| Disziplin-Check 2020

LANGSPRINT FRAUEN | Corinna Schwab zieht davon

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Langsprint der Frauen.
Alexandra Dersch

Fazit der Bundestrainerin

Claudia Marx, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainerin und als Heimtrainerin?

Claudia Marx:

Nach einer ziemlich „normalen“ und auch erfolgreichen Hallensaison hat uns Corona mit all seinen Auswirkungen hart getroffen. Erfolgreichen, fitten und motivierten Athleten wurde plötzlich die Ausübung ihres Jobs und ihrer Passion untersagt. Wahrscheinlich ist noch immer nicht greifbar, was diese Pandemie mit einigen von ihnen gemacht hat. Völlig verständlich war das Motivationsloch vieler Athleten nach der Verschiebung der Olympischen Spiele. Meine persönlichen zwei Frust-Tage kamen erst nach Absage der Europameisterschaften.

Aber auch durch dieses Tal bin ich relativ schnell gegangen, da ich wusste, dass der DLV und auch das Sprintteam so schnell wie möglich wieder Wettkämpfe bestreiten wollten. Dies half mir sehr, meine Athleten und auch die Bundeskader wieder abzuholen und mit ihnen neue Ziele zu definieren, um wieder ein wenig Struktur in ihren Alltag zu bringen. Darüber hinaus war ganz persönlich vor allem das Homeschooling meiner Tochter eine völlig neue, aber auch schöne Herausforderung.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Langsprinterinnen?

Claudia Marx:

Zunächst war das Hauptthema im 400-Meter-Team, dass wir mit Platz 16 im World Ranking noch nicht sicher für die OS qualifiziert waren. Mit Corona rückte dies natürlich in den Hintergrund.

Wie in allen Disziplinblöcken waren die Trainingsmöglichkeiten an den Stützpunkten nicht ansatzweise gleich verteilt. Während es in Mannheim weder Zugang zu Halle noch Stadion gab, war in Berlin für die Bundeskader ein geregeltes Training möglich. Mit Öffnung der Stadien wurde dies immer besser gehandhabt und wir konnten den PK-Athleten im Juni eine Team-Woche in Kienbaum anbieten. Dies war für fast alle Athleten der lang ersehnte Schritt zurück in die Normalität. Da zu diesem Zeitpunkt auch schon durch das Sprintteam gemeinsam kleine Meetings organisiert waren, standen auch wieder Teilziele auf dem Weg zur DM fest.

In Kienbaum zeigte sich auch, dass einige der 400-Meter-Frauen sehr gut durch die Corona-Zeit gekommen waren und wir waren gespannt auf die ersten Wettkämpfe.

Welche Athletinnen haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Claudia Marx:

Eine unfassbar gute Entwicklung hat natürlich Corinna Schwab gezeigt. Nicht nur der deutsche Meistertitel und die überragende Bestzeit von 51,73 Sekunden, sondern auch ihre Konstanz über die Wettkampfsaison waren beeindruckend. Auch Karolina Pahlitzsch (51,88 sec) und Alica Schmidt (52,21 sec) haben bei den Deutschen Meisterschaften großartige Leistungssprünge hingelegt und ihre Bestzeiten enorm angehoben.

Zudem konnte Brenda Cataria-Byll zeigen, was für ein Leistungspotenzial in ihr steckt. Mit 52,77 Sekunden wurde sie als U20-Athletin Sechste bei den Frauen, gewann überragend den deutschen Jugendmeistertitel und hat sich für die 4x400-Meter-Staffel im nächsten Jahr empfohlen. Auch Mona Mayer hat sich in der Halle und auch unter freiem Himmel mit Bestzeiten super präsentiert.

Generell waren die beiden Läufe bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig für die 400 Meter Frauen herausragend. Es fielen fast durchgehend persönliche oder Saisonbestzeiten.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Claudia Marx:

Wir wollen versuchen, so viel Normalität wie möglich im Kader wirken zu lassen. Neben einer Teamwoche im November steht im Dezember noch ein Lehrgang mit Leistungsdiagnostik an. Für die ersten Monate in 2021 gibt es verschiedene Pläne und Ideen, um die World Relays am 1./2. Mai vorzubereiten. Hier müssen wir sowohl über 4x400 Meter als auch in der Mixed-Staffel abliefern. Dazu ist es notwendig, alle Athleten gesund durch Herbst und Winter zu führen und wenn möglich im Januar/Februar Trainingscamps unter guten klimatischen Bedingungen abzuleisten. Nach einer kurzen Hallensaison würden wir gern wieder in die USA zum Training reisen, um dort hohe Geschwindigkeiten realisieren zu können. Aber auch hier haben wir verschiedene Optionen in Erwägnung gezogen und müssen abwarten, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickelt.

