen das Training der U18-Weltmeisterin des Jahres 2017 über 200 Meter aus. „Für die damalige Lage war das noch gut“, sagt die 18-Jährige. Mit ihrem Vater, der auch gleichzeitig ihr Trainer ist, arbeitete sie weiter an ihrer Technik, auch wenn an Maximalbelastungen in der damaligen Situation natürlich nicht zu denken war.

Schockmoment U20-WM-Verschiebung

Eine Lage, die nicht einfach war. Für Körper. Und Kopf. Das weiß auch Dietmar Chounard. „Die Athleten haben alle über Wochen außerhalb der Norm trainiert, haben improvisiert und sich mit der Situation abfinden müssen“, berichtet Dietmar Chounard, der Head Coach des Junior-Teams im Deutschen Leichtathletik-Verband. „Diese Zeit war auch eine Schulung des Willens.“

Als dann Ende März der Weltverband die Verschiebung der U20-WM in Nairobi (Kenia) bekannt gab, traf diese Verkündung die Athleten nicht mehr unvermittelt. Dennoch: „Das war der schlimmste Moment“, sagt Fabian Olbert. Er hatte sich nach seiner starken Hallensaison viel für diese Meisterschaft ausgerechnet.

„Ein Tiefschlag“, sagt auch Talea Prepens. Gerade sie verbindet ihren bislang größten sportlichen Erfolg mit Nairobi, lief sie dort vor drei Jahren doch zu Gold über die 200 Meter. Die überragende Stimmung dort hat sie noch in bester Erinnerung. „Ich verstehe natürlich, warum die Meisterschaft verschoben werden musste, dennoch ist etwas Wehmut dabei.“

Verlust kompensieren

„Die Verschiebung war der logische Schritt“, sagt Hindernisläuferin Paula Schneiders. Ein, zwei Tage gab sie sich der Enttäuschung hin, doch dann ging der Blick nach vorn. Denn: Die Karrieren der Nachwuchshoffnungen sollen sich nicht an Jugend-Meisterschaften aufhängen.

„Dass die U20-WM ausfällt, ist ein Verlust, keine Frage“, sagt auch Dietmar Chounard. „Aber der Verlust ist kurzfristig. Denn auf die Gesamtheit betrachtet sprechen wir hier von jungen Athleten, die 2021 und 2023 die Chance auf U23-Europameisterschaften haben, die von Olympia 2028 in Los Angeles träumen. Für sie wäre die U20-WM natürlich ein tolles Lernfeld gewesen, wo sie internationale Erfahrung hätten sammeln können, aber sie werden diesen Verlust kompensieren“, sagt der Chef-Bundestrainer der U23-/U20-Athleten.

Gestärkt aus der Pause gekommen

Diese Einschätzung teilen auch die Sportler selber. „Die U20-WM wäre eine gute Erfahrung gewesen“, sagt Paula Schneiders. „Aber sie sollte nicht der Höhepunkt meiner Karriere sein, daher kann ich diesen Verlust gut wegstecken.“ Ähnlich formuliert es Talea Prepens: „Schade ist die Verschiebung vor allem aufgrund der gigantischen Stimmung, die uns sicherlich in Nairobi erwartet hätte. Aber ich bin noch jung und habe noch viele Ziele. Ich werde sicherlich in meiner Karriere noch einigen Möglichkeiten habe, vor einer ähnlichen Kulisse zu laufen.“

So können sie im Rückblick sogar Positives aus der dadurch frei gewordenen Zeit ziehen. „Die Pause hat mir gut getan“, sagt Leni Wildgrube. Seitdem die Anlagen wieder geöffnet haben, nutzt die Jugend-Leichtathletin des Jahres 2018 die Chance, um an ihrem Anlauf zu arbeiten, der ihr in der Halle so Probleme gemacht hatte. „Es war wie ein kleiner Neustart für mich.“

Kurzfristige Ziele setzen

Es ist Zeit für neue Ziele. Orientierung gibt in diesem Sommer die U20-DM in Heilbronn (4. bis 6. September), oder auch die DM der Aktiven in Braunschweig (8./9. August), die einige Nachwuchstalente anpeilen. „Ich bin froh, dass es wieder kurzfristige Ziele gibt“, sagt Fabian Olbert. „Klar, irgendwann will ich zu Olympia, aber auf dem Weg dahin brauche ich kurzfristige Ziele, wo ich direkt Rückmeldung über mein Niveau bekomme.“

Genau wie Stabhochsprung-Ass Leni Wildgrube. Ihr Ziel in diesem Jahr: die Jugend-DM in Heilbronn. „Jetzt, wo ich wieder ein Ziel habe, fällt es mir im Training auch nochmal leichter. Ich arbeite auf etwas hin, will unter Beweis stellen, dass ich gut bin. Dafür mache ich diesen Sport.“

Die Träume der Nachwuchstalente, sie haben sich zwar verschoben. Aber verschoben bedeutet nicht aufgehoben. Denn die Träume der Leichtathletik-Hoffnungen, sie lassen sich auch von Corona nicht aufhalten.

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