Nach einer so guten Leistungsdarstellung 2020 hoffen wir natürlich auf eine ähnliche Performance für 2021. Meine Aufgabe ist es nun, aus den sechs bis acht Individuen ein Team zu formen, das in Tokio ihr maximales Leistungsvermögen abrufen kann.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Langsprinterinnen?

Claudia Marx:

Ich hoffe sehr, dass die Leistungsträger von diesem Jahr ihre Zeiten stabilisieren können und sich auch im nächsten Jahr so stark darstellen. Dazu wünsche ich mir, dass Ruth Spelmeyer auf ihrem Weg zurück an alte Leistungen anknüpfen kann und die Top-400-Meter-Frauen wieder durch Luna Thiel (ehemals Bulmahn) und Nelly Schmidt vervollständigt werden, die 2020 durch Krankheit und Verletzung gar nicht in Erscheinung getreten sind. Auch von Nadine Gonska erhoffe mich mir wieder einen Leistungssprung hin zur 52,0 Sekunden und drunter.

Wenn wir durch Konkurrenz im eigenen Lager das Niveau weiter erhöhen können, steht einer Qualifikation für Tokio und einer Finalteilnahme in den Staffeln nichts im Weg. Dafür benötigen wir gesunde Athleten und ganz viel Teamgeist.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Claudia Marx:

2021 sollte wieder mehr Struktur haben. Ich würde mir vor allem für die Athleten einen „normalen“ Wettkampfplan wünschen, der in der Austragung der Olympischen Spiele mündet. Zudem hoffe ich, dass die internationalen Meisterschaften im U20- und U18-Bereich wieder ausgetragen werden können.

Ich erwarte weiterhin viele Einschränkungen und Kompromisse, aber auch ein wenig mehr Normalität und Flexibilität. Mit Austragung der DM in Braunschweig haben wir nachgewiesen, dass wir solche Veranstaltungen durchaus durchführen können.

Das Jahr 2021 war für mich als Bundestrainerin gut, wenn wir in 365 Tagen auf zwei Finalteilnahmen mit der 4x400-Meter-Staffel der Frauen und in der 4x400-Meter-Mixed-Staffel zurückblicken können.

Unser "Ass des Jahres"

Corinna Schwab (LG Telis Finanz Regensburg)

Deutsche Meisterin über 400 Meter in der Halle und im Freien
Deutschlands Jahresbeste über 400 Meter, Platz 5 über 200 Meter

Unser "Talent des Jahres"

Brenda Cataria-Byll (LG Olympia Dortmund)

Deutsche U20-Meisterin über 400 Meter
Platz 6. bei den Deutschen Meisterschaften der Aktiven in Braunschweig
Die 19-Jährige verbesserte ihre Bestleistung in diesem Sommer von 54,40 Sekunden auf 52,77 Sekunden.

Die deutschen Top Ten 2020

Zeit Name Jahrgang Verein
51,73 sec Corinna Schwab 1999 LG TELIS FINANZ Regensburg
51,88 sec Karolina Pahlitzsch 1994 LG Nord Berlin
52,15 sec Ruth Sophia Spelmeyer 1990 VfL Oldenburg
52,21 sec Alica Schmidt 1998 SCC Berlin
52,37 sec Laura Müller 1995 LC Rehlingen
52,49 sec Nadine Gonska 1990 MTG Mannheim
52,77 sec Brenda Cataria-Byll 2001 LG Olympia Dortmund
52,82 sec Carolina Krafzik 1995 VfL Sindelfingen
52,83 sec Jackie Baumann 1995 LAV Stadtwerke Tübingen
53,43 sec Mona Mayer 2001 LG TELIS FINANZ Regensburg

Statistik ­– Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top­-Niveau 400 Meter

Jahr =/< 51,70 sec* Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005  –  52,56 52,88 53,47
2006  –  52,02 52,43 53,02
2007  –  52,81 53,09 53,49
2008  –  52,09 52,38 53,00
2009  1 52,13 52,59 53,13
2010  1 52,00 52,25 52,80
2011  –  52,07 52,43 53,18
2012  –  52,34 52,70 53,24
2013  1 52,34 52,81 53,31
2014  –  52,45 52,65 53,01
2015  –  52,40 52,64 53,13
2016  1 51,89 52,39 52,98
2017  –  52,09 52,37 52,78
2018  –  52,35 52,60 53,00
2019  –  52,46 52,58 52,84
2020  –  51,92 52,07 52,47

Entwicklung Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 52,07 (C. Marx) 49,80 (Pospelova/RUS) 2,27 48,92 (Richards/USA) 3,15
2006 51,79 (C. Hoffmann) 49,49 (Zayzseva/RUS) 2,30 48,70 (Richards/USA) 3,09
2007 51,98 (C. Hoffmann) 49,61 (Ohuruogu/GBR) 2,37 49,27 (Richards/USA) 2,71
2008 51,90 (J. Tilgner) 49,62 (Ohuruogu/GBR) 2,28 49,62 (Ohuruogu/GBR) 2,28
2009 51,53 (S. Nwachukwu) 49,29 (Krivoshapka/RUS) 2,24 48,83 (Richards/USA) 2,70
2010 51,65 (C. Hoffmann) 49,89 (Foriva/RUS) 1,76 49,64 (Dunn/USA) 1,95
2011 51,97 (J. Lindenberg) 49,35 (Kapachinskaya/RUS) 2,62 49,35 (Kapachinskaya/RUS) 2,62
2012 51,76 (E. Cremer) 49,16 (Krivoshapka/RUS) 2,60 49,16 (Krivoshapka/RUS) 2,60
2013 51,62 (E. Cremer) 49,41 (Ohuruogu/GBR) 2,21 49,33 (Montsho/BOT) 2,29
2014 51,87 (E. Cremer) 50,55 (Grenot/ITA) 1,32 49,48 (McCorory/USA) 2,39
2015 52,04 (R. Spelmeyer) 50,16 (Ohuruogu/GBR) 1,88 49,26 (Felix/USA) 2,78
2016 51,43 (R. Spelmeyer) 50,43 (Grenot/ITA) 1,00 49,44 (Miller/BAH) 1,99
2017 51,72 (R. Spelmeyer) 50,89 (Zemlyak/UKR) 0,83 49,46 (Miller-Uibo/BAH) 2,26
2018 52,00 (N. Gonska) 50,41 (Swiety-Ersetic/POL) 1,59 48,97 (Miller-Uibo/BAH) 3,03
2019 52,37 (L. Bulmahn) 50,83 (Nielsen/GBR) 1,54 48,14 (Eid Naser/BHR) 4,23
2020 51,73 (C. Schwab) 50,98 (Klaver/NED) 0,75 50,50 (Irby/USA) 1,23

Das fällt auf:

  • So schnell kann es gehen: Im Jahr 2019 war Corinna Schwab noch Zehnte der Deutschen Bestenliste - in diesem Jahr führt sie die Statistik an und steigerte sich in diesem Sommer auf starke 51,73 Sekunden.
  • Wie schnell die deutschen 400-Meter-Läuferinnen in diesem Jahr auch in der Breite unterwegs waren, beweist auch der Blick auf den Top-Ten-Schnitt, der seit Beginn dieser Aufzeichnung noch nie so stark war. Der Schnitt der Top-Drei ist ähnlich gut wie im Olympia-Sommer 2016.
  • Die Aussichten für das kommende Jahr sind unter diesen Voraussetzungen schon gut. Noch größer wird die Hoffnung, wenn man sich vor Augen führt, dass die Deutsche Meisterin des Jahres 2019, Luna Thiel, in diesem Sommer aufgrund der Nachwirkungen des Pfeifferschem Drüsenfiebers gar nicht erst in Erscheinung treten konnte.
  • Mit Brenda Cataria-Byll und Mona Mayer sind die ersten Athletinnen mit 2001er-Jahrgang in den Deutschen Top-Ten zu finden – der Nachwuchs rückt gewaltig nach.
  • Dunkle Wolken warf in diesem Sommer der Doping-Fall der Weltmeisterin Salwa Eid Naser (Bahrain) auf diese Disziplin. Nach vier Melde-Verstößen droht ihr nun eine Sperre. Die 22-Jährige wies die Vorwürfe zurück und behauptet, "lediglich drei Dopingtests verpasst" zu haben, das sei "doch normal und kann jedem passieren".

leichtathletik.TV-Clips:

400 Meter

Zu den weiteren Disziplin-Checks:

Sprint Frauen
Sprint Männer

* als Referenzwert dienen die WM-Normen des Jahres 2017

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